Etwas mehr als ein Jahr ist es her, dass die Hamas auf israelisches Territorium vordrang und das größte und grausamste Massaker an Juden seit dem Holocaust verübte. Noch immer halten die Terroristen über 100 israelische Bürger unter grauenvollen Umständen als Geiseln fest – wobei ungewiss ist, wie viele von ihnen noch am Leben sind. Doch im Gedächtnis der Weltöffentlichkeit scheint dieses horrende Verbrechen gegen die Menschlichkeit kaum noch präsent zu sein. Am Pranger steht jetzt vielmehr Israel, das im Zuge seines Verteidigungskriegs schlimmster Kriegsverbrechen beschuldigt wird – bis hin zu der Anklage, es begehe einen Genozid.
So wird der Angegriffene zum Aggressor gestempelt und das internationale Recht auf den Kopf gestellt. Sind es doch das iranische Regime und die von ihm gelenkten Terrormilizen in Gaza und im Libanon, die seit Jahrzehnten offen die Vernichtung des jüdischen Staats propagieren. Schon allein die Ankündigung eines Völkermords aber stellt nach dem Völkerrecht ein schwerwiegendes Verbrechen dar.
Inzwischen ist durch Dokumente belegt, dass der Überfall auf die israelische Zivilbevölkerung von langer Hand akribisch vorbereitet wurde und das iranische Regime ebenso wie die libanesische Hisbollah in die Planungen einbezogen waren. Seit einem Jahr beschießt die Hisbollah permanent die Zivilbevölkerung im Norden Israels, und Iran hat das Land zwei Mal massiv mit Raketen und Drohnen angegriffen. Gegenschläge Israels nicht nur gegen die Hamas, sondern auch gegen die Hisbollah und den Iran sind daher völkerrechtlich gänzlich legitim.
Israel wird denunziert
Dabei hat sich allerdings auch Israel an die Regeln des Kriegsrechts zu halten. Wo es diese im Einzelnen verletzen sollte, muss es dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Die Behauptung, Israel fühle sich grundsätzlich nicht daran gebunden, ist jedoch durch nichts belegt. Und wenn unablässig von enormen zivilen Opferzahlen und Schäden die Rede ist, die Israel durch sein Vorgehen verursache, darf dabei nicht unterschlagen werden, dass die Hamas wie die Hisbollah ihre militärischen Anlagen systematisch in zivilen Einrichtungen unterbringen. Damit intendieren sie nicht zuletzt, die Opferzahlen in die Höhe treiben, um dies propagandistisch ausschlachten zu können.
Doch während die „Weltgemeinschaft“ über diese seit Jahrzehnten bekannten völkerrechtswidrigen Praktiken der Todfeinde des jüdischen Staats eher hinwegsieht, legt sie das internationale Recht mit Vorliebe gegen Israel aus. Seit dem Beginn der israelischen Offensive gegen die Hisbollah hat die Denunziation Israels als skrupellosem Rechtsbrecher neue Höhepunkte erreicht. Selbst Kommentatoren, von denen man eigentlich ein besseres Urteilsvermögen gewohnt ist, beteiligen sich daran.
So verstieg sich der „Spiegel“-Nahostreporter Christoph Reuter jüngst zu der Behauptung, die Angriffe Israels auf die im Libanon stationierte UN-Blauhelmtruppe UNIFIL seien eine „Kriegserklärung an die Weltordnung“. Israel bekämpfe „nicht nur seine Gegner, sondern auch die internationale Rechtsordnung“. Auffällig ist, dass Israel damit fälschlicherweise exakt das unterstellt wird, was Russland mit seinem Vernichtungskrieg gegen die Ukraine tatsächlich betreibt.
Infame Gleichsetzung
Explizit zog diese Parallele kürzlich der taz-Kolumnist Dominic Johnson als er über den Vorstoß der israelischen Armee auf libanesisches Gebiet schrieb: „Das beschönigende Wort von der ´begrenzten Bodenoffensive´ ist dafür ebenso fehl am Platz wie das Wort ´Spezialoperation´ für Russlands Überfall auf die Ukraine: Beide unterschlagen, dass eine Staatsgrenze überschritten wird, dass es um einen Einmarsch in ein anderes souveränes Land geht.“
Diese Gleichsetzung ist ebenso ignorant wie infam. Zwar hat die israelische Armee bei ihrer Bodenoffensive tatsächlich die libanesische Staatsgrenze überschritten. Das Gebiet, in das sie in Ausübung ihres Rechts auf Selbstverteidigung eingedrungen ist, steht jedoch nicht unter Kontrolle des libanesischen Staats, sondern wird von der Terrormiliz Hisbollah beherrscht. Und dies, obwohl die UN-Resolution 1701 vom August 2006 diese dazu verpflichtet hatte, es zu räumen und sich hinter den Litani-Fluss zurückzuziehen.
UNIFIL war damals die Aufgabe zugewiesen worden, den Rückzug der Hisbollah zu überwachen und ihre weitere Aufrüstung zu unterbinden. Dafür wurde sie sogar mit einem robusten Mandat ausgestattet. Doch in beiden Fällen hat die UN-Truppe vollständig versagt. Nicht nur hat sich die Hisbollah seit 2006 nur umso massiver an der israelischen Grenze festgesetzt, sie hat auch ihr Raketenarsenal vervielfacht, das sie nun zum Dauerbeschuss der israelischen Zivilbevölkerung nutzt. Das alles hat UNIFIL untätig zugelassen.
Versagen von UNIFIL
Ihre Präsenz im Libanon hat sich somit bestenfalls als nutzlos erwiesen, schlimmstenfalls dient sie den Machenschaften der Hisbollah als Tarnmantel. Dass sich Hisbollah-Einheiten auf UNIFIL-Gelände verschanzen, wie Israel behauptet, ist jedenfalls durchaus denkbar. Ob Israels Aussage, es habe nur solche verdeckte Hisbollah-Stellungen angegriffen und nicht gezielt die UN-Truppe selbst, stimmt oder nicht – seine Forderung, die UNIFIL möge sich, wenn sie den Terror schon nicht eindämmen kann oder will, wenigstens aus der Schusslinie begeben und aus dem Libanon abziehen, ist völlig berechtigt.
Während Israel von realen Todfeinden in seiner Existenz bedroht wird, beruhen die Vorwände Russlands für seinen Überfall auf die Ukraine ausschließlich auf propagandistischen Lügen und Erfindungen. Das Märchen von „ukrainischen Faschisten“ und dem „kollektiven Westen“, die Russlands Sicherheit bedrohten, soll nur die wahre Absicht des Kreml verschleiern, die ukrainische Nation auszulöschen.
Wer Israels Verteidigungskrieg mit diesem unprovozierten russischen Angriffskrieg in einem Atemzug nennt, verhöhnt nicht nur das internationale Recht, sondern relativiert auch die Dimension der Verbrechen Russlands. Nicht Israel bekämpft die internationale Rechtsordnung und will die bestehende Weltordnung zerstören. Es ist vielmehr die antiwestliche Allianz aus Russland und Iran sowie dessen Proxys Hamas und Hisbollah, auf die das zutrifft.
Der Text ist zugleich auf Ukrainisch als Kolumne hier erschienen.