Fall Nawalny: Die Querfront der Putin-Weißwäscher

Man braucht gar keine virenschleudernde Corona-Leugner, delirierende New-Age-Esoteriker und in Putschlaune schwelgende rechtsextreme Reichstagsstürmer, um in diesem Land mit haarsträubenden Verschwörungsfantasien versorgt zu werden.

Wenn es darum geht, Putins antiwestliches Mafia-Regime reinzuwaschen, laufen diesbezüglich auch führende Köpfe der – von der SPD-Spitze soeben erst gleichsam offiziell zur koalitionsfähigen demokratischen Kraft geadelten – SED-Nachfolgepartei zu Höchstform auf.

Gregor Gysi: In Wahrheit wars der Ami

Gregor Gysi, angeblich ehrbarer Elder Statesman der Linkspartei und als vermeintlich grandioser Polit-Entertainer verehrter Darling deutscher Medien, hat ein schlagendes Argument parat, das den Gedanken an eine Beteiligung Putins an dem Nowitschok-Anschlag auf Alexej Nawalny ad absurdum führen soll: „Der Putin muss doch bescheuert sein, wenn er sowas macht. Er weiß doch, dass das die Beziehungen zum Westen noch mehr verschlechtert. Na klar, wo den Kreml-Chef doch bekanntlich keine größere Sorge umtreibt, als gute Beziehungen zum Westen zu pflegen. In alter DDR-Tradition hat Gysi dann aber noch eine Gegenthese, will sagen, eine propagandistische Retourkutsche im Repertoire: Die Täter waren vermutlich, wer sonst, finstere US-amerikanische Hintermänner, die Nord Stream 2 torpedieren wollen.

Den führenden russischen Oppositionellen mit einem seltenen und, weil nur Geheimdienste Zugang zu ihm haben, verräterischen Nervengift umzulegen, um ein Pipeline-Projekt zu diskreditieren, klingt irgendwie nach einer besonders trickreichen klandestinen CIA-Operation. Wenn es dem bösen Ami aber nur darum geht, Russland einzukreisen und Putin fertig zu machen – wäre es da nicht vielleicht logischer, den aussichtsreichsten Herausforderer des neuen Zaren an die Macht zu schleusen, statt ihm das Lebenslicht auszublasen, nur damit die US-Energieindustrie in Europa ein bisschen mehr Flüssiggas verkaufen kann? Man muss schon ziemlich bescheuert sein, um das für eine ernsthafte Hypothese zu halten.

Dass Gysi mit seinen wirren Eingebungen von Kreml-Schranzen wie der linken Außenpolitikexpertin Sevim Dagdelen intellektuell noch unterboten wird, kann nicht überraschen. Kräftig unterstützt werden die Linken bei ihrer dreisten Verwirrungs- und Vernebelungskampagne indes von ihrem vermeintlichen Antipoden auf der äußersten Rechten: Auch die völkisch-nationalistische AfD zweifelt dienstbeflissen die Urheberschaft Putins am Giftanschlag an und mahnt die Bundesregierung vorauseilend, deshalb – soll wohl heißen: wegen einer solchen Lappalie wie dem völkerrechtswidrigen Einsatz von Nervengift? – bloß nicht Nord Stream 2 infrage zu stellen und dadurch „die deutsche Energiesicherheit zu gefährden“.

Wolfgang Kubicki: Der Führer hat es nicht gewusst

Und auch der darf im Chor der Putin-Weißwäscher nicht fehlen: Wolfgang Kubicki, seit Jahren Trommler für die Aufhebung der Sanktionen gegen Kreml und jener FDP-Spitzenpolitiker, der schon hinter dem Maidan-Aufstand den finsteren Drahtzieher USA am Werke sah, kann und will sich sich einfach nicht vorstellen, dass Russlands Präsident derartig schlimme Dinge anordnen könnte. Da kämen schon eher irgendwelche Kräfte im Machtapparat in Frage, die auf eigene Faust handelten. Dass es so etwas geben könnte, widerspricht zwar der Expertise sämtlicher ernst zu nehmender Russlandexperten, aber um eine Nebelkerze zu werfen, ist Kubicki dieser ignorante Quatsch allemal gut genug. Tja, wie er konnten sich halt einst auch jene deutsche Volksgenossen so manches nicht vorstellen, die ausriefen: „Wenn das der Führer wüsste!“

Die Naivität des versierten und erfahrenen Putin-Verstehers Kubicki ist freilich nur gespielt. Dass die angeblich liberale FDP einen solchen sinisteren Apologeten einer autoritären Macht unverdrossen weiterhin in ihren Führungsgremien duldet, sagt einiges über ihre Glaubwürdigkeit aus.

Trump auf der Seite der Linken

Doch die Linken haben in dieser Causa noch einen bedeutenderen, höchst bemerkenswerten Verbündeten: US-Präsident Donald Trump. Der spielt den Giftanschlag herunter: Es lägen ihm noch keine Beweise für eine Verwicklung des Putin-Regimes vor, sagte er vor der Presse, auch wenn er die Erkenntnisse Deutschlands darüber nicht unbedingt anzweifeln wolle. Ansonsten hielt sich mit Kritik an Moskau zurück und betonte stattdessen, er habe „eine gute Beziehung zum russischen Präsidenten Wladimir Putin.“ Doch stellt sich da die Frage: Seit wann braucht Trump, der chronische, systematische Lügner und Betreiber einer fiktionalen Parallelrealität, überhaupt für irgendetwas Beweise? Offensichtlich nur, wenn es darum geht, seinem Idol und Gönner im Kreml die Stange zu halten.

Heutzutage ist man ja einiges an aberwitzigen Kombinationen gewöhnt, doch das ist schon wirklich irre: dass Trump ganz ähnlich wie die Linkspartei redet, wo die doch gerade ihn als den eigentlichen Auftraggeber der Nowitschok-Geheimoperation zum Schaden Putins ausgemacht haben will.

Des Kremls verheerendste Waffe

Das Putin-Regime lässt unliebsame Kritiker im In- und Ausland umbringen, bombardiert in Syrien gezielt Zivilisten und deckt Assads Giftgaseinsätze, hält einen Teil eines souveränen europäischen Landes militärisch besetzt und hat einen anderen annektiert, schickt Söldnertruppen nach Libyen und vermutlich auch Venezuela, die außerhalb des Völker- und Kriegsrechts agieren – diese Liste seiner verbrecherischen Taten lässt sich noch verlängern.

Aber keine Waffe des Kreml ist auf lange Sicht so verheerend wie die von seinen Desinformationsapparaten betriebene systematische Verwirrung der Hirne und Unterminierung der Fähigkeit, Tatsachen von Fiktion, Lüge von Wahrheit zu unterscheiden. Erfolg kann er damit in der hiesigen Öffentlichkeit freilich nur haben, weil ihm durch einen weit verbreiteten wurschtigen Relativismus, der noch die abartigsten von geheimdienstlichen Desorientierungsspezialisten eingespeisten Propagandaerfindungen als Ausdruck einer „anderen, abweichenden Meinung“ durchgehen lässt, ein Nährboden bereitet wird. Und weil hierzulande, quer durch die politischen Lager verteilt, Papageien des Kreml bereitstehen, um die plumpen Vorlagen der Kreml-Gehirnwäscheabteilung in „Argumente“ umzuwandeln.

Über den Autor

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

von Richard Herzinger

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

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