Desinformation: So steuert der Kreml deutsche Debatten

Während die russischen Invasionstruppen in der Ukraine schwere Rückschläge hinnehmen müssen und die militärischen Fähigkeiten Russlands insgesamt massiv in Zweifel geraten, bleibt die Desinformation eine effektive Waffe des Moskauer Völkermörderregimes in seinem hybriden Krieg gegen den Westen. Das wurde kürzlich durch eine vom Kreml initiierte und orchestrierte Kampagne gegen Außenministerin Annalena Baerbock exemplarisch deutlich.

Bei einer Podiumsdiskussion in Prag hatte Baerbock erklärt, sie werde der Ukraine so lange zur Seite stehen wie diese das brauche. Dieses Versprechen werde sie einhalten, „egal was meine deutschen Wähler sagen.“ Letztere hätten ja die Möglichkeit, ihr bei der nächsten Wahl nicht mehr ihre Stimme zu geben, falls sie damit nicht einverstanden seien. Die Außenministerin hatte also nur ihre bekannte Position bekräftigt und sich als vorbildliche Demokratin präsentiert, die für das Festhalten an prinzipiellen Positionen sogar ihre Abwahl riskiert.

Ein Video, das ihre Äußerungen dokumentiert, wurde jedoch in den Fälscherwerkstätten des Kreml so manipuliert, dass sie eine ganz anderen Sinn ergaben. Baerbock habe demnach gesagt, für sie stehe die Ukraine an erster Stelle, während ihr die deutschen Bürger und die sozialen Härten, die ihnen in der aktuelle Krise drohen, gleichgültig seien.

Desinformation weltweit

Kaum war die Desinformation in die sozialen Medien und die Propagandakanäle des Kreml eingespeist, wurde sie innerhalb von Minuten von kremlnahen Netzwerken rund um die Welt verbreitet. Bald fand die angebliche Äußerung Baerbocks auch den Weg  in die deutschen etablierten Medien und löste heftige Kontroversen aus, empörte Rücktrittsforderungen eingeschlossen.

Dass es der russischen Propagandamaschine so leicht gelingen kann, in Deutschland Debatten loszutreten und in ihre Richtung zu lenken, zeigt, wie wenig die deutsche mediale Öffentlichkeit nach wie vor gegen die  Methoden der russischen Desinformationskriegsführung gewappnet ist. Längst müsste doch klar sein, dass Baerbock wegen ihrer klaren pro-ukrainischen Positionierung längst ein bevorzugtes Ziel der Zersetzungsoperationen des Putin-Regimes geworden ist. Und nicht weniger bekannt sein müsste das Kreml-Narrativ, das durch Propagandaoperationen wie die gegen die Außenministerin in der deutsche Öffentlichkeit verankert werden soll. Ihm zufolge schaden die Sanktionen gegen Russland und die Unterstützung für die Ukraine der deutschen Wirtschaft und gefährden den Lebensstandard der Deutschen. Für steigende Energiepreise und entsprechende soziale Verwerfungen seien dementsprechend die Politiker verantwortlich, die diese Sanktionspolitik sowie Waffenlieferungen an die Ukraine befürworten.

Damit wird der wahre Sachverhalt zynisch auf den Kopf gestellt. Sind doch nicht die Abwehrmaßnahmen gegen die russische Aggression die Ursache für die aktuelle Energiekrise, sondern die jahrelange verheerend falsche Energiepolitik Berlins, die Deutschland und Europa in Abhängigkeit von einem verbrecherischen Regime gebracht und dessen erpresserischer Willkür ausgesetzt hat.

Die dahinter steckende Propagandalüge, nach der Europa nur in gutem Einvernehmen mit Russland wirtschaftlich prosperieren könne, wird in Deutschland von der rechtsextremen AfD ebenso eifrig verbreitet wie von großen Teilen der SED-Nachfolgepartei Die Linke. Doch auch die Argumentation vermeintlich seriöser Politiker der „bürgerlichen Mitte“ folgt diesen vom russischen Aggressor vorgegebenen Prämissen russischer Desinformation. So fordert etwa der CDU- Ministerpräsiden Sachsens, Michael Kretschmer, um Deutschland vor einem katastrophalen ökonomischen und sozialen Absturz zu bewahren, müsse der Dialog mit Moskau baldigst wieder aufgenommen werden – mit dem Ziel, den Krieg schnellstmöglich „einzufrieren“.

Desorientieren und spalten

Im selben Sinne fordert der stellvertretende Vorsitzende der FDP und Vizepräsident des deutschen Bundestags, Wolfgang Kubicki, die sofortige Öffnung der Gaspipeline Nord Stream 2. Und Sozialdemokraten wie Ralf Stegner, Bundestagsabgeordneter und ein führender Kopf der SPD-Parteilinken, warnen, die deutsche Bevölkerung werde soziale Einbußen, die durch die Unterstützung der Ukraine verursacht würden, auf Dauer nicht hinnehmen. Deshalb müsse der Krieg „durch Diplomatie“ zügig beendet werden.

Ausgerechnet solche Politiker spielen sich somit als Hüter des Lebensstandards  der deutschen Bevölkerung auf, die mit ihrer besonders ausgeprägten Kremlnähe wesentlich dazu beigetragen haben, dass Deutschland überhaupt in die jetzige Lage gekommen ist. Kretschmer etwa hat noch im Juni 2021 bei einem Besuch in Moskau Putin unterwürfig umschmeichelt und ihn zu einem Gegenbesuch nach Dresden eingeladen. Kubicki hat die  Sanktionen gegen Russland wegen der Krim-Annexion und Donbass-Invasion von Anfang an scharf abgelehnt und dazu die antiamerikanische Verschwörungstheorie verbreitet, die Sanktionen seien ein Manöver Washingtons, um einen „Regime Change“ in Moskau herbeizuführen – was Kubicki als „völkerrechtswidrig“ brandmarkte.

Trotz dieser Nähe zu einer aggressiven feindlichen Macht können die genannten Politiker unbehelligt in ihren Ämtern bleiben und werden in der deutschen Öffentlichkeit weiterhin als relevante, unabhängige Stimmen wahrgenommen. Übersehen wird dabei, dass von ihnen stereotyp verwendete Floskeln wie die, man dürfe die Debatte nicht auf die Frage von Waffenlieferungen „reduzieren“, sondern müsse auch die Suche nach „diplomatischen Lösungen“ umfassen, Kodierungen im Sinne der Kreml-Propaganda sind.

Je schlechter es mit seinem Vernichtungsfeldzug gegen die Ukraine vorangeht, desto mehr konzentriert sich das russische Regime darauf, die westliche öffentliche Meinung durch Desinformation zu desorientieren und die demokratischen Gesellschaften zu spalten. Dabei hat der Kreml vor allem Deutschland im Visier: Gelänge es, so sein Kalkül, Berlin aus der westlichen Solidaritätsfront herauszubrechen, werde die internationale Unterstützung für die Ukraine bald ganz versiegen. Es ist höchste Zeit, dass sich die deutsche Öffentlichkeit der Dimension dieses Angriffs bewusst wird und sich ihm gegenüber angemessen abwehrbereit zeigt.

Zuerst erschienen auf Ukrainisch als Kolumne hier: Український тиждень (The Ukrainian Week; tyzhden.ua).

Über den Autor

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

2 Kommentare

  • Herr Herziger, ich stimme Ihrem Rèsumè im letzten Absatz zu. Aber auch in der Darstellung die Verwicklungen(um nicht von Korrumpierbarkeit zu sprechen) wichtiger politischer Protagonisten mit dem Putinregime, wird deutlich.
    Und so stellt sich mir die Frage, wie einzelne Vertreter unseres Parlamentes, erinnert bzw. ermahnt werden können ihrer primären Verantwortung“dem deutschen Volke“ gegenüber gerecht zu werden? Weit vor dem nicht zu ignorierendem machtpolitischem Egoismus.

von Richard Herzinger

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

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