Warum nur der Sieg der Ukraine zum Frieden führt

Eines haben die Putin-Liebedienerinnen Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer nebst ihrer Gefolgschaft mit ihrem „Manifest für Frieden“ bereits erreicht: Die Debatte über Putins Vernichtungskrieg gegen die Ukraine hat sich hierzulande auf die Frage verlagert, wie, wann und unter welchen Bedingungen „Verhandlungen“ mit Russland über einen „gerechten Frieden“ (so Bundeskanzler Scholz) aufgenommen werden könnten.

Selbst diejenigen Stimmen in der deutschen Öffentlichkeit, die sich entschieden gegen die von Wagenknecht & Co. erhobene faktische Kapitulationsforderung an die Ukraine wenden, erwecken in ihren Repliken darauf meist den Eindruck, mit dem putinistischen Terrorregime sei unter gewissen Umständen überhaupt so etwas wie ein verlässlicher Friedensschluss möglich. Der Tenor dieser Position ist, die Ukraine müsse militärisch gestärkt werden, um ihr, wenn die Zeit dafür gekommen sei, eine „möglichst günstige Position am Verhandlungstisch“ zu sichern.

So dozierte der Historiker Herfried Münkler unlängst in einem „Spiegel“-Essay darüber, wie Kriege in der Geschichte zu Ende gehen pflegen: Ernsthafte Verhandlungen über einen haltbaren Frieden kämen erst zustande, wenn beide Seiten zu der Einsicht gelangten, dass sie ihre „Maximalziele“ nicht mehr oder nicht mehr zu hinnehmbaren Kosten erreichen können. Damit jedoch impliziert Münkler, dass auch die Ukraine „Maximalziele“ verfolge, von denen sie irgendwann werde abrücken müssen.

Ukrainische „Maximalziele“?

Was ihm bei seinem kriegshistorischen Überflug jedoch entgeht, ist die Tatsache, dass für die Ukraine ihr „Maximalziel“ mit ihrem Minimalziel identisch ist – nämlich ihre Auslöschung durch einen von Putins Russland detailliert geplanten und offen angekündigten Völkermord zu verhindern. Dazu aber bleibt ihr keine andere Wahl, als den mörderischen Aggressor vollständig zu besiegen und von ihrem Territorium zu vertreiben. Im deutschen Diskurs rückt jedoch zunehmend in den Hintergrund – wenn es nicht gänzlich ausgeblendet oder gar bestritten wird -, dass Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine kein „gewöhnlicher“ Eroberungskrieg ist, der mit irgendeiner Art von territorialem Kompromiss beendet werden könnte, sondern ein offen propagierter Ausrottungsfeldzug gegen die ukrainische Nation und Identität.

Dabei liegt der Tatbestand des Genozids nicht, wie bisweilen suggeriert wird, erst dann vor, wenn ein gesamtes Volk physisch ausgelöscht wird. Unter russischer Herrschaft würden wohl Ukrainer am Leben gelassen werden – nur eben nicht als Ukrainer, sondern als nach den Vorgaben des russisch-nationalistischen Herrenmenschentums zugerichtete „Kleinrussen“. Wer sich dieser Zurichtung widersetzt, muss mit Ermordung, Vergewaltigung, Folter, Deportation und „Umerziehung“ rechnen. (Auch massenhafte Zwangssterilisierungen sind von Propagandisten des Regimes bereits ins Spiel gebracht worden.)

Zwar herrscht in der deutschen Öffentlichkeit mehrheitlich Einigkeit darüber, dass die russischen Truppen in der Ukraine schwere Kriegsverbrechen begehen, doch nur die wenigsten Analysten und Kommentatoren sprechen aus, dass diese Bestandteil eines von der obersten Führung in Moskau gewollten und angeordneten systematischen Vernichtungsstrategie sind. Würde man dies tun, geriete es schwierig zu erklären, wie und über was man mit den Urhebern dieses größten Menschheitsvebrechens in Europa seit 1945 eigentlich verhandeln will. Ganz abgesehen davon, dass die russische Führung kategorisch Verhandlungen ausschließt, denen nicht die Kapitulation der Ukraine und des Westens vor Moskaus maßlosen globalpolitischen Machtansprüchen vorausgeght. Soeben erst hat Putin seinen Chefeinpeitscher an der diplomatischen Front, Sergej Lawrow, erklären lassen, Verhandlungen kämen für Russland nur unter der Voraussetzung in Betracht, dass eine „neue Weltordnung“ installiert wird, in der die USA keine relevante Rolle mehr spielen.

Abgelenkt wird mit der hiesigen Gespensterdebatte über mögliche Verhandlungen von der Frage, auf die es wirklich ankommt: wie schnellstmöglich die maximale militärische Unterstützung der Ukraine gewährleistet werden kann, die sie zum vollständigen Sieg über die völkermörderischen Invasoren befähigt. Denn nur ein solcher, die Befreiung ihres gesamten Territoriums umfassender Sieg kann ihre Fortexistenz als souveräne Nation und demokratischer Staat garantieren – und nur durch ihn kann der Frieden in ganz Europa, ja der globale Frieden insgesamt tatsächlich gesichert werden. Der Ukraine zum Sieg zu verhelfen, ist die letzte Chance für die westlichen Demokratien, selbst dem Krieg zu entgehen.

Fatales westliches Zögern

Dazu sind vom Westen gerade jetzt äußerste Anstrengungen zur unverzüglichen massiven Stärkung der ukrainische Armee gefordert. Steht sie doch in der Ostukraine, vor allem in der Schlacht um Bachmut, unter massivem Druck. Noch hält sie dem Ansturm der Invasoren in Teilen der Stadt stand, doch schon bald könnte ihr keine andere Wahl mehr bleiben, als sie gänzlich aufzugeben und sich zurückzuziehen. In den seit Monaten andauernden Kämpfen um die Stadt muss der Aggressor zwar gewaltige Verluste hinnehmen – aber auch auf ukrainischer Seite ist die Zahl der Gefallenen und Verwundeten immens.

Der Westen trägt für diesen schrecklichen Blutzoll, den die Ukraine für die Verteidigung nicht nur ihrer, sondern auch unser aller Freiheit erbringen muss, eine gravierende Mitverantwortung. Denn er hat die Lieferung von Waffen und Munition, die von den ukrainischen Streitkräften zur Abwehr der seit langem absehbaren neuerlichen russischen Großoffensive dringend benötigt werden, auf sträfliche Weise verzögert. Die adäquate Bewaffnung, mittels derer die Ukraine im vergangenen Herbst in den Stand hätte versetzt werden können, ihre Gegenoffensive fortzusetzen und Putins Terrorararmee weiter zurückzudrängen, blieb aus. Statt dessen konnte Russland seine Truppen für die jetztige neue Angriffswelle reorganisierenwährend den ukrainischen Streitkräften  die Munition auszugehen droht.

Welche strategische Auswirkung der abzusehende Fall Bachmuts auf den weiteren Kriegsverlauf haben würde, ist unter Experten umstritten. Es ist jedoch davon auszugehen, dass jede Niederlage der Ukraine auf dem Schlachtfeld für sie einen psychologischen und symbolischem Rückschlag bedeutet, der ihre Verteidigungskraft zu erschüttern droht. Wenn aber für die Ukraine nach wie vor die Gefahr besteht, den Krieg zu verlieren, muss das die gesamte freie Welt in höchsten Alarmzustand versetzen.

Gegenoffensive

Das bedeutet, dass die NATO – wenn sie schon weiter darauf beharrt, unter keinen Umständen direkt in den Krieg einzugreifen – ihre Militärhilfe für das überfallene Land schnellstens weit über den jetzigen Stand hinaus quantitativ und qualitativ steigern muss. Als erstes muss dazu die absurde Unterscheidung in Defensiv- und Offensivwaffen fallengelassen werden. Die Ukraine braucht am dringendsten große Mengen an Munition, vor allem für die Luftabwehr, sie braucht aber auch schleunigst Kampfjets, modernste Luftabwehrsysteme, Kriegsschiffe und Artillerie mit optimaler Reichweite, mittels der sie Stellungen und Nachschubwege des Aggressors auch auf russischem Gebiet zerstören kann – wozu sie im Rahmen ihrer Selbstverteidigung jedes Recht hat. 

Die ukrainische Armee muss mit allen notwendigen Mitteln für ihre geplante neue Gegenoffensive ausgestattet werden, durch die sie den Krieg möglichst noch in diesem Jahr für sich entscheiden kann. Denn ein lang andauernder „Abnutzungskrieg“, mit dem sich manche deutsche Politiker und Experten bereits abgefunden zu haben scheinen, spielt der strategischen Kalkulation des Kreml in die Hände, der sich auf der ausgedehnten Zeitschiene am längeren Hebel wähnt.

Grigori Judin, einer der führenden Soziologen Russlands und Regimekritiker, hat den Westen kürzlich vor der Annahme gewarnt, dass sich Pu­tin, weil er sich mit seinem Angriffskrieg verkalkuliert hat, über kurz oder lang zu Zugeständnissen genötigt sehen werde. Putin werde seine ursprünglichen Kriegsziele nie aufgeben, denn er sei überzeugt davon, dass die Ukraine Russland zustehe. (Soeben erst hat sein wüstester Hassprediger, Dmitri Medwedjew, die Ukraine einmal mehr explizit als ein Teil „Großrusslands“ bezeichnet.) Der Kremlchef ist nach Judins Einschätzung bereit, so viel Blut zu vergießen wie es sein Kriegsziel er­fordert – im Gegensatz zu den westlichen Unterstützern Kyjiws, die seinem Kalkül gemäß irgendwann nicht mehr bereit sein würden, ihre kostbaren Ressourcen für die Ukraine zu opfern.

Kult der Gewalt

Und es gibt beunruhigende Anzeichen dafür, dass diese Rechnung des Kreml aufgehen könnte. In der hiesigen Öffentlichkeit wächst die Gewöhnung an die unvermindert andauernde russische Aggression und die Abstumpfung gegenüber den fortlaufenden horrenden Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die von den Aggressoren begangen werden. Je länger der russische Zivilisationsbruch mitten in Europa Realität ist, umso mehr nimmt er in der Wahrnehmung der westlichen Gesellschaften Züge von „Normalität“ an. Auf diesem Nährboden keimt dann verstärkt die Frage auf, ob hinter dem russischen Vernichtungskrieg nicht doch in irgendeiner Weise legitime Ansprüche steckten, auf die man als Basis für „Verhandlungen“ eingehen sollte.

Doch wer glaubt, Putin sei dadurch zu besänftigen, dass man ihm Stücke ukrainischen Territoriums in den Rachen wirft und damit unzählige Ukrainerinnen und Ukrainer seiner von abgründigem Hass getriebenen Willkür preisgibt, hat das von Grund auf bösartige Prinzip seines Herrschaftssystems noch immer nicht begriffen. Der Angriffskrieg ist für das putinistische Regime nicht bloß ein Mittel zum Zweck – etwa der Eroberung von ein paar zusätzlichen Territorien -, er ist vielmehr sein Lebenselexier und zugleich der genuine Ausdruck seines innersten Wesenskerns.

Die Unterwerfung oder Vernichtung von allem, das sich dem Allmachtsanspruch der „russischen Welt“ entgegenzustellen wagt, ist der einzige Daseinszweck dieses Regimes, das sich dafür zur Anwendung jeder Art von exzessiver Gewalt berechtigt hält. Mehr noch, es betreibt eine kultische Verherrlichung entfesselter Gewalt und berauscht sich an der Entmenschlichung der Opfer, auf die sie abzielt. Daher ist es auch undenkbar, dass das Putin-Regime jemals von seiner Absicht abrücken wird, die gesamte Ukraine in seiner „russischen Welt“ verschwinden zu lassen. Denn es hat in seinem paranoiden Wahn die Liquidierung der Ukraine zu einer zentralen Überlebensfrage Russlands erklärt und damit sein eigenes Schicksal daran geknüpft.

Eroberungsziel Deutschland

„Moderner russischer Imperialismus hat keine rote Linien mehr und ist schon gar nicht bereit, irgendwelche Grenzen zu akzeptieren“, stellt Grigori Judin fest. Die Defizite der russischen Armee, die sich im bisherigen Kriegsverlauf offenbart haben, dienten dem Kreml-Regime nur zum Anlass, sie rapide zu vergrößern sowie die Wirtschaft und das Bildungssystem nach militärischen Prioritäten umzubauen für den großen Krieg gegen den Westen, den es als unausweichlich betrachtetDabei hat Putin im ersten Schritt nicht nur die Rückeroberung der osteuropäischen und baltischen Staaten im Visier, er zielt auch auf Deutschland, und zuvörderst darauf, Kontrolle über das ehemalige Territorium der DDR zurückzugewinnen.

Putin sei nicht entgangen, so Judin, dass es innerhalb Deutschlands, vor allem zwischen Ost und West, große Unterschiede in der Beurteilung des Ukraine-Krieges gibt. Diese werde er sich zunutze machen, so dass deutsche Politiker und Politikerinnen wie Sahra Wagenknecht Aufwind erhalten würden. „Gelingt außerdem Putins Expansion in Osteuropa, wird er Erfolge feiern, so werden in Ostdeutschland immer mehr Menschen sich die Frage stellen, ob sie lieber mit den USA oder mit Russland verbündet sein wollen“, beschreibt Judin die strategischen Visionen des Kreml.

Wer noch immer nicht glauben will, dass die Kriegspläne des Kreml weit über die Ukraine hinausreichen, für den hat Russland soeben schwarz auf weiß eine neue außenpolitische Doktrin in Kraft gesetzt, die einer offenen Kriegserklärung an den Westen gleichkommt. „Die Russische Föderation beabsichtigt, der Beseitigung (…) der Dominanz der Vereinigten Staaten und anderer unfreundlicher Länder in der Weltpolitik Priorität einzuräumen“, heißt es darin. Zu diesen „unfreundlichen Ländern“ zählt selbstredend auch Deutschland. Putins belarusischer Satrap Lukaschenko erklärt mittlerweile, dass sich „der Dritte Weltkrieg mit nuklearen Bränden bereits am Horizont abzeichnet.“

Peking heuchelt Frieden

Alles andere als eine vollständige militärische Niederlage in der Ukraine würde das russische Regime nur darin beflügeln, seine Aggression auf ganz Europa auszuweiten. Es gibt nur eine Möglichkeit, es von diesen Plänen abzubringen: seine miltärische Fähigkeit zu brechen, sie zu realisieren. Doch wie akut die Bedrohung durch die russischen Vernichtungskrieger auch für uns im Westen ist, hat noch längst nicht in vollem Umfang das Bewusstsein der hiesigen Öffentlichkeit erreicht. Immer noch herrscht das Bild vor, es handele sich bei dem Krieg gegen die Ukraine um einen Konflikt an der europäischen Peripherie, der am Ende doch auf irgendene Weise einvernehmlich entschärft werden könne, wodurch man zumindest parziell in die vermeintliche Stabilität von vor dem 24. Februar 2022 zurückkehren würde.

Im Zuge der weit verbreiteten Sehnsucht nach einer „Verhandlungslösung“ wurde in Teilen der deutschen politischen und medialen Öffentlichkeit in den vergangenen Monaten emsig die Vorstellung kultiviert, das totalitäre China strebe mit seinem „Friedensplan“ für die Ukraine tatsächlich so etwas wie eine „Vermittlerrolle“ zwischen dem Aggressor und seinem Opfer an. Diese Illusion sollte mit dem kürzlichen Besuch Xi Jinpings bei Wladimir Putin eigentlich jäh zerplatzt sein – auch wenn Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hartnäckig weiter auf Pekings Hilfe bei dem Unterfangen zu setzen scheint, Russland „zur Vernunft zu bringen“. Um Chinas starken Mann zu beeindrucken, fällt Macron nun sogar dem transatlantischen Bündnis in den Rücken, indem er sich von der US-Unterstützung für Taiwan distanziert – und in bizarrem Gleichklang mit der chinesischen Propaganda erklärt, die Europäer dürften nicht zu „Vasallenstaaten“ Washingtons werden.

In seinen Abschiedsworten an seinen russischen Spießgesellen am Ende seines Moskau-Besuchs hatte Xi jedoch unverblümt ausgesprochen, was er in Wahrheit im Sinne hat: Gemeinsam mit Moskau die auf westlichen Werten gegründete liberale Weltordnung zu eliminieren und an ihre Stelle eine nach seinen autokratischen Vorgaben funktionierende Struktur der internationalen Beziehungen zu setzen. Das meinte Xi, als er seinem „lieben Freund“ Putin zurief, es stünden in der Welt „Veränderungen bevor wie„seit einhundert Jahren nicht mehr“. 

Ukraine und Taiwan

Und genau das meinte der chinesische Diktator, als er bei seinem Treffen mit Macron und der EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen in Peking Frankreich und die EU zu „strategischer Autonomie“ gegenüber den USA drängte. Seine Forderung, die Beendigung des Ukraine-Kriegs müsse mit dem Aufbau eines „ausgewogenen europäischen Sicherheitsrahmens“ einhergehen, meint in verklausulierter Formulierung exakt dasselbe wie die Forderung Russlands nach einer grundlegenden Revision der europäischen Sicherheitsordnung, was bedeutet: nach einer garantierten russischen Einflusszone, die weit nach Ost- und Mitteleuropa hineinreichen soll.

Xi Jinpings totalitäres China will keinen „gerechten Frieden“, sondern steht in Wirklichkeit voll und ganz hinter Putin und seinem Krieg. Die Art und Weise aber, wie in Teilen der deutschen und europäischen Öffentlichkeit über alle möglichen vermeintlichen Widersprüchlichkeiten und Dilemmata der chinesischen Haltung gegenüber Putins Russland spekuliert und den Machthabern in Peking eine potenziell konstruktive Rationalität zugeschrieben wird, erinnert fatal an die Beharrlichkeit, mit der sich unsere Eliten jahrzehntelang den russischen Verbrecherstaat schöngemalt haben. Das Erwachen wird nicht weniger bitter sein als es für viele am 24. Februar 2022 in Bezug auf Russland war.

Auch für die künftige Stellung Chinas in der Welt ist der Ausgang des russischen Angriffskriegs von maßgeblicher Bedeutung. Der Sieg der Ukraine würde Pekings globalem Vorherrschaftsstreben einen empfindlichen Dämpfer versetzen. Namentlich seine Invasionspläne gegenTaiwan müsste es dann wohl noch einmal gründlich überdenken. Sollte sich dagegen Russland durchsetzen, würde sich Xi Jinping in seiner Einschätzung bestätigt sehen, die westliche Welt habe ihre historische Rolle ausgespielt und sei nunmehr sturmreif.

Kein Frieden mit dem Bösen

Aber statt den Sieg der Ukraine als den Schlüssel zu einer Restabilisierung der internationalen Ordnung zu begreifen, verbreitet sich hierzulande das klischeehafte Urteil, dieser liege angesichts des ach so mächtigen Russland ohnehin außerhalb des Bereichs des Möglichen. Demnach blieben also in jedem Fall nur „Verhandlungen“. Je deutlicher indes wird, dass der Aggressorstaat Russland für Appelle zu Zurückhaltung und besserer Einsicht unempfänglich ist, umso mehr wendet sich der Unmut der Anhänger einer „Verhandlungslösung“ gegen die ukrainische Führung, die sich „pragmatischen“ Wegen zum Frieden verschließe und martialisch an ihren „Maximalzielen“ festhalte. Mit einer gewissen ungeduldigen Erwartung wird in den Medien allenthalben darüber spekuliert, wann die westlichen Regierungen Kyjiw endlich unter Druck setzen werden, „realistischere“ Kriegsziele zu akzeptieren und sich entsprechend „flexibler“ zu zeigen.

Doch die Ukrainerinnen und Ukrainer wissen aus schmerzlicher Erfahrung, dass es mit dem Bösen keinen Frieden geben kann. Sie werden ihren Kampf um Würde, Freiheit und Selbstbestimmung bis zum Ende führen. Der Westen seinerseits steht vor der Wahl, ob er auf ihrem ganzen Weg konsequent an ihrer Seite sein will oder sich von einem falsch verstandenen „Realismus“ und aus trügerischer Bequemlichkeit in die Irre führen lässt.

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Über den Autor

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

1 Kommentar

  • Ich stimme den obigen Ausführungen vollständig zu. Russland muss es darüberhinaus ebenso ergehen wie Deutschland nach 1945, damit ein langsames Umdenken in Russland zu Stande kommt.

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

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