Trumps Putsch: Letzte Warnung für die Demokratien

Was am 6. Januar in Washington geschah, war vom ersten Tag der Präsidentschaft von Donald Trump an abzusehen. Dass es tatsächlich soweit kommen konnte, ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass zu viele es dennoch nicht wahrhaben wollten.

Der Sturm des terroristischen Mobs auf das Kapitol in Washington muss den Verteidigern der Demokratie weltweit eine letzte Warnung sein.  Niemand sollte sich der Illusion hingeben, die von dem kriminellen Beinahe-Autokraten im Weißen Haus zum Aufstand gegen die demokratischen Institutionen aufgewiegelten potenziellen Bürgerkriegstruppen würden, nachdem sie aus dem Umkreis des Kapitols vertrieben wurden, nunmehr Ruhe geben. Ihr partiell erfolgreicher Angriff auf das Herzstück der US-Demokratie wird ihnen vielmehr als Fanal dafür dienen, weitere, noch weit brutalere Gewaltakte zu verüben.

Es wird zu klären sein, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass Trumps Sturmtruppen in den Kongress eindringen konnten, und warum nur unzureichende Polizeikräfte vor Ort waren, um das scheinbar Undenkbare zu verhindern. Undenkbar war dies nämlich in Wirklichkeit ganz und gar nicht, es war im Gegenteil zwingend absehbar. Trumps Putschversuch hat nicht erst mit den Ereignissen vom 6. Januar begonnen – diese waren vielmehr der folgerichtige bisherige Kulminationspunkt seiner jahrelangen Diffamierung und Unterminierung der institutionellen Normen und Regeln der Demokratie.

Trump muss vor Gericht gestellt werden

Trump hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er den ihm ergebenen Mob zu Gewalttaten aufhetzen werde, sollte seine Macht bedroht sein. Dass er dies nun tatsächlich tun konnte, ist die Folge der Unfähigkeit oder des Unwillens der amerikanischen wie der internationalen Öffentlichkeit, diese Drohung für bare Münze zu nehmen und die angemessenen Konsequenzen daraus zu ziehen. In erster Linie aber ist es Folge der Gewissenlosigkeit, mit der die Republikanische Partei diesen erklärten Feind jeglichen zivilisierten gesellschaftlichen Miteinanders gewähren ließ.

Wenn die amerikanische Demokratie noch die Kraft zur Selbstverteidigung aufbringt, muss sie jetzt mit unnachgiebiger Härte gegen die von Trump angeführten Insurgenten zurückschlagen. Die Rädelsführer des Sturms auf das Kapitol müssen ausfindig gemacht und hart bestraft, die bewaffneten Milizen, die für den Sturz der verfassungsmäßigen Ordnung mobil machen, müssen entwaffnet und aufgelöst werden. An erster Stelle aber müssten Vizepräsident und Kongress den noch amtierenden Gesetzesbrecher im Weißen Haus unverzüglich für abgesetzt erklären und so den Zugriff der Strafverfolgungsbehörden auf ihn ermöglichen.

Trump sollte wegen Hochverrat vor Gericht gestellt werden. Die Liste seiner offenen Gesetzesbrüche ist darüber hinaus lang. Sie haben Methode, und es ist deshalb nicht zu erwarten, dass er sich nach dem Ende seine Amtszeit an die Legalität und an die Grundregeln von Sitte und Anstand halten wird. Vorbehaltlich dessen, was diesbezügliche Ermittlungen der unabhängigen Justiz ergeben würden – für mich steht fest: Für Trump gibt es keinen anderen rechtmäßigen Platz mehr als hinter Gittern. Nur so können die normativen und moralischen Maßstäbe der politischen Kultur der USA wieder zurechtgerückt und einer Wiederholung des Aufstiegs einer zerstörerischen Gestalt vom Typus Trumps ins Zentrum der Macht vorgebeugt werden.

Die Geschichte zeigt: Es kann überall geschehen

Vor allem muss nun endgültig damit Schluss sein, sich die Gefahr damit schönzureden, die „Checks und Balances“ der Demokratie würden schon dafür sorgen, dass aggressive Hasardeure wie Trump im Zaum gehalten werden. Zwar stimmt es, dass sich die Institutionen der US-Demokratie in der aktuellen Krise als funktionsfähig und gegenüber den Erpressungsversuchen Trumps, mit denen er die Präsidentenwahl für ungültig erklären lassen wollte, als resilient erwiesen haben.

Doch die Geschichte der Machtergreifung der Bolschewiken ebenso wie der Mussolinis und Hitlers lehrt, dass auch die integersten und stabilsten Institutionen auf Dauer nicht standhalten können, wenn ihre Feinde zum Mittel nackter, hemmungsloser Gewalt greifen – und wenn es innerhalb dieser Institutionen Kräfte gibt, die glauben, dieser entfesselten Gewaltwalze durch die Verharmlosung der Gefahr, die von ihr ausgeht, und durch die Besänftigung ihrer Urheber Herr werden zu können.

Das schockierende Schauspiel in Washington am 6.Januar 2021 muss allen Verteidigern der demokratischen Ordnung ein für allemal klar machen: Was im 20. Jahrhundert in Russland, Italien und Deutschland geschah, kann heute wieder geschehen, es kann überall und jederzeit geschehen. Gefragt sind jetzt an erster Stelle jene Republikaner, die sich noch als gesetzestreue Bürger und nicht als jenseits des Rechts stehende Weltanschauungskrieger verstehen, offen zu erklären, ob sie im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung zu agieren bereit sind oder Bestandteil der Kräfte ihrer Zerstörung sein wollen. Trifft ersteres zu, müssen sich die Republikaner jetzt unmissverständlich und nachdrücklich von ihrem impliziten Bündnis mit rechtsextremen und anderen irrationalistischen Fanatikern lossagen.

Im Dienst einer antidemokratischen Macht

Man darf auch nicht außer Acht lassen, dass Trump mit einer ausländischen antidemokratischen Macht im Bunde steht – um nicht zu sagen, als deren Agent handelt: dem Putin-Regime. Trumps Aufstieg wäre in dieser Form ohne Putins lenkende Hand nicht möglich gewesen. Sein devotes Verhältnis gegenüber dem Kreml-Herrn wirft die Frage auf, ob sich Trump auch des Landesverrats schuldig gemacht hat. Das Putsch-Szenario, dem Trump folgt, ähnelt auffällig der Methode, mit der die vom Kreml gesteuerten  Terroristen 2014 auf der Krim die Macht an sich rissen. Und dass sich in den Hirnen der militanten Trump-Anhänger wahnwitzige Verschwörungsobsessionen festgesetzt haben, ist zu einem nicht geringen Teil den systematischen Desinformationsoperationen des russischen Regimes geschuldet.

Die westlichen Demokratien müssen auch in dieser Hinsicht endlich aufwachen. Die Bestrebungen des Kreml, die liberale demokratische Ordnung weltweit zu zerstören, dürfen nicht länger als nebensächliche Randerscheinung abgetan, sondern müssen mit aller Kraft als dem begegnet werden, was sie sind: Eine hybride Kriegsoffensive gegen die freie Welt, die deren Fortbestand akut bedroht.

An den wiederholten Versuchen der extremistischen „Querdenker“-Bewegung, in den Bundestag einzudringen, zeigt sich im übrigen, dass der gezielte Angriff auf die Parlamente ein durchgängiges Muster der aktuellen rechtsextremistischen Mobilmachung gegen die demokratische Ordnung darstellt. Die Extremisten wollen damit symbolisch die Schutz- und Wehrlosigkeit der parlamentarischen Demokratie demonstrieren, wollen gleichsam durch gezielte Tritte in deren Weichteile deren vermeintliche Schwächlichkeit illustrieren. Dem muss der demokratische Staat mit aller Entschlossenheit einen Strich durch die Rechnung machen. Jede feindselige Annährung an die gewählte Volksvertretung muss zukünftig als schwere Straftat eingestuft werden. Und der organisierte Angriff auf Recht und Gesetz, wie er der Daseinszweck von extremistischen Bewegungen wie den „Querdenkern“ ist, darf nicht länger mit der Inanspruchnahme von Meinungsfreiheit verwechselt werden. Nicht erst seit gestern wissen wir: Die größte Gefahr für die Demokratie ist die Unterschätzung ihrer Todfeinde.

Über den Autor

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

von Richard Herzinger

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

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