Raisi ist das wahre Gesicht des iranischen Regimes

Der Sieg von Ebrahim Raisi bei der Präsidentenwahl im Iran – die in Wahrheit eine manipulierte Wahlfarce war -, markiert das finale Scheitern der bisherigen europäischen Politik gegenüber dem Regime in Teheran. Die Bestrebungen der EU, das Atomabkommen von 2015 wiederzubeleben, sind damit am Tiefpunkt angelangt. Und die seit Jahrzehnten immer wieder erneuerte Erwartung einer „Liberalisierung“ des iranischen Herrschaftssystems wird dadurch drastisch konterkariert.

Raisi ist im Iran als besonders grausamer Schlächter bekannt und berüchtigt. Als Staatsanwalt und Inhaber verschiedener hoher Ämter im Regime ist er für zahllose Todesurteile gegen politische Gefangene und regimekritische Demonstranten verantwortlich. Menschenrechtsorganisationen sowie Sonderberichterstatter der UN werfen Raisi Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Dass  ausgerechnet er jetzt das Präsidentenamt übernimmt, macht einmal mehr den unveränderbar totalitären Charakter der iranischen Theokratie deutlich.

Die europäische Politik gegenüber dem iranischen Regime aber ist jahrzehntelang dem Mythos von den „Reformern“ innerhalb des Machtapparats gefolgt, die es gegen eine Fraktion von „Hardlinern“ zu stützen gelte. Um letzteren keinen Vorwand für eine weitere Verhärtung des Systems zu liefern, so lautete die daraus abgeleitete Doktrin, dürfe man den Iran nicht allzu hart anfassen und müsse um jeden Preis den „Dialog“, vor allem aber die Wirtschaftsbeziehungen mit ihm aufrechterhalten.

„Reformer“, die nichts reformieren

Zuletzt galt Raisis Vorgänger Hassan Rohani, wie vor ihm schon der von 1997 bis 2005 amtierende Mohammad Chatami, im Westen als ein solcher „Reformer“. Doch reformiert hat Rohani in seiner achtjährigen Amtsperiode seit 2013 nichts. Im Gegenteil, in diesem Zeitraum hat sich die Unterdrückungspraxis des Regimes weiter verschärft. Das gleiche gilt für den aggressiven, expansiven Kurs Teherans in der Region. Das zeigt: „Reformer“, die sich an der Staatsspitze mit „Hardlinern“ wie Ahmadinedschad und jetzt Raisi abwechseln, dienen dem islamistischen Regime lediglich als Staffage seines vermeintlichen „Pluralismus“. In Wirklichkeit handelt es sich bei dem Unterschied zwischen „Reformern“ und „Hardlinern“ allenfalls um den zwischen „Good Cop“ und „Bad Cop“.

Mit emphatischen Erwartungen eines Durchbruchs der „Reformer“ und einer Öffnung Irans für westliche Einflüsse war auch der Abschluss des Atomabkommens 2015 verbunden worden, das die nukleare Produktion Irans temporär beschränken sollte. Tatsächlich aber hatte dieser Deal verheerende Konsequenzen für die Stabilität im Nahen Osten. Dem iranischen Regime beließ er die technischen Kapazitäten, um sein Atomwaffenprogramm bei Bedarf wieder hochzufahren. Und die Ressourcen, die Teheran mit der Aufhebung westlicher Sanktionen hinzugewann, nutzte es keineswegs, um – wie vom Westen erhofft – die schwer angeschlagene iranische Wirtschaft anzukurbeln, sondern um verstärkt aufzurüsten und seine aggressiven Aktivitäten in der Region zu intensivieren.

Seit April konferieren nun in Wien die am Abschluss des Abkommens von 2015 beteiligten EU-Staaten Großbritannien, Frankreich und Deutschland sowie Russland und China mit dem Iran über eine Erneuerung dieses Deals. Zwar sind die USA an den Gesprächen bisher nur indirekt beteiligt, doch geht es darin primär um die Bedingungen, zu denen Washington bereit ist, dem unter der Präsidentschaft Donald Trumps aufgekündigten Abkommen wieder beizutreten.

Moskaus Doppelspiel

Trumps Ausstieg aus dem Atomdeal und sein Versuch, Teheran durch neue harte Sanktionen in  die Knie zu zwingen, schien konsequent, war jedoch zu kurz gegriffen. Denn Trump intensivierte zugleich die bereits von Obama begonnene Politik des US-Rückzugs aus dem Nahen Osten. Das aber befeuerte nur noch mehr das Hegemonialstreben des iranischen Regimes, das die Vertreibung der USA aus der Region als sein oberstes strategisches Etappenziel betrachtet. Und so sehr Sanktionen Irans Wirtschaft auch erschüttern mögen – sie allein können Teheran nicht zum Einlenken zwingen. Bei ihrer Umgehung kann sich das iranische Regime auf seinen Hauptverbündeten Russland sowie auf China verlassen, das ihm in großem Umfang Öl abkauft. Zudem zeigen Beispiele wie Nordkorea und zuletzt das Regime in Venezuela, dass autoritäre Machthaber den vollständigen wirtschaftlichen Niedergang ihres Landes aushalten, so lange ihre Herrschafts- und Repressionsapparate intakt bleiben.

Mittlerweile treibt Iran seine Nuklearrüstung wieder mit Hochdruck voran. Der erneute Versuch, sie durch vertragliche Vereinbarungen unter Kontrolle zu bringen, ist daher nicht grundsätzlich falsch, darf aber nicht zu einer bloßen Rückkehr zum Atomdeal von 2015 führen. US-Präsident Joe Biden hat den Wiedereinstieg Washingtons zu Recht mit weitreichenden Bedingungen verknüpft. Demnach muss sich Teheran nicht nur wieder strikt an die im Abkommen festgelegten Restriktionen halten, sondern zudem in Folgeverhandlungen einwilligen, die auch Irans Aufrüstung mit Mittelstreckenraketen und seine destabilisierenden Umtriebe in der Region zum Gegenstand haben.

Dass Teheran auf solche Bedingungen eingehen könnte, wird mit der Präsidentschaft von Raisi jedoch noch unwahrscheinlicher. Gilt Raisi doch als erbitterter Gegner des Atomdeals sogar in seiner Fassung von 2015. Zudem ist mittlerweile belegt, dass Irans Alliierter Russland ein Doppelspiel treibt: Offiziell präsentiert sich Moskau als eine verlässliche Säule des Atomabkommens. Doch insgeheim hat der Kreml im Zusammenspiel mit den iranischen Revolutionsgarden dessen Umsetzung untergraben. Das geht aus internen Äußerungen des iranischen Außenministers hervor, die durch Indiskretion an die Öffentlichkeit gelangt sind.

Nicht fortgesetzte Illusionen in die Wandlungsfähigkeit des iranischen Regimes, sondern nur eine konsequente gemeinsame Strategie von USA und Europa zu dessen umfassender Eindämmung kann den zerstörerischen Einfluss der Islamischen Republik Iran im Nahen Osten brechen. Dazu müsste der Westen jedoch bereit sein, seine politische und militärische Präsenz in der Region wieder deutlich zu erhöhen.

Der Text ist die deutsche Originalfassung meiner Kolumne, die auf ukrainisch hier erschienen ist.

Über den Autor

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

von Richard Herzinger

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

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