Fall Nawalny: Die EU muss endlich Konsequenzen ziehen!

Der Giftanschlag auf Alexej Nawalny war offenbar eine akribisch vorbereitete staatliche Mordaktion. Sie steht exemplarisch für den systematischen Rechtsbruch, auf dem Putins Mafia- und Geheimdienststaat beruht. Wann zieht der Westen daraus endlich die notwendigen Konsequenzen?

Die von den Investigativplattformen Bellingcat und The Insider gemeinsam mit dem „Spiegel“ und CNN durchgeführten und jetzt veröffentlichten Recherchen lassen wohl keinerlei Zweifel mehr daran, wer den Giftanschlag auf den russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny geplant und ausgeführt hat: der russische Inlandsgeheimdienst FSB – und somit niemand anderes als das Putin-Regime selbst.

Es handelt sich bei dem Anschlag auf Nawalny demnach um eine von langer Hand und mit großem Aufwand akribisch vorbereitete staatliche Mordaktion. Für jeden müsste nun endlich offenbar geworden sein, dass die Liquidation unliebsamer Kritiker und Abweichler zum selbstverständlichen Instrumentarium des Putinschen Mafia- und Geheimdiensstaates gehört. Nach Innen wie nach Außen zählen für diesen fundamentale Rechtsnormen nichts, der Verfolgung und Unterdrückung von Dissidenten im Inland wie im Ausland entspricht die jegliche völkerrechtliche Norm missachtende militärische Aggressions- und Expansionspolitik auf internationaler Ebene.

Die anhaltende Annexion und Okkupation von Territorium eines europäischen Nachbarlandes, der Bombenkrieg gegen die syrische Zivilbevölkerung an der Seite eines Regimes, das Giftgas gegen das eigene Volk einsetzt, systematische Cyberkriegs-Operationen gegen westliche Demokratien – die Liste der verbrecherischen Aktivitäten des Kreml lässt sich noch lange fortsetzen. So ist er es, der die Federführung über die brutale Repression gegen die Demokratiebewegung in Belarus übernommen hat, und ohne den Diktator Lukaschenko längst nicht mehr an der Macht wäre. Und im Donbass, also mitten in Europa, hat Moskau ein illegales Folterregime installiert.

Kriminelles Herrschaftssystem

Längst reichen die mit Putins Staatsapparat eng verquickten kriminellen Strukturen der russischen Mafia tief bis in westliche Gesellschaften, namentlich auch in die deutsche hinein. Doch nach wie vor wird Putins Russland vom Westen nicht nur wie ein „normaler“ Staat behandelt, sondern sogar als potenzieller Stabilitäts- und Sicherheitspartner betrachtet und entsprechend hofiert. Hatten die Bundesregierung und die EU nicht vor Monaten vollmundig angekündigt, es werde für die russische Regierung ernste Konsequenzen haben, sollte sie nicht vorbehaltlos zur lückenlosen Aufklärung des Falls Nawalny beitragen? Nun, von einer solchen Bereitschaft des Kreml zur Kooperation kann nicht nur keine Rede sein, er verweigert sie vielmehr demonstrativ und mit höhnischer Aggressivität.

Doch die angekündigte Reaktion des Westens darauf lässt auf sich warten. Während Deutschland und die EU keine Anstalten machen, Sanktionen zu verhängen oder andere Maßnahmen zu ergreifen, werden wir statt dessen mit der Nachricht konfrontiert, dass die Bauarbeiten an der Gaspipeline Nord Stream 2 wieder aufgenommen wurden. Und im vergangenen Jahr wurde der Kreml für seine fortgesetzte Verletzung des Völkerrechts und der Menschenrechte sogar noch mit der Rückgabe seines Stimmrechts im Europarat belohnt.

Der Westen muss der zynischen Gesetzlosigkeit des russischen Regimes jetzt endlich unzweideutige Grenzen setzen. Der sofortige Stopp von Nord Stream 2, das Einfrieren der Konten von Personen, die mit dem Kreml in Verbindung stehen und empfindlich verschärfte Wirtschaftssanktionen sind dazu zwingend gebotene Mittel. Es gehört dazu aber auch eine deutlich verstärkte militärische Abschreckung. Vor allem aber muss sich die grundlegende Haltung der westlichen Regierungen gegenüber Putins kriminellem Herrschaftssystem andern: Sein Regime muss bei jeder Gelegenheit offen mit seinen kriminellen Machenschaften konfrontiert und seine politische Isolation auf internationaler Ebene entschlossen vorangetrieben werden.

Über den Autor

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

von Richard Herzinger

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

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