Syrien, Afghanistan: Gegen die Aufwertung von Terrorstaaten!

Was ist eigentlich tatsächlich los in Syrien und Afghanistan? Gerade einmal drei Jahre ist es her, dass der Westen – und mit ihm Deutschland – Afghanistan unter schändlichen, fluchtartigen Umständen im Stich gelassen hat. Inzwischen ist dieses Desaster weitestegehend aus der Erinnerung der breiteren deutschen Öffentlichkeit getilgt. Und weil sich für Meldunngen über die dortige Lage kaum noch jemand interessiert, kann man sich nun einreden, dass es dort wohl inzwischen nicht mehr gar so schlimm zugehe und man unbedenklich straffällig gewordene Afghanen in ihre Heimat abschieben könne.

Dementsprechend hieß es etwa kürzlich in einem TV-Bericht allen Ernstes, seit der Machtübernahme der Taliban habe sich die Sicherheitslage in dem geschundenen Land verbessert. In Wahrheit herrscht unter dem Terrorregiment der Taliban keinerlei „Sicherheit“, sondern vielmehr eine barbarische Friedhofsruhe. Neuerdings ist es den ohnehin bereits vollständig entrechteten Frauen sogar verboten, in der Öffentlichkeit ein einziges Wort zu sprechen. Sie sind damit endgültig zu vollverhüllten, stummen Gegenständen entmenschlicht worden.

Ähnlich sieht es hierzulande mit der Wahrnehmung der Situation in Syrien aus. Seit Russland und Iran dafür gesorgt haben, dass der Massenmörder Assad um den Preis der weitgehenden Verwüstung und Entvölkerung des eigenen Landes seine Horrorherrschaft restaurieren konnte, schenken die hiesigen Medien den dortigen Verhältnissen kaum noch Beachtung. So greift der Eindruck um sich, die Situation habe sich irgendwie „stabilisiert“.

André Bank, Experte für Syrien am German Institute for Global and Area Studies (Giga) in Hamburg, stellt dagegen klar: „Es gibt in Syrien keine Region, die sicher ist. Das Gebiet, in dem Präsident Baschar al-Assad mithilfe Russlands und des Irans herrscht, macht ungefähr 60 Prozent des syrischen Territoriums aus, knapp zehn Millionen Menschen leben dort. Und dort hat sich die Menschenrechtslage in den vergangenen 13 Jahren, seit Beginn des Aufstands und des Bürgerkriegs, nicht geändert. Im Gegenteil: Zurückkehrende werden sofort festgenommen und in Foltergefängnisse gesteckt. Menschenrechtsorganisationen sprechen heute von 125.000 verschwundenen Bürgerinnen und Bürgern.“

Assads Drogenhandelsstaat

Als Indiz dafür, dass man mit dem Assad-Regime kooperieren könne, wird oft angeführt, dass die Arabische Liga Syrien im vergangenen Jahr wieder in ihre Reihen aufgenommen hat. Dies geschah allerdings unter der Bedingung, dass Damaskus den Export der Droge Captagon, mit der der Nahe Osten überschwemmt wird, eindämmt und das Einsickern terroristischer Extremisten unterbindet. Doch 15 Monate später aber, so André Brink, „weiß man: Der Normalisierungsprozess ist ein Scherbenhaufen. Es werden mehr Drogen aus Syrien geschmuggelt als zuvor, und die Infiltration von Gewalttätern aus Syrien hat auch zugenommen. Aber Assad kann sich in der Region jetzt als rehabilitierter Politiker aufführen.“

Wie eine unbedingt sehenswerte Dokumentation aufdeckt, finanziert das Assad-Regime seine Terrorherrschaft praktisch ausschließlich durch Drogenhandel. Ein Großteil des Drogengeldes fließt direkt in die Privatschatullen des Diktators, der seinem Schutzherrn Putin an krimineller Energie nicht nachsteht, Und zu diesem mörderischen Verbrecherstaat will so mancher deutscher Politiker jetzt die Beziehungen „normalisieren“? Das wäre nicht zuletzt ein gewaltiger Triumph für Putins Russland und seine hybriden Kriegsoperationen zur Unterminierung der Widerstandskräfte der westlichen Gesellschaften gegen die neue globale totalitäre Aggression.

Zu diesem Irrweg im Folgenden (leicht erweitert) mein Essay, der kürzlich zuerst hier und auf Ukrainisch hier erschienen ist:

Als Folge des Messeranschlags während eines Volksfestes in Solingen Ende August, bei dem ein islamistischer Attentäter drei Menschen getötet und mehrere andere lebensgefährlich verletzt hat, ist in der deutschen Gesellschaft massiv der Ruf nach einer effektiveren Terrorbekämpfung laut geworden. Doch die berechtigte Debatte darüber droht auf einen gefährlichen Irrweg zu führen: zur Aufwertung ausgerechnet von antiwestlichen Regimen, die den globalen Terrorismus produzieren und schüren, um die demokratische Zivilisation zu zerstören.

Bereits nachdem ein afghanischer Asylbewerber Ende Mai in Mannheim einen Polizisten erstochen hatte, war die Bundesregierung von ihrer bisherigen Linie abgerückt, keine in Deutschland straffällig gewordenen Afghanen in ihr Heimatland abzuschieben. Denn dafür muss Berlin mit dem Taliban-Regime kooperieren und ihm damit eine gewisse Legitimität zusprechen. Terroristische Gewalttäter nach Afghanistan zurückzuschicken birgt zudem das Risiko, dass sie dort als Helden empfangen und womöglich für neue Mordtaten konditioniert werden. Doch das alles soll nun kein Hinderungsgrund für Abschiebungen mehr sein.

Auch dem von Russland und Iran gelenkten Terrorregime Baschar al-Assads in Syrien macht Berlin neuerdings verstärkt Avancen. So erklärte der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid kürzlich, „Gespräche mit dem Assad-Regime oder den Taliban“ seien „unausweichlich“, um Abschiebungen organisieren zu können. Und Bayerns Innenminister Joachim Herrmann von der CDU-Schwesterpartei CSU behauptete, die Lage in Syrien müsse „neu bewertet“ werden. Sahra Wagenknecht, die Anführerin der nach ihr benannten Kreml-Partei BSW, nutzt diese Stimmung, indem sie verlangt, um Abschiebungen nach Syrien möglich zu machen, müssten die Wirtschaftssanktionen gegen das Assad-Regime aufgehoben werden.

Ausblendung statt Aufarbeitung

Gleichzeitig versucht der Oppositionsführer und CDU-Chef Friedrich Merz der rechtsextremen AfD mit Forderungen wie der Stimmen abzujagen, es dürften überhaupt keine Flüchtlinge mehr aus Syrien und Afghanistan in Deutschland aufgenommen werden. Der Zynismus dieses Ansinnens wird offenbar, wenn man bedenkt, warum es Deutschland und Europa überhaupt mit einer solchen Menge von Flüchtlingen aus diesen Ländern zu tun haben.

Denn dies ist eine Konsequenz aus dem historischen Versagen des Westens, der den für Assads Machterhalt geführten russisch-iranischen Vernichtungskrieg gegen die syrische Zivilbevölkerung tatenlos zugelassen und die afghanische Zivilgesellschaft unter Bruch seines Schutzversprechens dem steinzeitislamistischen Regiment der Taliban ausgeliefert hat. Diese Kapitulation vor dem Terror hat zudem Russland und andere Aggressoren zur Intensivierung ihrer globalen Offensive gegen die westliche Welt ermutigt. Doch die Folgen dieser verheerenden Politik sollen gemäß der Logik von Merz und anderen, nun ausgerechnet deren Opfer ausbaden  – indem sie in Gänze mit eben jenem Terrorismus identifiziert werden, vor dem die allermeisten von ihnen ja schließlich geflüchet sind, und indem ihnen das Recht verweigert wird, sich vor den Terrorregimen in ihrer Heimat in Sicherheit zu bringen.

Um sich einer angemessenen Aufarbeitung ihrer desaströsen Syrien- und Afghanistanpolitik zu entziehen, blenden deutsche Politiker jetzt die unverändert mörderische Realität unter Assad und den Taliban einfach aus der Debatte aus oder verharmlosen sie. Doch wer Terrorregimen in der falschen Annahme Zugeständnisse macht, man könnte sich so ihr Wohlwollen sichern, stachelt sie damit nur zu neuen Erpressungen an. Je mehr in den westlichen Gesellschaften die Furcht vor unkontrollierter Zuwanderung steigt, desto effektiver können diese Regime die Drohung, neue Flüchtlingsströme zu erzeugen, einsetzen, um internationale Anerkennung zu erzwingen.

Ukrainer als Zielscheibe

Doch in Deutschland wird die Bedrohung durch den islamistischen Terror weitgehend isoliert von diesen weltpolitischen Konstellationen betrachtet. Fragen wie die nach der Rolle antiwestlicher Geheimdienste und Desinformationsapparate bei der „Radikalisierung“ terroristischer „Einzeltäter“ werden kaum gestellt. Und das, obwohl etwa Agenten des syrischen Regimes massiv bis in hiesige Flüchtlingsunterkünfte hinein operieren. Auch wer hinter dem neu formierten IS stecken könnte, der sich zu Anschlägen wie dem in Solingen bekennt, beziehungsweise wer sich seiner für eigene Zwecke bedient, wird nicht thematisiert. Und kaum jemand wurde stutzig angesichts der Tatsache, dass der Terroranschlag von Solingen punktgenau eine Woche vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen stattfand – und den Kreml-Agenturen AfD und BSW damit einen zusätzlichen mächtigen Schub verliehen hat.

Auch wenn sich nicht konkret belegen lässt, dass es hier einen direkten Zusammenhang gibt – es ist auffällig, dass die neue islamistische Terrorwelle mit der Intensivierung russischer hybrider Kriegsoperationen gegen die westlichen Gesellschaften in Form von Sabotageaktionen und Anschlagsplanungen zusammenfällt. Das Anheizen von „Flüchtlingskrisen“ zwecks Destabilisierung der westlichen Demokratien gehört überdies zu den zentralen operativen Vorgaben des Kreml. Aktuell will er primär die westliche Bereitschaft zur Unterstützung der Ukraine gegen die russische Aggression unterminieren. Dazu gehört, Ressentiments gegen geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer zu schüren, indem man sie als „Schmarotzer“ und Sicherheitsrisiko denunziert. Das spiegelt sich etwa in der Forderungen der kremlhörigen AfD wieder, nicht nur Asylbewerbern aus dem Nahen Osten, sondern auch Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine den Zugang zu öffentlichen Festlichkeiten zu verbieten.

Eine effektive Terrorbekämpfung muss auch diese Faktoren ins Auge fassen. Aber es fehlt in Deutschland an der Fähigkeit und Bereitschaft, den gegenwärtigen epochalen Großangriff auf die westlichen Demokratien in all seinen unterschiedlichen Facetten im Gesamtkontext zu betrachten – geschweige denn, eine umfassende, globalpolitisch fundierte Abwehrstrategie dagegen zu entwickeln.

Über den Autor

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

von Richard Herzinger

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

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