Kuba: Die Verklärung des totalitären Bankrotts

Vor 60 Jahren brachte die Stationierung sowjetischer Mittelstreckenraketen auf Kuba die Welt an den Rand des nuklearen Infernos. Heute ist der Atomkrieg durch Wladimir Putins Drohungen mit dem Einsatz von Nuklearwaffen wieder zu einer akuten Gefahr geworden.

Kuba ist noch immer eine Diktatur, Russland ist es mittlerweile wieder. Und wie damals die Sowjetunion das Castro-Regime an der Macht hielt, so trägt heute Putins Verbrecherstaat als globaler Mastermind in Sachen Repression maßgeblich dazu bei, dass Kuba neben der VR China, Vietnam, Laos und Nordkorea eines der letzten fünf Länder bleiben kann, in denen noch immer eine kommunistische Einparteiendiktatur herrscht. Die Abhängigkeit des Regimes von Moskau zeigte sich zuletzt bei der Abstimmung in der UN-Vollversammlung über die Resolution zur Verurteilung des russischen Vernichtungskriegs gegen die Ukraine und der jüngsten Annexion ukrainischer Gebiete. Kuba gehört zu den 35 Staaten, die sich enthalten haben.

Im Sommer 2021 kam es in dem roten Inselstaat zu Massenprotesten, die das ganze Ausmaß der Verelendung und Verzweiflung zu Tage förderten, in die das Land von der dort seit über sechs Jahrzehnten herrschenden totalitären Diktatur gestürzt worden ist. Doch die Bewegung wurde erstickt, und an den trostlosen Verhältnissen im Land hat sich nichts geändert. Doch obwohl das kubanische Regime seit Jahrzehnten am Rande des Bankrotts steht, zehrt es bis heute von einem besonderen Nimbus, der bis weit hinein in die westliche Öffentlichkeit wirksam ist.

Trugbild für Sozialromantiker

Dieser gründet sich auf das mythisch romantisierte Bild der kubanischen Revolution von 1959 und insbesondere auf das ihrer charismatischen Führergestalten: Fidel Castro und Ernesto „Che“ Guevara. Castro hat die kubanische Gesellschaft gemäß eines nach seiner persönlichen Willkür ausgelegten Marxismus-Leninismus gleichgeschaltet. Als unehelicher Sohn eines Großgrundbesitzers geboren, gegen den er rebelliert hatte, herrschte Castro seinerseits über ganz Kuba wie über sein persönliches Latifundium

Als „Maximo Lider“ unterwarf er das Land einem Führerprinzip, das strukturell dem des faschistischen Italien unter Mussolini ähnelt. Doch während sich die Wirklichkeit in seinem von der Außenwelt abgeriegelten Unterdrückungsstaat nicht von der in anderen kommunistischen Diktaturen unterschied, gelang es Castro, sich vor der Weltöffentlichkeit als ein von Vitalität und Kreativität strotzender Nonkonformist zu inszenieren, der sein Volk mit spielerisch leichter Hand regiere

Nicht nur bei der internationalen Linken, die in Castros Kuba eine heroische Bastion gegen den „US-Imperialismus“ sahen, verfing dieses Trugbild eines stets sonnenbeschienen sozialistischen Paradieses, in dem die Menschen zwar in materieller Bescheidenheit, dafür aber vermeintlich in vollendeter Gleichheit lebten. Auch viele „bürgerliche“ Sozialromantiker und Exotik-Liebhaber im westlichen Kulturkreis fühlten sich von dieser Illusion angezogen.

„Che“ verehrte Stalin

Gänzlich abgelöst von der trostlosen Realität Kubas hat sich das Bild von „Che“ Guevara, zumal er schon 1965 den kommunistischen Inselstaat verlassen hatte, um erneut in den revolutionären Krieg zu ziehen – zuerst in den Kongo und dann nach Bolivien, wo er (vor fast genau 55 Jahren, am 9. Oktober 1967) in einem aussichtslosen Guerillakampf den Tod fand. Antikapitalisten und Globalisierungsgegner rund um die Welt verehren ihn heute mehr denn je als Ikone des „reinen“, von keiner real existierenden Machtstruktur verfälschten revolutionären Geistes. „Che“ ist aber längst auch zu einer umsatzfördernden Marke und Kultfigur der Werbe-, Pop- und Modeindustrie geworden, zum universalen Zeichen für die unbestimmte, zivilisationskritische Sehnsucht nach einem ganz anderen, einfachen und aufrichtigen Leben jenseits der „entfremdeten“ Moderne.

Doch in Wahrheit bekannte sich der gebürtige Argentinier nicht nur zu einem ultradogmatischen Marxismus-Leninismus und betrieb in Kuba von Anfang an die Errichtung einer kommunistischen Einparteiendiktatur, in der abweichende Stimmen gnadenlos zum Schweigen gebracht wurden. Guevara hielt auch stets an seiner Verehrung für Josef Stalin fest. Bei seinem ersten Besuch in Moskau 1960 legte er Blumen am Grab des Massenmörders nieder – zum Missfallen seiner sowjetischen Gastgeber, die seit Chruschtschows Enthüllungen über die Verbrechen des Stalinismus nicht mehr an ihren Vorgänger erinnert werden wollten.

Guevara war kein Erlöser der Unterdrückten und Ausgebeuteten dieser Welt, sondern ein unerbittlicher, asketischer Doktrinär, dessen Denken und Handeln durch eine obsessive Verherrlichung von Gewalt und Tod gekennzeichnet war. „Wo immer der Tod uns trifft, er sei willkommen, wenn nur unser Kriegsruf ein aufnahmebereites Ohr getroffen hat und eine andere Hand sich ausstreckt, um unsere Waffen zu ergreifen und andere Menschen sich daranmachen, die Trauermusik zu intonieren mit Maschinengewehrgeratter und neuen Kriegs- und Siegesrufen“, verkündete er in einer „Botschaft an die Völker der Welt“.

Revolutionärer Todeskult

Nachdem Chruschtschow in der Kuba-Krise 1962 in letzter Minute eingelenkt und die auf Kuba stationierten Atomraketen abgezogen hatte, verdammte Guevara dies als Kapitulation vor dem verhassten „Yankee-Imperialismus“. Er selbst hätte einen Atomkrieg in Kauf genommen, um nur ja keinen Fußbreit vor den USA zurückzuweichen. Weil die Sowjets dazu nicht bereit waren, verdächtigte sie Guevara, auf die Seite des Feindes gewechselt zu sein, und sympathisierte nun mit den noch rigideren chinesischen Kommunisten.

Er sei „wohlauf und dürste nach Blut“, hatte Guevara 1957 während des Guerillakriegs gegen den Diktator Batista in einem Brief geschrieben. Nach der Machtergreifung 1959 übernahm er das Oberkommando über die Revolutionstribunale, von denen Tausende von „Konterrevolutionären“ im Schnellverfahren abgeurteilt wurden, und unterzeichnete Hunderte von Todesurteilen. Als kubanischer Industrieminister setzte er seit 1961 einen rigiden planwirtschaftlichen Zentralismus durch, baute auf forcierte Industrialisierung und eine gigantische Steigerung der Zuckerrohrernte. Durchsetzen wollte Guevara dies mittels einer massiv erhöhten Arbeitsleistung, die er den Kubanern abverlangte. Sein Ziel war die Erschaffung eines „neuen Menschen“, dem jeglicher Individualismus ausgetrieben werden sollte.

Die Verherrlichung des Opfertodes, mit der das Regime den kubanischen Massen den Verzicht auf Freiheit und irdische Güter schmackhaft machen wollte, findet in seiner Leitparole „Patria o Muerte“ (Vaterland oder Tod) ihren komprimierten Ausdruck. Indem die Protestbewegung des vergangenen Jahres diesem Todeskult den Ruf „Patria y vida“ (Vaterland und Leben) entgegensetzte, griff sie die Herrschaftsideologie des castroistischen Systems in ihrem Kern an. Dieses verliert in der Post–Castro-Ära jedoch zunehmend den mythischen Schein und entpuppt sich als das, was es tatsächlich ist: eine ordinäre brutale Diktatur, die zu nichts anderem taugt, als der eigenen Nation und ihren Bürgern die Gegenwart und Zukunft zu rauben. Und die damit einen passenden Komplizen von Putins Imperium des Terrors abgibt, das angetreten ist, die ganze Welt mit Zerstörung, Unterdrückung und moralischer Verwüstung zu überziehen.

Dieser gründet sich auf das mythisch romantisierte Bild der kubanischen Revolution von 1959 und insbesondere auf das ihrer charismatischen Führergestalten: Fidel Castro und Ernesto „Che“ Guevara. Castro hat die kubanische Gesellschaft gemäß eines nach seiner persönlichen Willkür ausgelegten Marxismus-Leninismus gleichgeschaltet. Als unehelicher Sohn eines Großgrundbesitzers geboren, gegen den er rebelliert hatte, herrschte Castro seinerseits über ganz Kuba wie über sein persönliches Latifundium. Als „Maximo Lider“ unterwarf er das Land einem Führerprinzip, das strukturell dem des faschistischen Italien unter Mussolini ähnelt. Doch während sich die Wirklichkeit in seinem von der Außenwelt abgeriegelten Unterdrückungsstaat nicht von der in anderen kommunistischen Einparteiendiktaturen unterschied, gelang es Castro, sich vor der Weltöffentlichkeit als ein von Vitalität und Kreativität strotzender Nonkonformist zu inszenieren, der sein Volk mit spielerisch leichter Hand regiere.

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Über den Autor

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

von Richard Herzinger

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

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