Elon Musk und der „libertäre“ Hang zur Autokratie

„X“, das ehemals Twitter benannte Kurznachrichtenportal des Multimiliardärs Elon Musk, ist zu einem der Haupteinfallstore für russische Desinformationskriegsoperationen zur Destabilisierung der westlichen Demokratien geworden. Im Rahmen einer vom Referat für Strategische Kommunikation im Auswärtigen Amt in Auftrag gegebenen Analyse identifizierten Experten im Zeitraum zwischen dem 20. Dezember und dem 20. Januar „mehr als 50.000 gefälschte Nutzerkonten, die insgesamt mehr als eine Million deutschsprachige Tweets absetzten. Häufig tauchte in den Tweets der Vorwurf auf, die Bundesregierung vernachlässige die eigene Bevölkerung, um die Ukraine zu unterstützen“, berichtet ntv.

In den USA bereitet Musk mit der Öffnung von „X“ für entsprechende Fake-News-Kampagnen der proputinistischen US-Rechten den Boden, die der Ukraine die militärische und finanzielle Unterstützung entziehen will. Doch greift Musk auch aktiv zugunsten des Aggressors in den Krieg gegen die Ukraine ein. So hat er nach eigenen Angaben voriges Jahr einen ukrainischen Angriff auf die russische Schwarzmeerflotte in der Hafenstadt Sewastopol verhindert, indem er einen Antrag der ukrainischen Regierung ablehnte, das Satelliten-Kommunikationssystem Starlink seiner Firma SpaceX in der Region zu aktivieren. Er habe damit vermeiden wollen, dass SpaceX in eine größere Kriegshandlung und Eskalation verwickelt wird. Hintergrund dieser Äußerung ist, dass Musk unter anderem Gespräche mit dem russischen Botschafter in den USA geführt hat, der ihm ausdrücklich gesagt habe „dass ein ukrainischer Drohnenangriff auf die Krim zu einer nuklearen Antwort führen würde“.

Angeblich hat der in der Weltpolitik irrlichternde Super-Entrepreneur sogar mit Putin persönlich gesprochen und sich von dem Massenmörder dessen unbedingten Friedenswille versichern lassen. Ist es bloße Naivität, dass Musk solche plumpen Manipulationsversuche des Kreml für bare Münze nimmt und folgsam entsprechende russische Vorgaben umsetzt? Kaum zu glauben. Umso weniger, wenn man bedenkt: Seit Musk auf seiner Plattform jegliche Restriktion „freier Meinungsäußerung“ aufgehoben hat, ist sie auch zum Tummelplatz für Hamas-Hasspropaganda und antisemitische Hetztiraden geworden. Musk zeigt sich dabei selbst für judenfeindliche Verschwörungsfantasien empfänglich. Dazu im Folgenden mein Text zum Typus des megalomanen Unternehmers als „libertärem“ Autokratenfreund, der zuerst im November 2022 auf Ukrainisch hier und auf Deutsch hier erschienen ist:

Elon Musk gilt allgemein als ein genialer, innovativer Unternehmer. Doch inzwischen reichen seine Ambitionen weit darüber hinaus. Er fühlt sich nun auch zur Lösung weltpolitischer Konflikte berufen. So machte er einen selbst ausgedachten „Friedensplan“ für die Ukraine publik und schlug vor, Taiwan in eine „Sonderverwaltungszone“ umzuwandeln.

Doch diese vermeintlich originären Konzepte Musks decken sich auffällig genau mit den Vorstellungen der Regime in Moskau und Peking. So will Musk, dass die Ukraine die Krim aufgibt und einer „Volksabstimmung“ in den von Russland okkupierten Gebieten zustimmt. Er macht sich damit zum Lautsprecher der imperialen Anmaßung des verbrecherischen Aggressor.

Komplize der Autokratie

Und auch das totalitäre chinesische Regime hat allen Grund, sich über Musk zu freuen. Denn als eine „Sonderverwaltungszone“ bezeichnen die Machthaber in Peking auch Hongkong, das sie vor Kurzem mir brutaler Gewalt gleichgeschaltet haben. Nur zu gerne würden sie dieses Modell auf das unabhängige, demokratische Taiwan übertragen.

Durch die Übernahme von Twitter hat Elon Musk nun auch ein mächtiges Instrument zur Beeinflussung der öffentlichen Meinungsbildung in die Hand bekommen. Unter dem Vorwand, mehr „Meinungsvielfalt“ zuzulassen, öffnet er den Kurznachrichtendienst für Fake News und antidemokratische Verschwörungsfanasien – und damit für die Desinformationskrieger des Kreml und die Netzwerke ihrer westlichen Schallverstärker. Musk selbst hat sich nach seiner Übernahme von Twitter sogleich durch die Verlinkung verschwörungsideologischer Seiten hervorgetan.

Dass sich ein angeblicher Befürworter unbegrenzter individueller Freiheit zum Komplizen brutaler unterdrückerischer Autokratien macht, scheint paradox – doch es hat Methode. Die „Libertarians“, deren Ideen Musk nahe steht, sind ursprünglich eine aus der linken Studentenbewegung hervorgegangene Strömung, die gesellschaftliche mit wirtschaftlicher Freiheit zusammenführen und dazu den staatlichen Einfluss auf nahezu Null reduzieren wollte. Doch mittlerweile ist der Libertarismus weitgehend zu einer Rechtfertigungsideologie für rücksichtslose Superreiche und machtbesessene Egomanen von der Art Donald Trumps verkommen. Führende „Libertarians“ wie der Senator Rand Paul stehen heute am rechten Rand der Republikanischen Partei und lehnen Sanktionen gegen Autokratien und Aggressorstaaten wie Russland, China und Iran ebenso vehement ab wie jegliches militärisches Engagement der USA für Demokratie und Menschenrechte.

Musk ist nicht der Einzige

Musk ist nicht der einzige „libertäre“ Entrepreneur, der mit dem Autoritarismus lebäugelt. Der PayPal-Mitbegründer Peter Thiel, der Trump während dessen Präsidentschaft als Berater diente, hat Freiheit und Demokratie explizit für unvereinbar erklärt und meint, Staaten müssten ebenso geführt werden wie  Wirtschaftsunternehmen – also nach dem Kriterium der Effektivität, nicht der demokratischen Legitimität.

Thiels Ansichten ähneln denen einer Unterströmung des Libertarianismus, die sich „Objektivismus“ nennt und auf die Philosophin und Schriftstellerin Ayn Rand zurückgeht. Dieser Denkschule zufolge teilt sich die Menschheit in produktive, von Erfindergeist und Fleiß erfüllte „Schaffende“ einerseits und „Plünderer“ andererseits auf, die auf Kosten der produktiven Individuen leben wollten. Diese müssten sich daher von der Last gesellschaftlicher und sozialer Kontrolle befreien. Von einer solchen Einstellung ist es nicht weit zur Bewunderung von „starken Männern“ wie Putin oder Xi Jinping, die sich bei der Verwirklichung ihrer Allmachtsfantasien von niemandem beeinträchtigen lassen.

Ganz neu ist es freilich nicht, dass als geniale Innovatoren geltende Unternehmer beschließen, sich in die Belange der Weltpolitik einzumischen, um die internationale Ordnung nach ihren Vorstellungen zu formen – und sich dabei mit Diktatoren gemein machen. Henry Ford, der Pionier der Automobil-Massenproduktion, erklärte Anfang der 1920er Jahren in einem berüchtigten antisemitischen Pamphlet „den Juden“ zum Weltfeind. Von Hitler wurde ihm dafür 1938 ein Orden verliehen. 1928 gründete Ford am Amazonas eine nach den von ihm gesetzten Maßgaben optimaler Arbeitsorganisation und einer „gesunden Lebensweise“ organisierte Mustersiedlung. Das Experiment scheiterte katastrophal.

Droht die Blofeldokratie?

Doch die Super-Unternehmer von heute wollen sich gar nicht mehr an eine bestimmte Ideologie binden oder ein ideales Gesellschaftsmodell für die ganze Menschheit durchsetzen. Ihnen geht es darum, alle Fesseln gesellschaftlicher und staatlicher Kontrolle abzustreifen, die sie bei der Verwirklichung ihrer willkürlichen, megalomanischen Pläne behindern. Charakteristisch für sie ist dabei ein Hang zum Eskapismus. Musk entwickelt mit seiner Firma Space X Mars-Raketen und träumt von einer baldigen Besiedlung des „Roten Planeten“. Thiel betreibt ein Projekt zur Gründung einer unabhängigen Nation, die auf einer in internationalen Gewässern schwimmenden künstlichen Insel  errichtet werden und sich ihre eigenen Gesetze geben soll.

Musk und Thiel wollen nicht die Welt als solche verändern, sondern  ihre Beziehungen zur real existierenden Welt kappen, um sich eine ganz nach ihren Vorstellungen ausgerichtete Gegenwelt zu erschaffen. Bei diesem – tendenziell ins Pathologische abgleitende – Streben nach grenzenloser Selbstverwirklichung glauben sie, auf die verachtete „gewöhnliche“ Menschheit keinerlei Rücksicht mehr nehmen zu müssen.

Dieser neue Typus des selbstherrlichen Egomanen erinnert an die legendären Bösewichter aus den James-Bond-Filmen wie Blofeld oder Dr. No, die ihren unermesslichen privaten Reichtum mit manischer Energie dafür einsetzen, die Weltherrschaft an sich zu reißen. Die in den westlichen Gesellschaften wachsenden Zweifel an der Handlungsfähigkeit der Demokratie ermutigen die „libertären“ Machtmenschen in der Überzeugung, die Geschicke des Planeten (wenn nicht des Universums) in die eigenen Hände nehmen zu können. Stärken wir nicht die institutionellen Grundlagen der Demokratie, laufen wir daher Gefahr, in die Epoche einer „Blofeldokratie“ einzutreten.

Über den Autor

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

von Richard Herzinger

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

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