Israel und die Ukraine führen denselben Kampf

Zwei Kriege, die eng miteinander zusammenhängen: So wie ein Sieg der Ukraine Putins Russland ins Wanken bringen würde, so wäre die Zerschlagung der Hamas durch Israel ein empfindlicher Rückschlag für die Hegemonialpläne Irans, dem engstem globalstrategischen Alliierten Moskaus. Doch statt im eigenen Überlebensinteresse alles daranzusetzen, dass beides gelingt, fallen große Teile der westlichen Öffentlichkeit Israel und der Ukraine in ihrem Kampf zur Verteidigung der demokratischen Zivilisation in den Rücken.

Israel und die Ukraine sehen sich nicht nur demselben Feind gegenüber – der russisch-iranischen Achse der Vernichtung (s. meinen Essay weiter unten) -, sie sehen sich auch einer ähnlichen, ebenso schwarzmalerischen wie besserwisserischen Beschallung durch weite Teile der westlichen medialen Öffentlichkeit ausgesetzt

Israel-und Ukraine-Belehrer

Der Refrain dieser Melodie lautet: Weder Israel noch die Ukraine könnten letzten Endes den Krieg gewinnen. Und man müsse sie daran hindern, in ihrer Kriegsführung über das Ziel hinauszuschießen. Überhaupt sei es unmöglich, den jeweiligen „Konflikt“ auf rein militärischem Weg zu lösen. Dazu brauche es mindestens genauso sehr diplomatische Initiativen und politische Konzepte.

Im Falle Israels wird ständig moniert, die israelische Regierung verfüge über keinen Plan, wie es mit Gaza nach der von ihr angestrebten Zerschlagung der Hamas weitergehen solle. Als könne das Fehlen einer solchen langfristigen Vision ein Hinderungsgrund dafür sein, den islamistischen Massenmördern schnellstmöglich ihre Mordinstrumente aus der Hand zu schlagen! Die Terrortruppe hat 1400 israelische Zivilisten bestialisch ermordet und über zweihundert Bürger des jüdischen Staats als Geiseln entführt. Soll Israel etwa erst Planungskommissionen zur Ausarbeitung von Zukunftsperspektiven für Gaza einberufen, bevor sie durch die Zerschlagung der militärischen Infrastruktur des dort herrschenden islamistischen Terrorregimes dafür sorgt, dass die Hamas keine weiteren derartigen Verbrechen an israelischen Bürgern begehen kann?

Gleichzeitig aber wird in der westlichen Öffentlichkeit vielstimmig behauptet, eine vollständige Zerschlagung der Hamas auf militärischem Wege sei ohnehin unmöglich. Vermeintliche Experten überboten sich wochenlang in apokalyischen Prophezeungen von unübersehbaren Folgen einer „überstürzten“ israelischen Bodenoffensive, eines Flächenbrands“ in der Region inklusive. Tatsächlich aber gehen die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) höchst kontrolliert und gezielt, Schritt für Schritt vor. Statt, wie von manchem Kommentator mit antisemitischen Anklang unterstellt, von blinden Racheinstinkten getrieben zu werden, handelt die IDF wohlüberlegt und nach präzisen Zielvorgaben.

Hamas-Propaganda

Offensichtlich weiß sie sehr genau, was sie tut. und wo und wie sie die Terror-Infraktruktur der Hamas wirkungsvoll zu treffen hat. Und auch das Risiko, dass der Iran und seine Ableger im Libanon, Irak und Jemem massiv in die Kämpfe eingreifen könnten, weiß Israel besser abzuschätzen als seine alarmistischen Kritiker im Westen. Anders als sie begreift es sehr genau den Mechanismus offensiver Abschreckung: Regime wie das in Teheran weichen nur vor der Demonstration von Stärke zurück. Je härter also die Hamas getroffen wird, umso geringer wird die Lust der Todfeinde des jüdischen Staats. sich auf eine direkte Konfrontation mit ihm einzulassen.

Unterdessen werden in deutschen Fernsehnachrichten jedoch skandalöserweise Abend für Abend die Horrormeldungen aus der Giftküche des Hamas-Propagandaapparats verbreitet, die suggerieren sollen, Israel töte gezielt massenhaft Zivilisten, vor allem Kinder – ein Aspekt, der den palästinensischen Faktenfälschern besonders wichtig ist, wollen sie damit doch ihre bevorzugte Denunziationsparole vom „Kindermörder Israel“ untermauern. Zu überprüfen sind die von der Hamas-Propaganda gestreuten Opferzahlen nicht, weil unter der totalitären Herrschaft der Islamisten keine unabhängige Berichterstattung und keine objektiven Untersuchungen möglich sind. Wenn man in den Nachrichten also angebliche Zeugen und Opfer sieht und hört, die Israel dramatisch anklagen, ihre Häuser zerstört und ihre Familien getötet zu haben, muss man davon ausgehen, dass jedes Wort, das sie sagen, von der Hamas diktiert oder zumindest überwacht wird.

Um eines klarzustellen: Zweifellos gibt es im Zuge der israelischen Militäroperationen zivile Opfer, und die kriegsbedingte Not der Zivilbevölkerung von Gaza ist immens. Keine Frage, das Schicksal jedes einzelnen zivilen Opfers stellt eine Tragödie dar, und jedes Opfer ist eines zu viel. Selbstverständlich müssen auch mögliche Verstöße Israels gegen das Kriegsrecht untersucht werden. Doch dabei darf der fundamentale Unterschied nicht verwischt werden, der darin besteht, dass Israel im Gegensatz zur Hamas nicht vorsätzlich und gezielt Zivilisten angreift. Es ist die Hamas, die ihre militärischen Stellungen systematisch in zivilen Einrichtung anlegt und so die Zivilbevölkerung als Schutzschild missbraucht, um Israels Angriffe auf derartig getarnte Militäreinrichtungen lügnerisch als Kriegsverbrechen denunzieren zu können.

Große Teile nicht nur der deutschen, sondern der internationalen Medien insgesamt fallen jedoch darauf herein und zitieren Institutionen wie das „Gesundheitsministerium von Gaza“, das ohne nachprüfbare Belege verbreitet, Israel habe bereits „10 800 Menschen, darunter 4400 Kinder“ umgebracht, als seien dies ernst zu nehmende Quellen. Dabei müsste doch bekannt sein, dass dieses zynisch so benannte „Gesundheitsministerium“ nichts anderes ist als ein Propagandainstrument der Hamas.

Kommt die Ukraine nicht voran?

Im Falle der Ukraine werden strategische Erfolge, die von der ukrainischen Armee in den vergangenen Monaten erzielt wurden, in den westlichen Medien weitgehend unterschlagen. Insbesondere das Zurückdrängen der russischen Schwarzmeerflotte mit den entsprechenden Konsequenzen für den Kriegsverlauf in der Südukraine werden kaum gewürdigt. Die Rede ist stattdessen allenthalben von den nur minimalen Gebietsgewinnen im Zuge der ukrainischen Gegenoffensive im Donbass. Überdeckt wird damit die maßgebliche Mitverantwortung des Westens dafür, dass die Ukraine auf dem Kriegsschauplatz lediglich schleppende Fortschritte verzeichnen kann. Ist dies doch wesentlich auf die Zögerlichkeit des Westens und das daraus resultierende Versäumnis zurückzuführen, sie ausreichend und rechtzeitig mit kriegsentscheidenden Waffen auszustatten.

So wird in der Art einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung der Eindruck erweckt, der Krieg sei in eine Sackgasse geraten, und es sei nun an der hächsten Zeit, nach einer Verhandlungslösung mit Russland zu suchen – eine Suggestion, die allerdings auf völlig illusionären Voraussetzungen beruht. Frieden ist in Wahrheit undenkbar, so lange Putin der Ukraine das Existenzrecht abspricht – was er und sein Regime mehr denn je mit maßlosem Vernichtungswillen tun.

Peter Dickinson schreibt dazu auf der Website des „Atlantic Council“: „Der Erfolg der Ukraine auf See ist eine Erinnerung daran, dass der russisch-ukrainische Krieg trotz des weit verbreiteten Geredes über eine Pattsituation äußerst dynamisch bleibt. Die Fortschritte, die die ukrainischen Streitkräfte in den letzten Monaten in der Schwarzmeerzone erzielt haben, werden den Krieg nicht entscheiden, aber sie haben es der Ukraine bereits ermöglicht, die Handelsschifffahrt von den südlichen Häfen des Landes aus wieder aufzunehmen und Kiew eine wichtige wirtschaftliche Lebensader zu öffnen. Da die Krim in den kommenden Monaten für die russischen Besatzungstruppen immer unhaltbarer wird, wird dies die logistischen Versorgungslinien zur Unterstützung der russischen Armee in der Südukraine belasten. Viele in Kyjiw spekulieren nun, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Ukraine die Krim-Brücke vollständig zerstört und die Verbindung zwischen der besetzten Halbinsel und Russland selbst kappt.“

Und Dickinson schlussfolgert: „Die Schlacht am Schwarzen Meer bietet wichtige Lehren für die internationalen Partner der Ukraine. Es demonstriert die Wirksamkeit westlicher Waffen gegen die russische Verteidigung und unterstreicht gleichzeitig die Fähigkeit des ukrainischen Militärs, immer ausgefeiltere Waffen, einschließlich französischer und britischer Marschflugkörper, mit einem hohen Maß an Kompetenz und Professionalität einzusetzen. Die Schlacht am Schwarzen Meer hat bewiesen, dass ukrainischer Mut und westliche Waffen eine gewinnbringende Kombination sind. Dies sollte die westlichen Staats- und Regierungschefs ermutigen, nicht länger zu zögern und der Ukraine endlich die Werkzeuge an die Hand zu geben, die sie braucht, um den Krieg zu gewinnen.“

ESSAY: Als Hintergrund im folgenden mein Text, der am 26. Oktober unter dem Titel „Die antiwestliche Achse“ in der Zeitschrift Internationale Politik (online) erschienen ist:

Mit ihrem terroristischen Großangriff, bei dem sie über 1300 israelische Zivilisten ermordete – und damit das größte Massaker an Juden seit dem Holocaust verübte –, hat die Hamas nicht nur die Regierung und die Sicherheitskräfte des jüdischen Staats komplett überrumpelt. Auch der demokratische Westen insgesamt zeigte sich von diesem Überfall auf israelisches Territorium vollständig überrascht. Einmal mehr gaben sich westliche Politiker und Medien fassungslos angesichts solch vermeintlich „unvorstellbarer“ Verbrechen.

Dabei erinnert das bestialische Vorgehen der palästinensischen Mordkommandos, ihr wahlloses Töten, Misshandeln und Verschleppen wehrloser Menschen jeden Alters, doch auf grauenvolle Weise an die Massaker, die von den russischen Invasionstruppen in der Ukraine, an Orten wie Butscha und Irpin, verübt worden sind. Und auch in dem massiven Raketenterror der Hamas gegen die israelische Zivilbevölkerung erkennt man wieder, was die Ukrainerinnen und Ukrainer fast täglich zu erleiden haben.

Russisches Kalkül

Bereits vor dem Mordfeldzug der Hamas hatte das öffentliche Interesse an der Realität des fortgesetzten russischen Völkermords an der Ukraine indes stark nachgelassen. Nur zwei Tage vor dem Angriff auf Israel waren durch einen russischen Raketenangriff auf ein Dorf in der Region Charkiw 55 ukrainische Zivilisten getötet worden. Doch der internationale Aufschrei über ein derartiges Kriegsverbrechen mitten in Europa hielt sich in engen Grenzen. Fast scheint es, als habe sich die deutsche und internationale Öffentlichkeit auf fatale Weise mit den von Russland unablässig begangenen Untaten abgefunden und nehme sie nicht mehr wirklich als etwas Außergewöhnliches wahr.

In dieses Bild passt, dass die Bundesregierung ausgerechnet an dem Tag dieses russischen Massakers bekannt gab, der Ukraine keine Taurus-Marschflugkörper liefern zu wollen. Mit der Terrorattacke vom 7. Oktober verlagerte sich die Aufmerksamkeit der westlichen Politik und Öffentlichkeit nun nahezu vollständig auf Israel und Gaza.

Diese Verschiebung der Wahrnehmung aber ist ganz im Sinne des Kremls: Wenn der Nahe Osten in neuer exzessiver Gewalt versinkt, könnte, so sein Kalkül, der russische Vernichtungskrieg gegen die Ukraine in den Augen der Weltöffentlichkeit fast schon wie ein weniger schlimmes, zweitrangiges Ereignis erscheinen.

Und mit dem nachlassenden Entsetzen über den russischen Zivilisationsbruch würde dann auch der politische Wille erlahmen, den ukrainischen Verteidigungskampf weiter mit Waffen und Finanzhilfe zu unterstützen. Zumal die Kreml-Propaganda und ihre Schallverstärker im Westen nicht müde werden zu suggerieren, die Ukraine könne den Krieg sowieso niemals gewinnen.

Zwei Kriege, ein Kampf

So unabdingbar jetzt die uneingeschränkte Solidarität der westlichen Welt mit Israel ist, so wenig darf dabei der unmittelbare Zusammenhang zwischen dem zum Nutzen des Iran verübten antisemitischen Vernichtungsterror der Hamas und dem völkermörderischen Vernichtungskrieg vergessen werden, den Russland, Teherans engster Verbündeter, gegen die Ukraine führt. Israel und die Ukraine stehen beide im Kampf nicht nur um ihr eigenes Überleben, sondern zur Verteidigung der demokratischen Zivilisation, der elementaren Rechte und der Würde des Menschen schlechthin. Niemals darf der Westen darin nachlassen, sie beide in diesem Kampf, den sie für die gesamte freiheitsliebende Menschheit führen, mit gleicher Intensität zu unterstützen.

Inzwischen aber beginnt die deutsche Angst vor einem „Flächenbrand“ in Nahost die zuvor sorgsam gepflegte Furcht vor einer „Eskalation“ in der Konfrontation mit Russland abzulösen. Doch in Wahrheit können beide Kriegsschauplätze nicht voneinander getrennt betrachtet werden. Zwar ist in den aktuellen Debatten über die Lage in Israel und Gaza häufig davon die Rede, dass der Hamas-Terror von der Islamischen Republik Iran unterstützt, wenn nicht initiiert und angeleitet wird. Kaum jedoch wird thematisiert, wie eng die wachsende Aggressionsbereitschaft des iranischen Regimes mit dem globalen Kriegskurs Russlands verwoben ist.

Moskau und Teheran bilden heute eine geradezu symbiotische politische, militärische und finanzielle Allianz. Durch seine Drohnenlieferungen trägt der Iran wesentlich dazu bei, dass Russland seine Bombardierung der ukrainischen Zivilbevölkerung und Infrastruktur unvermindert fortsetzen kann. Umgekehrt kann sich das iranische Regime der Rückendeckung Moskaus bei der Realisierung seiner eigenen kriegerischen Ambitionen sicher sein.

Heuchlerisch ruft der Kreml jetzt „alle Seiten“ zu einem Waffenstillstand und zur Schonung von Zivilisten auf. Doch nicht nur mit Teheran selbst, sondern auch mit dessen terroristischen Stellvertretertruppen im Nahen Osten pflegt er intensive Kontakte. Seit Beginn des russischen Überfalls auf die gesamte Ukraine haben führende Köpfe der Hamas mehrmals Russland besucht und sich mit hochrangigen Regierungsvertretern wie Außenminister Sergej Lawrow getroffen.

Auch der Chef der Terrorgruppe „Islamischer Dschihad“ und Vertreter der libanesischen Hisbollah haben seitdem in Moskau vorgesprochen. „Hisbollah-Terroristen kämpften Seite an Seite mit russischen Truppen in Syrien“, schreibt dazu Richard Kemp, Sicherheitsexperte und ehemaliger Oberst der britischen Streitkräfte, und sie „waren seitdem daran beteiligt, Moskau bei der Umgehung von Sanktionen zu helfen, und haben nach Angaben des US-Finanzministeriums im Gegenzug möglicherweise Waffen erhalten.“

Vor diesem Hintergrund ist die Annahme, dass es zwischen Moskau und Teheran eine direkte globalstrategische Koordination gibt, kaum von der Hand zu weisen. Besonders perfide daran ist, dass sich Russland seit Jahren als wohlwollender Partner Israels darzustellen wusste, zugleich aber seine Allianz mit dem iranischen Regime, dessen zentraler Daseinsgrund erklärtermaßen die Auslöschung des jüdischen Staats ist, immer weiter vertieft hat.

Der Schein der Annäherung

Ähnlich wie es lange Zeit gegenüber Russland der Fall war, haben die Europäer das wahre Aggressionspotenzial der Islamischen Republik Iran systematisch unterschätzt, wenn nicht hartnäckig schöngeredet. Der Mythos von den „Gemäßigten“ im Machtapparat der islamistischen Diktatur, die es gegen die „Hardliner“ zu stützen gelte, unterfütterte das Wunschdenken, der Iran werde sich ungeachtet seiner apokalyptisch-extremistischen Ideologie und seines eliminatorischen Antisemitismus über kurz oder lang doch noch zu einem verlässlichen Stabilitätsfaktor im Nahen Osten wandeln.

Um das Atomabkommen zu retten, sah man über die kriegerische Einmischung des Iran an diversen regionalen Brennpunkten, allen voran in Syrien, möglichst hinweg. Wie man die imperialen Weltneuordnungspläne der Moskauer Machthaber lange Zeit als propagandistisch überzogene Rhetorik abgetan hat, weigerte man sich, die Vernichtungsankündigungen des Teheraner Regimes für bare Münze zu nehmen.

Zuletzt erzeugten die „Abraham-Abkommen“ des jüdischen Staats mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain, Marokko und dem Sudan bei den westlichen Regierungen, aber auch in Israel selbst eine trügerische Euphorie. Die Aussicht auf einen nahenden Friedensschluss Jerusalems auch mit den Saudis ließ die Erwartung aufkommen, die arabischen Staaten könnten über die Köpfe der handlungsunfähigen palästinensischen Führung in Ramallah hinweg den Nahost-Konflikt endlich einer Lösung zuführen.

Dass es parallel dazu auch zu einer Annäherung zwischen den Erzrivalen Saudi-Arabien und dem Iran gekommen ist, hatte die Illusion befeuert, die Zeichen in der Region stünden auf Frieden – obwohl diese Annäherung von China vermittelt wurde und somit auch als ein demonstratives Statement gegen den Westen hätte verstanden werden müssen. Für die iranische Führung bot all das einen idealen Deckmantel, unter dem sie die nächste Gewaltexplosion in der Region vorbereiten konnte, die alle Hoffnungen auf eine israelisch-arabische Aussöhnung zumindest fürs Erste zunichtemacht.

Todfeinde demokratischer Zivilisation

Dass die Terroroffensive der Hamas den Westen völlig unvorbereitet getroffen hat, zeigt: Er kann es sich nicht länger leisten, die diversen aktuellen Kriegs- und Konfliktherde, sei es in der Ukraine, im Kaukasus, in Afrika oder im Nahen Osten, als voneinander isolierte, jeweils „regionale“ Phänomene zu betrachten. Sie müssen im Kontext eines gleichsam dezentral geführten weltweiten Kriegs gegen die gesamte demokratische Zivilisation gesehen werden, der von ihren vereinten Todfeinden massiv vorangetrieben wird. Ihre Methode ist es dabei, mit dem Schüren kriegerischer Konflikte an verschiedenen Stellen des Globus die Kräfte des Westens zu überfordern und ihn so zu zermürben.

Russland und der Iran bilden das Zentrum dieser antiwestlichen Achse, zu der mit Nordkorea unter anderem auch die wohl grauenvollste Diktatur gehört, die derzeit auf dem Erdball existiert. Und auch das übermächtige China teilt die Einschätzung Putins und seiner iranischen Komplizen, dass der historische Zeitpunkt für den Umsturz der vom westlichen Universalismus geprägten regelbasierten Weltordnung jetzt gekommen sei – wie das Ende der Epoche der liberalen Demokratie überhaupt. Wenn George W. Bushs Formel von der „Achse des Bösen“ jemals eine Berechtigung hatte – heute beschreibt sie eine unbezweifelbare, in höchstem Maße alarmierende Realität.

Zuletzt hat Russland, das sich bis vor Kurzem noch als „Friedensmacht“ im Kaukasus inszenierte, dem aserbaidschanischen Autokraten Ilham Alijew de facto grünes Licht für die Eroberung von Berg-Karabach gegeben. Dafür ließ es seinen bisherigen Schützling Armenien eiskalt fallen, hat sich dieser aus Sicht des Kremls doch zu stark der Demokratie und dem Westen zugewendet.

In Lateinamerika hält Moskau die Autokratien Kubas, Venezuelas und Nicaraguas im Sattel, in Afrika ist es als treibende Kraft und mit Söldnern zur Stelle, wenn es, wie in Niger, darum geht, demokratische Strukturen durch Militärgewalt zu beseitigen. Gleichzeitig liebäugelt Russlands ideologischer Juniorpartner Serbien offenbar mit der gewaltsamen Rückeroberung des Kosovo. Die destabilisierende Wirkung der weltweiten kriegerischen Umtriebe Russlands ist durchaus im Sinne Chinas, das selbst auf den passenden Zeitpunkt lauert, sich das demokratische Taiwan militärisch einzuverleiben.

Epochale Fehleinschätzung

In den westlichen Demokratien wird aber noch immer nicht die ganze Dimension dieser für sie existenziellen Bedrohung erkannt – ebenso wenig wie die Vorreiterrolle, die dabei der russische Vernichtungskrieg gegen die Ukraine spielt. Neuerdings wächst sogar die Neigung, diesen doch wieder nur als ein regional begrenztes Problem zu betrachten, dessen Behandlung größeren globalstrategischen Erwägungen unterzuordnen sei.

So haben die USA und ihre Verbündeten beim jüngsten G20-Gipfel aus Rücksicht vor allem auf Indien einer gemeinsamen Abschlusserklärung zugestimmt, in der Russlands Aggression gegen die Ukraine nicht einmal mehr explizit genannt, geschweige denn verurteilt wird. Um aufstrebende Länder des vielfach zu einer quasi mystischen Einheit hochstilisierten „Globalen Südens“ der westlichen Welt gegenüber gnädig zu stimmen, macht man ihnen Zugeständnisse, statt ihrem mangelhaften Einstehen für das Völkerrecht entgegenzutreten.

Nach der im Westen vorherrschenden Vorstellung wird der Krieg so lange weitergehen, bis sich die Kräfte des Aggressors so weit erschöpft haben, dass der Kreml nicht umhinkommt, sich auf Verhandlungen zumindest über einen Waffenstillstand einzulassen. Dieser Kalkulation entsprechend agieren die führenden westlichen Demokratien nach dem Prinzip, die Ukraine gerade so weit zu unterstützen, dass sie sich gegen die russische Vernichtungswalze behaupten und mittels ihrer Gegenoffensive zumindest bescheidene Geländegewinne erzielen kann. Diese, so heißt es immer wieder, würden ihre „Verhandlungsposition“ in kommenden Gesprächen mit Moskau stärken.

Zugleich aber zögert der Westen, die ukrainische Armee mit den Waffensystemen auszustatten, die sie für die vollständige Rückeroberung der von den russischen Invasoren besetzten Gebiete benötigt. Davor schreckt er aus einer doppelten Angst heraus zurück: Zum einen der, in unmittelbare militärische Konfrontation mit Russland zu geraten, und zum anderen der Furcht, die staatliche Ordnung der russischen Föderation könnte durch eine allzu desaströse Niederlage in der Ukraine kollabieren – was, so die Einschätzung, unkontrollierbare Folgen für die weltweite „Stabilität“ haben würde.

Doch diese Annahmen beruhen auf einer Fehleinschätzung von epochalem Ausmaß, die der Westen, sollte er sie nicht schnellstens korrigieren, womöglich bald teuer wird bezahlen müssen. Denn das russische Regime und seine militärischen Befehlshaber machen schon längst keinen Hehl mehr daraus, dass sie einen noch weit größeren Krieg, nämlich den gegen die NATO planen – ja, dass sie sich bereits inmitten der ersten Phase dieses großen Krieges wähnen. So erklärte der jüngst von Putin beförderte russische Generaloberst Andrej Mordwitschew kürzlich, der Krieg gegen die Ukraine sei „nur die Zwischenstufe“ auf dem Weg zum Angriff auf ganz Osteuropa.

Niemand sollte sich daher der Illusion hingeben, die russische Kriegsmaschinerie werde vor NATO-Staaten Halt machen. Man muss vielmehr davon ausgehen, dass der Kreml das westliche Bündnis direkt angreifen wird, sobald er in dessen Reihen genügend Anzeichen von Schwäche und Konfliktscheu wahrzunehmen glaubt. Jedes Zögern des westlichen Bündnisses aus Furcht, zur „Eskalation“ des Krieges beizutragen, wird von den Moskauer Machthabern als ein solches Anzeichen gewertet.

Nachdem Russland den Krieg nicht wie ursprünglich gedacht im Handstreich gewinnen konnte, setzt es jetzt darauf, die Ukraine auf lange Sicht zu zerstören, indem es sie durch permanenten Beschuss ihrer Infrastruktur der Lebensgrundlagen beraubt. Getrieben wird das Kreml-Regime dabei von einem abgründigen exterminatorischen Hass, mit dem es die Auslöschung der ukrainischen Staatlichkeit und Identität zu seiner höchsten Priorität erklärt hat.

Realitätsverleugnung

Putins Russland ist mit seinen horrenden Verbrechen gegen die Menschlichkeit bereits viel zu weit gegangen, als dass es von seinem Kurs der totalen Zerstörung abgehen und auf den Weg friedlicher Kooperation zurückkehren könnte. Im Gegenteil: Das terroristische Herrschaftssystem des russischen Mafiastaats ist darauf angewiesen, seinen Vernichtungskurs ad infinitum fortzuführen. Denn seine ganze Existenz gründet allein auf dem Prinzip der Anwendung und Glorifizierung hemmungsloser Gewalt. Außer der permanenten Demonstration seiner äußersten Gewaltbereitschaft hat es nichts zu bieten, das seine kriminelle und parasitäre Macht legitimieren könnte.

Deshalb zeugt es von sträflicher, um nicht zu sagen: selbstmörderischer Realitätsverleugnung, wenn führende Politiker und weite Teile der Öffentlichkeit hierzulande unverdrossen darauf spekulieren, es ließe sich mit dem Kreml irgendwann über einen „gerechten Frieden“ verhandeln. Die Zerstörungsenergie Russlands und seiner Verbündeten kann nur dadurch gebrochen werden, dass ihnen exemplarische militärische Niederlagen zugefügt werden. So wie ein Sieg der Ukraine Putins Russland ins Wanken bringen würde, so wäre die Zerschlagung der Hamas durch Israel ein empfindlicher Rückschlag für die Hegemonialpläne des Iran. Im eigenen Überlebensinteresse muss der Westen alles daransetzen, dass beides gelingt.

Über den Autor

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

1 Kommentar

  • Danke für eine so weitgehende Analyse, für die klare, eindeutige und allseits unwillkommende Stellungnahme. Mit diesem Wissen lebt es sich unangenehmer. Es sollte uns zum Handeln ermutigen, wenn auch uns (noch) Freiheit, der Schutz von Menschenrechten und letztlich Frieden wichtig sind.

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

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