WM: Wenn der Fußball für die Autokraten rollt

Die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar hat drastisch deutlich gemacht, wie weit  die Komplizenschaft des Weltsports mit zahlungskräftigen Autokratien vorangeschritten ist. Für ihren kommerziellen Vorteil unterwerfen sich Verbände wie die FIFA und das Internationale Olympische Komitee – zuletzt bei den Winterspielen 2022 im totalitären China – den Standards diktatorischer Regime.

Ihre diesbezügliche Dienstfertigkeit verstecken sie hinter der Lüge vom „unpolitischen“ Sport. In Wahrheit aber hat sich die FIFA wie zuvor bei der WM in Russland 2018 auch in Katar politisch instrumentalisieren lassen. In den WM-Stadien untersagte sie strikt alle Meinungsäußerungen, die dem katarischen Regime nicht genehm sind. So unterband sie Proteste gegen die Unterdrückung der iranischen Demokratiebewegung ebenso wie das Zeigen von Regenbogenfahnen als Zeichen der Solidarität mit der LGBTQ-Bewegung, handele es sich dabei doch um unzulässige politische Kundgebungen.

Doch dass bei  Spielen arabischer Teams auf den Rängen massenhaft die Palästina-Flagge geschwenkt wurde und die Nationalmannschaft Marokkos mit ihr sogar auf dem Spielfeld seine Siege bejubelte, wertete die FIFA nicht als politischen Vorgang und tolerierte es. Dabei war die antiisraelische Stoßrichtung dieser Manifestationen offensichtlich. Dass marokkanische Spieler mit einem Fingerzeichen posierten, das auch von der Terrororganisation IS verwendet wird, ließ der Fußball-Weltverband ebenfalls unbeanstandet durchgehen.

„Antikolonialist“ Infantino

Um die Praktiken des autoritären Gastlands zu verteidigen, übernahm FIFA-Chef Gianni Infantino sogar die Rhetorik des antiwestlichen Kulturrelativismus und „Antikolonialismus“, mit denen arabische Despotien ihr Vorherrschaftsstreben zu bemänteln pflegen. Mit seiner Äußerung, die Europäer sollten sich doch erst einmal für ihre eigenen Untaten „der letzten 3000 Jahre“ entschuldigen, bevor sie andere „moralisch belehren“, offenbarte Infantino, dass er – entgegen offizieller Lippenbekenntnisse seines Verbandes – für universale Werte und Rechte nur Verachtung übrig hat.

Doch auch die heftige Kritik an der Ausrichtung der WM in Katar, die vor allem in Deutschland laut geworden ist, trägt Züge von Heuchelei. Kein Zweifel, Katar ist ein autoritärer Staat, in dem Menschen- und vor allem Frauenrechte wenig bis nichts gelten und Angehörige sexueller Minderheiten um Leib und Leben fürchten müssen. Die prachtvollen WM-Stadien wurden von brutal ausgebeuteten Fremdarbeitern erbaut, wobei Tausende von ihnen ums Leben kamen. Und der kleine, aber umso ambitionierte Golfstaat nutzte das sportliche Großereignis, um seinen hochfliegenden Anspruch auf eine globale Führungsrolle zu unterstreichen.

Doch anders als Russland, das die vorherige WM 2018 ausrichten durfte, überfällt Katar immerhin keine fremden Länder, hält nicht Teile ihres Territoriums besetzt, zerbombt dort keine Städte und hungert sie aus, und vertreibt nicht millionenfach Menschen aus ihrer Heimat, indem es systematisch die für sie lebensnotwendige Infrastruktur zerstört. Dennoch war die Intensität des Protests gegen Russland als Gastgeber des Weltturniers vor vier Jahren unvergleichlich geringer als jetzt gegen Katar. Gegen die Instrumentalisierung des Fußballs für die Selbstdarstellung einer aggressiven, mörderischen Macht als „völkerverbindende“ Kraft erhoben sich damals nur wenige kritische Stimmen, die fast gänzlich verstummten, sobald in Moskau und St. Petersburg der Ball rollte.

Macron im Regen

Während die Fußballwelt dort Tore bejubelte, führte das Putin-Regime in Syrien einen terroristischen Luftkrieg gegen die Zivilbevölkerung und baute auf der annektierten Krim und in den besetzten ostukrainischen Gebieten seine verbrecherischen Folterregime aus. Was die Unterdrückung jeglicher politischer Opposition und die Repression gegen sexuelle Minderheiten betrifft, stand Russland schon damals Katar nicht nach. Zudem war es des Betreibens eines staatlichen Doping-Betrugssystems überführt worden.

Doch höchste Autoritäten des Weltfußballs hielt das alles nicht davon ab, Putin als großem Freund des Sports zu huldigen. Gianni Infantino überschlug sich vor Danksagungen für dessen Gastfreundschaft. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nahm beim WM-Finale neben dem Kreml-Kriegsherrn Platz und wurde dafür von ihm noch gedemütigt: Während sich Putin einen riesigen Schirm über das Haupt halten ließ, musste Macron ungeschützt im Regen zur Siegerehrung für die französische Weltmeistermannschaft schreiten. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hatte sich um eine Festlegung gedrückt,  ob sie zu einem Finale mit deutscher Beteiligung nach Moskau kommen würde – bis sie durch das frühe Ausscheiden der deutschen Mannschaft aus dieser Klemme befreit wurde.

2018: Beihilfe zu Putins Kriegen

Die für ihn propagandistisch höchst erfolgreiche WM 2018 war ein Meilenstein in Putins Kriegsvorbereitungen. Dass ihm dort die westliche Welt zu Füßen lag, bestärkte ihn in seiner Überzeugung, sie werde sich seinem schon damals geplanten und mehr oder weniger offen angekündigten Vernichtungskrieg gegen die Ukraine nicht  ernsthaft entgegenstellen. So wiederholte sich die Konstellation der Olympischen Winterspiele in Sotschi 2014: Nach deren Abschluss gab der Kreml-Herrscher den Befehl zur Annexion der Krim.

Nicht nur die FIFA und die teilnehmenden nationalen Fußballverbände haben sich so indirekt der Beihilfe zu Russlands Vernichtungspolitik schuldig gemacht, sondern auch die westliche Öffentlichkeit im Ganzen, die sich weitgehend unkritisch an dem unwürdigen Schauspiel delektierte. Die Welle der Empörung über die WM in Katar wäre glaubwürdiger gewesen, hätten die Kritiker zuvor ihr damaliges Versagen eingestanden und aufgearbeitet.

Der kommerzielle Sport, und allen voran der Fußball, ist zu einem bevorzugten Einfallstor für das globale Vorherrschaftsstreben autoritärer Mächte geworden. Über dieses scheinbar unverdächtige Medium bauen sie nicht zuletzt ihren Einfluss auf die westlichen Gesellschaften aus und treiben die Unterminierung ihres Wertegefüges voran. Der Sport ist ein weiteres Kampffeld, auf dem sich der Westen gegen den Ansturm der Autokratien rüsten muss.

Der Text ist zuerst in ukrainischer Übersetzung als Kolumne hier erschienen.

Postskriptum: Der Sieger der Fußball-WM 2022 stand schon vor dem Finale zwischen Frankreich und Argentinien fest: das Regime Katars und sein globales Wirtschaftsimperium, das mit beiden beteiligten Nationen bestens im Geschäft ist und dem mt Messi und Mbappé die Superstars beider Teams gehören. Stehen doch beide bei dem französischen Top-Klub Paris St. Germain unter Vertrag, das sich im Besitz der Investorengruppe Qatar Sports Investments befindet. (Siehe dazu: hier.) Kein Wunder, dass Emmanuel Macron auch in Katar – dieses Mal bereits im Halbfinale – wieder mit kritikloser Begeisterung zu Stelle war. Und das ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, da das EU-Parlament von einem beispiellosen Bestechungsskandal erschüttert wird: Etliche Europa-Abgeordnete sind von Katar bestochen worden. Wie der Fußball, so das Leben.

Über den Autor

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

von Richard Herzinger

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

Schreiben Sie mir

Sie können mich problemlos auf allen gängigen Social-Media-Plattformen erreichen. Folgen Sie mir und verpassen Sie keinen Beitrag.

Kontakt