Warum Antikommunismus nicht von gestern ist

„Kalter Krieger“ wird heutzutage wieder als Schimpfwort benutzt. Und auch, wen der Vorwurf trifft, „Antikommunist“ zu sein, gilt damit häufig als ewig gestrig und ideologisch verbohrt. Dabei müsste Antikommunismus für alle Verteidiger der Demokratie eigentlich selbstverständlich sein – verbunden mit einer festen Haltung gegen jede Art von totalitärer und autoritärer Herrschaft. In dieser Form steht er in bester freiheitlicher Tradition.

Gut dreißig Jahre nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Imperiums haben sich hierzulande Teile seiner Ideologie auf Schleichwegen wieder durchgesetzt. Die Ansicht, an der DDR könne nicht von Anfang an alles schlecht gewesen sein und der Kommunismus sei eine moralisch gute Idee gewesen, die nur schlecht ausgeführt wurde, findet nicht nur beim Anhang der SED-Nachfolgepartei Die Linke Akzeptanz, sondern längst auch Resonanz in weiten Teilen der gesellschaftlichen Mitte.

Folgerichtig ist auch der Vorwurf, ein „Antikommunist“ zu sein, wieder ins propagandistische Arsenal – nicht nur – der Linken zurückgekehrt. Wen er trifft, dem hängt das Odium des ewig gestrigen Reaktionärs an. Dies umso mehr, als der Kommunismus doch mausetot sei und seine Verdammung somit eine Art politischer Leichenschändung darstelle. Auftrieb hat die Renaissance des Antikommunismus-Vorwurfs ausgerechnet durch Wladimir Putins neosowjetische Aggressionspolitik bekommen.

Glorifizierung der Sowjetunion á la Putin

Wer diese beim Namen nennt und ihr entschieden entgegentreten will, wird verdächtigt, anachronistischen „antikommunistischen Reflexen“ nachzugeben – und das, obwohl Putins autoritäres Regime zwar die Sowjetunion glorifiziert, dabei aber die Restauration despotisch-klerikaler Strukturen der Zarenzeit betreibt und fanatische völkisch-nationalistische Antibolschewisten zu seinen geistigen Ahnen zählt. Auch dass die extreme Rechte Westeuropas auf Putins Seite steht und von seinem Regime nach Kräften gefördert wird, hindert linke Apologeten des Kreml-Autokraten nicht daran, dessen Gegner in eine verwerfliche Tradition „antikommunistischer“ Entspannungsfeinde zu stellen.

Doch was soll eigentlich ehrenrührig daran sein, als Antikommunist zu gelten? Zugegeben, ganz glücklich kann man nicht damit sein, sich diesen Begriff zu eigen zu machen. Suggeriert er doch, man definiere sein Denken ausschließlich oder doch zumindest primär im Gegensatz zur kommunistischen Ideologie. Gerechtfertigt ist eine antikommunistische Haltung jedoch nur, wenn sie mit der Ablehnung jeder Form von autoritärer und totalitärer Unterdrückung einhergeht. Denn es gibt ja tatsächlich eine bösartige, rechtsextreme Form von Antikommunismus, die den Kommunismus als Ausdruck der „entwurzelten“ Moderne und des „zersetzenden“ aufklärerischen Denkens bekämpft – mit mörderischen Konsequenzen.

Doch im scharfen Gegensatz dazu existiert schon seit der Errichtung der ersten kommunistischen Diktatur durch die Bolschewiki in Russland eine reiche bürgerlich-liberale, aber auch sozialdemokratische, libertär-sozialistische und anarchistische Traditionslinie eines entschieden freiheitlichen Antikommunismus. Dieser lehnt den Herrschaftsanspruch der marxistischen und leninistischen Geschichtsreligion ab, weil er vom ersten Moment an durch systematischen Terror, Verfolgung jedes unabhängigen Denkens, Auslöschung der Rechte des Individuums und Liquidierung ganzer gesellschaftlicher Klassen und Gruppen charakterisiert war – durch den Versuch also, die emanzipatorischen Errungenschaften der aufgeklärten Moderne mit äußerster Gewalt zurückzudrehen.

Willy Brandt nannte sich selbst „Kalter Krieger“

Diese Tradition wollen die Apologeten und Verharmloser des Kommunismus dadurch diskreditieren, dass sie diesen Antikommunismus mit der faschistischen und nationalsozialistischen Perversion des Antikommunismus in eins setzen. Dabei wird oft suggeriert, Antikommunismus und Antisemitismus bildeten ein miteinander zusammenhängendes Syndrom. Als seien es nicht zuletzt jüdische Intellektuelle wie Arthur Koestler, Manès Sperber und Melvin Lasky gewesen, die nach 1945 in vorderster Linie eines konsequenten liberalen Antikommunismus standen.

Dem von ihnen ins Leben gerufenen Kongress für kulturelle Freiheit gehörten in den Fünfzigerjahren übrigens auch Sozialdemokraten wie Willy Brandt an, der sich damals wie selbstverständlich einen Antikommunisten und „Kalten Krieger“ nannte. Aber auch Max Horkheimer, Mitbegründer des legendären Instituts für Sozialforschung und im amerikanischen Exil Leiter der wissenschaftlichen Abteilung des American Jewish Committee, bezeichnete die DDR als zweite totalitäre Diktatur in Deutschland – ohne Scheu davor, deswegen der Relativierung von NS-Verbrechen bezichtigt zu werden.

Überdies gehörten auch antisemitische Kampagnen, kostümiert als Kampf gegen „Kosmopoliten“ oder „zionistische Agenten“, zum Repertoire kommunistischer Diktaturen. Und Israel erwies sich im Kalten Krieg als zuverlässige Bastion gegen die Ausbreitung des Sowjetkommunismus, der mittels seiner arabischen Verbündeten einen unerklärten Krieg gegen den jüdischen Staat führte.

Gegen einen „Schlussstrich“ von links

Gleichwohl hält sich hartnäckig der Mythos, nach dem der Kommunismus bei allen seinen Fehlern doch immerhin eine konsequent „antifaschistische“ Kraft gewesen sei. Doch warum die in der Sowjetunion bereits vor Hitlers Machtergreifung praktizierte Massenvernichtung und -verfolgung weniger ungeheuerlich sein soll, weil das NS-System diese Untaten überbot und mit dem Holocaust ein unvergleichliches Menschheitsverbrechen beging, leuchtet nicht ein. Ausgeblendet wird in diesem Mythos auch der Anteil der Kommunisten an der Zerstörung der Weimarer Demokratie.

Nicht der Nationalsozialismus, sondern der „Sozialfaschismus“ der SPD galt ihnen in deren Endphase als Hauptfeind. Immer wieder gab es zudem zur Weimarer Zeit von kommunistischer Seite Vorstöße, die extreme Rechte für ein Zweckbündnis gegen den verhassten „westlichen Imperialismus“ zu gewinnen – bis diese Liaison in Folge des Hitler-Stalin-Pakts von 1939 zeitweilig fatale Wirklichkeit wurde.

Als der Massenterror in der Sowjetunion nach Stalins Tod nachließ, fing er in anderen kommunistischen Staaten erst richtig an. In der Volksrepublik China fielen allein der „Kulturrevolution“ der 1960er-Jahre Millionen Menschen zum Opfer. Und weit davon entfernt, mit dem Ende des Sowjetblocks spurlos verschwunden zu sein, existiert kommunistische Herrschaft in modifizierten Formen in Staaten wie der Volksrepublik China, Nordkorea und Kuba weiter. In China propagiert die Partei- und Staatsführung unter Xi Jinping sogar wieder mit verstärkter Aggressivität eine orthodoxe Auslegung des Marxismus-Leninismus.– als der für ihren globalen Expansionskurs passenden Doktrin.

Über die Verwüstungen, die der Kommunismus hinterlassen hat, den Schleier des Vergessens zu legen, wäre nicht zuletzt der sicherste Weg, seine mögliche Wiederauferstehung zu begünstigen. Die propagandistischen Erfolge, die Putin  mit seinen prosowjetischen Geschichtsklitterungen erzielt, sollten uns diesbezüglich eine Warnung sein. In diesem Sinne ist ein selbstbewusster demokratischer Antikommunismus  nicht nur zeitgemäß, sondern zwingend notwendig – um nach der rechten nunmehr die linke Variante eines historischen „Schlussstrichs“ zu verhindern.

Der Text ist die aktualisierte und erweiterte Fassung meines Artikels, der im Januar 2015 in der „Welt“ erschienen ist.

Über den Autor

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

1 Kommentar

  • Sehr geehrter Dr. Herzinger,

    wir stimmen, wie Sie sich denken können, weitestgehend überein. Und ich meine auch zu verstehen, was genau Sie sagen wollten mit dieser Formulierung: „Doch warum die in der Sowjetunion bereits vor Hitlers Machtergreifung praktizierte Massenvernichtung und -verfolgung weniger ungeheuerlich sein soll, weil das NS-System diese Untaten überbot und mit dem Holocaust ein unvergleichliches Menschheitsverbrechen beging, leuchtet nicht ein.“
    Aber sollte man nicht eher sagen, daß das NS-System diese Untaten qualitativ überbot und mit dm Holocaust ein singuläres Massenverbrechen beging?
    Ich fände das noch klarer, weil quantitativ die Leichenberge der kommunistischen Diktaturen denen des NS nicht nachstehen, im Gegenteil, sie in gewissem Sinne überragen, und weil Singularität ein philosophisch viel besser begründbar ist, als die relativ triviale Einzigartigkeit.

    Mit herzlichen Grüßen
    Siegfried Reiprich

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

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