Kreml-Pläne durchkreuzen: Ukraine in die NATO!

Bei ihrem bevorstehenden Gipfel in Washington muss die NATO der Ukraine endlich eine konkrete Beitrittsperspektive bieten. Bleibt es – was leider zu erwarten ist -, bei unverbindlichen Beteuerungen, sie irgendwann einmal „nach dem Krieg“ aufnehmen zu wollen, wird der Kreml dies als Zurückweichen vor seinen Drohgebärden werten und seine Aggression nur noch weiter verschärfen.

Das Argument, ein Land im Kriegszustand könne nicht in die NATO kommen,  ist vorgeschoben und widersinnig. Dieses Prinzip ist nirgendwo festgeschrieben und lädt den Kreml geradezu ein, seinen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine endlos fortzusetzen. Kann er doch so ihre Aufnahme in das westliche Bündnis dauerhaft blockieren.

Dass sich Putins Russland von der NATO bedroht fühle, ist nichts als eine Propagandalüge. Der Westen darf sich davon in seinen Entscheidungen nicht beeinflussen lassen. In Wahrheit geht es dem Aggressor nicht nur darum, die Ukraine aus der Atlantischen Allianz herauszuhalten, sondern diese insgesamt zu zerstören, um so die Vorherrschaft über ganz Europa zu erlangen. Die NATO muss begreifen, dass von der erfolgreichen Verteidigung der demokratischen Ukraine gegen die autokratische Expansion ihr eigenes Schicksal sowie die Zukunft der westlichen demokratischen Zivilisation im Ganzen abhängt.

Deshalb sollte die Ukraine unverzüglich in den Mitgliedschafts-Aktionsplan (MAP) der NATO aufgenommen werden. In diesem Programm werden Anwärter an die Vollmitgliedschaft herangeführt, ohne sie zu präjudizieren. MAP umfasst neben der Anpassung der militärischen Strukturen an den NATO-Standard – die aufgrund der langjährigen engen Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und dem Bündnis bereits jetzt weit fortgeschritten geschritten ist -, auch die Entwicklung und Festigung rechtsstaatlicher Verhältnisse. Die Teilnahme der Ukraine daran würde so auch als zusätzlicher Motor für das Vorantreiben der inneren Reformen wirken, namentlich der auf dem Feld der Korruptionsbekämpfung.

Auch wenn sie die Ukraine aufnimmt, muss die NATO nicht zwangsläufig mit eigenen Truppen in den Krieg eingreifen. Sie würde dem Kreml damit jedoch unzweideutig signalisieren, dass sie eine ukrainische Niederlage auf keinen Fall zulassen wird. Nur das kann den Aggressor von weiterer Eskalation abschrecken. Aus Angst vor „Eskalation“ die Ukraine weiter zu vertrösten, wird dagegen genau das Gegenteil bewirken.

Der Beschluss, die Ukraine in die NATO zu integrieren, würde der Kreml-Propaganda den Boden entziehen, die suggeriert, die Zugehörigkeit der Ukraine zum demokratischen Westen sei noch immer Verhandlungsmasse in potenziellen „Friedensgesprächen“. Gegenwärtig versucht der Kreml massiv, die westliche Öffentlichkeit zu desorientieren und zu spalten, indem er vergiftete Gerüchte über vermeintliche russische „Friedenspläne“ streut (und sich bei dem Vortäuschen von Friedensinitiativen an erster Stelle seines ungarischen Vasallen Viktor Orban bedient).

Das unmissverständliche Bekenntnis der NATO zur Ukraine wäre die passende Antwort, um diese Pläne zu durchkreuzen. Und gerade das 75.Gründungsjubiläum des transatlantischen Bündnisses ist der richtige Moment, ein Zeichen zu setzen, das an seine Ursprungsidee erinnert: Die freien Völker vor ihrer Überwältigung durch totalitäre Aggressoren zu schützen.

Der Text ist die erweiterte Fassung meines Kommentars im Rahmen eines Pro und Contra in der Wochenzeitung Das Parlament.

Über den Autor

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

von Richard Herzinger

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

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