Ukraine: Chinas „Friedensplan“ ist eine tückische Falle

China will offenbar bei der am Dienstag beginnenden UN-Vollversammlung seinen Sechs-Punkte-„Friedensplan“ für die Ukraine groß herausstellen, den es Anfang dieses Jahres mit Brasilien abgestimmt hat. Gegenüber Pekings ursprünglichem Zwölf-Punkte-Plan enthält diese komprimierte Version allerdings nichts Neues. Wie ersterer dient sie in Wirklichkeit ganz anderen Zwecken, als der von dem völkermörderischen Aggressor Russland überfallenen Ukraine zu einem gerechten Frieden zu verhelfen.

Im Gegenteil: Oberstes Ziel der chinesischen Initiative ist es, Pekings Verbündeten Russland unter allen Umständen vor einer Niederlage und seinem daraus höchstwahrscheinlich folgenden Zusammenbruch zu bewahren. Lippenbekenntnise zum Prinzip der Achtung der Souveränität sind in Pekings Rhetorik so vage gehalten, dass es auch im gegenteiligen Sinne seiner eigentlichen Bedeutung ausgelegt werden kann. Betrachtet Russland die von ihm okkupierten ukrainischen Gebiete doch als Teil Russlands und versteht dementsprechend unter „Achtung der Souveränität“, dass ihm niemand seine Kriegsbeute streitig machen dürfe. Flugs lässt sich der Schwerpunkt der Debatte dann auch auf die gleichermaßen betonte „Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen jedes Landes“ verlagern – ein Codewort autokratischer Regime. das ihre Absicht verschleiern soll, die Welt in „Einflusszonen“ aufzuteilen.

Der Kern des chinesisch-brasilianischen „Friedensplans“ besteht in dem Vorhaben, Russland und die Ukraine ohne Vorbedingungen an den Verhandlungstisch zu bringen – unter der Federführung des übermächtigen „Vermittlers“ China, versteht sich. Damit wird suggeriert, Russland und die Ukraine hätten gleichermaßen Anteil am Ausbruch des Kriegs und verfolgten beide legitime Interessen, die es in Friedensverhandlungen auszugleichen gelte. Diesen Prämissen nachzugeben, bedeutet faktisch, die Legitimität der imperialistischen Ansprüche Russlands anzuerkennen, Kein Wunder, dass Putin seinem mächtigen Freund Xi Jinping seine Unterstützung für den „Friedensplan“ zugesagt hat – womit der russische Kriegsherr der westlichen Öffentlichkeit zugleich seine „Verhandlungsbereitschaft“ vorgaukeln kann.

Chinas wahre Absichten

Das Friedensgesäusel des totalitären chinesischen Regimes ist nichts als ein Verwirrspiel, mit dem die Prinzipien, auf denen die Friedensvorstellungen der demokratischen Welt beruhen, unterminiert werden – und insbesondere dem angekündigten Friedensplan des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj das Wasser abgegraben werden soll.

Chinas Führung verfolgt mit seinem „Friedensplan“ nämlich noch viel weitergehende globalpolitische Ziele, als nur das, ihrem russischen Waffenbruder eine Überlebensgarantie zu geben. Indem Xi Jinping in Sachen Beendigung des Kriegs die Initiative an sich reißt, will er zum einen den Westen in die Enge treiben und zum anderen China als unbestrittenen Anführer des „Globalen Südens“ etablieren, der allein in der Lage sei, den Weltfrieden zu sichern.

Deshalb darf der Westen den zu erwartenden „Friedens“-Auftritt Pekings bei der UN-Vollversammlung nicht auf die leichte Schulter nehmen. In einem ersten Schritt könnte Peking etwa einige Dutzend hochrangige Regierungsvertreter des „Globalen Südens“ am Rande der Generalversammlung zusammenbringen (selbstredend ohne ukrainische Beteiligung), um eine Art „Kerngruppe“ zu bilden, die bald um weitere Staaten aus Afrika, Lateinamerika und Asien sowie regionale internationale Organisationen ergänzt werden könnte. Im Rahmen von BRICS und anderen internationalen Zusammenhängen könnte Peking dann eine lobale Gegenstruktur zu der westlichen Unterstützerfront für die Ukraine aufbauen – um, unter der Maßgabe, die „Weltmehrheit“ hinter sich zu versammeln – alle Bemühungen der Ukraine zu untergraben, einen großen
Friedensgipfel zu organisieren, auf dem die Bedingungen für einen tatsächlichen, tragfähigen Frieden
erörtert werden sollen.

Friedensplan oder Weltneuordnung?

Chinas Inszenierung als Friedensstifter hat für Peking den günstigen Nebeneffekt, dass es damit Russland in noch größere Abhängigkeit von sich bringt, als sie bereits jetzt besteht – in politischer, vor allem aber auch ökonomischer Hinsicht. Ohne China als Abnehmer für russische Rohstoffe (zu Billigpreisen!) wäre die russische Kriegsmaschine wohl schon längst am Ende. Diese Machtdemonstration, aus dem Hintergrund über Krieg oder Frieden entscheiden zu können, unterstreicht Chinas Ambitionen, der ganzen Welt seinen Willen aufzuzwingen. Am Ende der chinesischen Pläne stünde dann eine Weltordnung, in der Peking und nicht das Völkerrecht den Ausschlag dafür gibt, wie Kriege und Konflikte zu bewerten und gegebenenfalls zu beenden sind. Einstweilen ist China jedoch keineswegs an einem schnellen Kriegsende interessiert – schwächt der Krieg doch fortlaufend den Westen und treibt ihm zugleich Russland immer weiter als einen auf sein Wohlwollen angwiesenen Klienten in die Arme.

Europa muss sich davor hüten, den Friedensschalmeien des totalitären China auf den Leim zu gehen. Hinter seinem geheuchelten Engagement für den „Frieden“ steckt eine globalpolitische Kampfansage an die demokratische Welt. Jeder „Friedensplan“, der nicht eindeutig den Aggressor und das Opfer der Aggression benennt, kann zu nichts anderem führen, als die Vergewaltigung des Völkerrechts abzusegnen. Sollte es dem totalitären China gelingen, der Ukraine einen „Frieden“ aufzuzwingen, der gleichbedeutend mit ihrer Unterwerfung ist, hätte für die europäische Friedensordnung in Gänze die letzte Stunde geschlagen.

Die EU muss sich den international massiv zunehmenden Bestrebungen, die Ukraine in einen Diktatfrieden zu drängen. entschieden widersetzen. Zumal der Druck, diesem Drängen nachzugeben, von verschiedenen Seiten her wächst. Ist doch neuerdings ein weiterer „Friedensplan“ im Umlauf, der auf die Belohnung des Aggressors und den Verrat an der Ukraine hinausläuft. Gemäß dem jüngst von Trumps Vizepräsidentenkandidat J.D. Vance vorgestellten Plan dürfte Russland das von ihm besetzte Gebiet behalten, während entlang der aktuellen Frontlinien eine entmilitarisierte Zone errichtet werden smüsste. Diese Zone solle auf ukrainischer Seite stark befestigt werden, um eine weitere russische Invasion zu verhindern. Russland würde im Gegenzug eine „Garantie der Neutralität“ erhalten – was im Klartext bedeutet, dass die Ukraine auf die NATO-Mitgliedschaft verzichten müsste.

Was Trump plant

Doch das ist kein Fahrplan zu einer friedlichen Lösung, sondern zu einem Sieg Russlands. Er deckt sich faktisch mit den Friedensbedingungen, die Putin in demagogischer Absicht bereits im Februar gestellt hat. Vance ignoriert nicht nur den Willen und das Selbstbestimmungsrecht der Ukrainer, sondern zementiert auch den verhängnisvoll falschen Eindruck, Russland werde sich, nachdem man ihm einen Teil der Ukraine überlassen hat, mit dieser Beute zufrieden geben – und ließe sich durch einer „stark befestigte Grenze“ von seiner Absicht abbringen, auf lange Sicht die gesamte Ukraine zu zerstören. Mit seinem „Friedensplan“ fegt Vance die letzten Illusionen darüber hinweg, was Trump meint, wenn er damit prahlt, er werde den Krieg mit ein paar Telefonat beenden: die Preisgabe der Ukraine an seinen russischen Mentor.

Der einzige Weg zu einem wahrhaftigen Frieden ist und bleibt der militärische Sieg der Ukraine – oder sind doch zumindest solche erheblichen Erfolge der ukrainischen Armee, die dem putinistischen Regime keine andere Wahl lassen als ernsthaft zu verhandeln. Es ist allerhöchste Zeit, dass die europäischen Demokratien wie der Westen insgesamt dies endlich in seiner vollen Tragweite begreifen.

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Über den Autor

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

von Richard Herzinger

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

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