Sahra Wagenknecht und ihr links-rechts-gestricktes „Bündnis“ bedienen mit ihrem Sozialnationalismus antiliberale und antiwestliche Ressentiments aus beiden vermeintlich gegensätzlichen extremistischen Lagern. Und setzen dabei auf den russischen Despotismus. Dieses Prinzip hat historische Vorläufer. Einer der schillerndsten Repräsentanten dieser ideologischen Ausrichtung war Ernst Niekisch.
In einem Punkt herrscht zwischen den meisten rechts- und linksradikalen Parteien in Europa nahtlose Übereinstimmung: in ihrer unterwürfigen Nähe zu Putins Russland. Diese faktische Allianz zwischen den scheinbar verfeindeten ideologischen Extremen ist jedoch nicht neu. In Deutschland reicht ihre Tradition mindestens bis in die Weimarer Republik zurück.
Exemplarisch steht dafür ein Mann, der wie kein anderer den Schnittpunkt zwischen linker und rechter, antiwestlich motivierter Russland-Verehrung verkörperte: der Politiker und Publizist Ernst Niekisch. Als Grenzgänger zwischen den ideologischen Welten begann er auf der äußersten Linken, wechselte dann zur extremen Rechten – und beendete seine politische Karriere als Mitglied der DDR-Staatspartei SED. Seine Grundüberzeugungen hat er dabei jedoch nie verändert.
Nationalromantik
1917 war Niekisch in die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) eingetreten. Er gehörte ihrem linken Flügel an und ging 1919 zur USPD, der linkssozialistischen Abspaltung von der SPD. Nach der Wiedervereinigung der beiden Parteien 1923 war er kurzzeitig erneut SPD-Mitglied, bis er ihr 1926 endgültig der Rücken kehrte, um sich immer weiter der äußersten Rechten anzunähern. Dazwischen lag der Höhepunkt seiner Karriere als Politiker: Im Frühjahr 1919 war Niekisch Vorsitzender der aus der Novemberrevolution 1918 hervorgegangenen Arbeiter- und Soldatenräte in Bayern.
Schon damals gründete sich seine Ideologie auf ein Gemisch aus sozialistischem und nationalromantischem Gedankengut. Niekisch war ein Anhänger der „Volksstaats“-Idee Ferdinand Lassalles, des Gründers der deutschen Sozialdemokratie und Rivalen von Karl Marx um ihre Führung. In Lassalles Forderung, die Arbeiterschaft müsse sich zur führenden Kraft im Kampf um eine starke deutsche Nation aufschwingen, sah Niekisch sein eigenes Anliegen formuliert: die Schaffung eines „proletarischen Nationalismus“. Den Philosophen Johann Gottlieb Fichte, der die Deutschen im frühen 19. Jahrhundert zum europäischen „Urvolk“ verklärt und die Abschottung Deutschlands in einem „geschlossenen Handelsstaat“ gefordert hatte, verehrte Niekisch als den Propheten eines „deutschen Sozialismus“. Niekisch meinte, das deutsche Bürgertum sei von der „römisch“ geprägten, kapitalistischen Zivilisation des Westens so nachhaltig korrumpiert worden, dass alleine das revolutionäre Proletariat für die Realisierung eines mächtigen deutschen Staats sorgen könne.
Der deutsche Nationalismus, folgerte er daraus, müsse daher politisch und kulturell radikal mit dem Westen brechen und sich dem „ursprünglicheren“ Osten zuwenden. Niekisch stand nun dem um den Schriftsteller und „konservativen Revolutionär“ Ernst Jünger gruppierten Zirkel von Intellektuellen nahe, die sich „Neue Nationalisten“ nannten.
Die Nazis – zu „westlich“?
Im Gegensatz zu vielen anderen „Nationalrevolutionären“ der Weimarer Zeit hat sich Niekisch allerdings nie mit der NSDAP eingelassen. Er nannte Hitler schon 1930 „ein deutsches Verhängnis“. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung leistete er sogar aktiven Widerstand und wurde dafür zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt. Das Bild vom vorbildlichen Antifaschisten Niekisch verdüstert sich jedoch, wenn man die Gründe für seine Ablehnung des Nationalsozialismus betrachtet. Für ein Verhängnis hielt ihn Niekisch nämlich vor allem, weil er ihm zu „westlich“ war. Niekisch suchte das Heil für Deutschland im Modell einer anderen totalitären Diktatur: der des bolschewistischen Russland.
Dabei war er keineswegs ein Kommunist und Internationalist. Vielmehr betrachtete er sich als einen radikalen Nationalisten, der für das Ziel, Deutschland vom Einfluss der westlichen Demokratien zu befreien, „sogar des Kommunismus fähig“ war. In den Nazis sah Niekisch dagegen geist- und seelenlose Rationalisten, die dem „Dämon“ der westlichen Technik verfallen seien. Den Nationalsozialismus hielt er für eine Kopie des italienischen Faschismus und somit für eine Schöpfung der ihm verhassten „römischen Welt“. Er verstieg sich sogar zu der Behauptung, der Faschismus und sein deutsches Pendant seien in Wahrheit verkappte Bewegungen zur Rettung des Liberalismus.
Niekisch repräsentierte mit dieser Einstellung eine seltsame Spielart der äußersten Rechten in der Weimarer Republik: den „Nationalbolschewismus“. Zwar lehnten die Anhänger dieser Strömung den Kommunismus als eine besonders gefährliche, den „Volkskörper“ zersetzende Spielart des westlichen Liberalismus ab. Doch der Hass gegen den Westen überwog bei ihnen die Furcht vor der bolschewistischen Gefahr. Zudem nötigte die diktatorische Rücksichtslosigkeit Lenins den rechten Propagandisten eines autoritären „völkischen“ Staats höchste Bewunderung ab.
Endstation SED
In seiner Zeitschrift „Widerstand“ trieb Niekisch seine Tiraden gegen den Westen ins groteske, zuweilen pathologisch anmutende Extrem. Deutschland sei von jeher das Opfer „römischer“ Kolonisierungspolitik gewesen, die auf die Auslöschung deutscher Volksidentität ziele. Die römisch-katholische Kirche, der Humanismus der italienischen Renaissance, die Aufklärung, der Liberalismus und der Kapitalismus seien nichts als Instrumente dieser „Überfremdung“.
Nach dem Kriegsende und seiner Befreiung aus der Haft schloss sich Ernst Niekisch der DDR-Staatspartei SED an, lehrte für einige Zeit Soziologie in Ostberlin und zog als Abgeordneter in die Volkskammer, das DDR-Scheinparlament, ein. Jetzt lebte und wirkte er tatsächlich in einem totalitären deutschen Staat, der den Liberalismus ausrottete und im symbiotischen Bündnis mit Moskau den Westen bekämpfte. Und sogar seine Vision von einem abgeschotteten „geschlossenen Handelsstaat“ sollte mit dem Bau der Mauer am 13. August 1961 Wirklichkeit werden. Da hatte sich Niekisch jedoch längst enttäuscht vom DDR-Kommunismus abgewendet. Er starb 1967 in West-Berlin.
Zeitlebens ist Niekisch somit ein politischer Außenseiter geblieben. Heute aber, da Putins Autokratie für rechte und linke Feinde der liberalen Demokratie gleichermaßen attraktiv geworden ist, hat sein „nationalbolschewistisches“ Credo wieder alarmierende Aktualität gewonnen.
Der Text ist als Kolumne zuerst auf Deutsch hier und auf Ukrainisch hier erschienen.