Kretschmer fällt der Ukraine in den Rücken. Wie Wagenknecht

Einmal mehr verblüfft die ukrainische Armee westliche „Experten“ mit ihren militärischen Fähigkeiten. Doch Sachsens Ministerpräsident Kretschmer will die deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine kürzen. Das zeigt, dass er auf einer Linie mit den Kreml-Parteien AfD und BSW liegt. Wie ist das noch mit den Grundwerten der CDU vereinbar?

Zu ihrem Vorstoß auf russisches Gebiet in der Region Kursk hat die Ukraine nicht nur jedes Recht im Rahmen ihrer Selbstverteidigung gegen den völkermörderischen Aggressor, sie demonstriert damit auch einmal mehr eindrucksvoll, dass die vermeintliche Unmöglichkeit, Russland auf dem Schlachtfeld militärisch zu besiegen, nichts als eine Propagandalüge ist – ein Mythos, dem im Westen allzu viele nur allzu willig auf den Leim gehen, um ihre fatale Zögerlichkeit bei der konsequenten Unterstützung der Ukraine zu bemänteln. Die Ukraine beweist mit ihrem Überraschungsangriff, dass sie sehr wohl in der Lage wäre, die russischen Invasiostruppen vollständig zu besiegen, verfügte sie über die angemessene, klar auf dieses Ziel gerichtete Bewaffnung sowie logistische und politische Unterstützung durch den Westen.

Die aber ist ihr viel zu lange vorentalten worden. Dass die Ukraine deshalb bislang keinen entscheidenden militärischen Durchbruch erzielen konnte, wird im Westen in der Art einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung wiederum als Beleg dafür angeführt, dass die Ukraine den Krieg ohnehin nicht gewinnen könne. Die aber lässt sich davon nicht demoralisieren und nimmt ihr Schicksal weiterhin entschlossen selbst in die Hand.

Freifahrtschein für Kretschmer

Die hiesigen Kreml-Propagandalautsprecher diverser Couleur hält das indes nicht davon ab, ihre demagogische Täter-Opfer-Umkehr weiter zu betreiben und das ukrainische Vordringen auf russisches Territorium als Beleg für die Kriegslüsternheit Kyjiws  hinzustellen – mit dem Ziel, die Fortsetzung der westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine zu diskreditieren. Dabei sind es aber nicht nur die notorischen Kreml-Agenturen AfD und BSW sowie weite Teile der Sozialdemokratie, die alles daran setzen, den ukrainischen Widerstand zu schwächen, um Russland zu schonen. Die Helfershelfer des Aggressors sitzen auch in der konservative-liberalen Mitte – namentlich in den Unionsparteien.

An erster Stelle trifft dies auf den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer zu. Für seine Liebedienerei gegenüber dem Putin-Regime und den Diktator im Kreml persönlich ist er seit vielen Jahren berüchtigt. Seine jetzt erhobene Forderung, die Waffenhilfe für die Ukraine zu kürzen – just zu dem Zeitpunkt, da die russischen Terrorbombardements gegen die zivile Infrastruktur und die Zivilbevölkerung des Landes die höchste Intensität seit Beginn der Großinvasion vor zweieinhalb Jahren erreicht haben – ist jedoch von besonderer Schäbigkeit.

Ausgerechnet in einer Situation, da die ukrainische Armee nicht zuletzt mithilfe deutschem Kriegsgeräts den russischen Invasoren heftige Wirkungstreffer versetzt, fabuliert Kretschmer darüber, dass die von Deutschland an die Ukraine gelieferten Waffen „nichts bringen“ würden. Wir dürften daher „nicht länger Mittel für Waffen an die Ukraine in die Hand nehmen“, die sinnlos „aufgebrauchtwürden. Worauf diese Demagogie aktuell zielt, ist klar: auf ein Zusammengehen mit Sahra Wagenknechts BSW. Daran, mit der anderen Kreml-Partei, der rechtsextremen AfD, zu kooperieren, hindert Kretschmer ein – noch – bestehender Unvereinbarkeitsbeschluss der Bundes-CDU. Doch für die Kooperation mit dem BSW hat diese ihren Landerverbänden opportunistischerweise einen Freifahrtschein erteilt.

Ein Stoppzeichen setzen!

Kretschmer und Wagenknecht repräsentieren nur verschiedene Ausformungen desselben Syndroms: dem tief sitzenden Wunsch, sich mit dem Agressor gut zu stellen und sich dessen Absichten schönzufärben, um von ihm verschont und von der Verantwortung dafür entlastet zu werden, seinen Opfern beizustehen. Sollte die CDU in Sachsen – wie auch in Thüringen, deren dortiger Frontmann Mario Vogt Kretschmers Ansichten zur Ukrainehilfe teilt – im Herbst mit dem BSW koalieren (was immer wahrscheinlicher wird), wäre dies daher keine Mesalliance, sondern eine Idealkombination unter gleich gepolten Partnern.

Strittige innen- und sozialpolitische Fragen dürften dieser Liaison nicht im Wege stehen, denn dem BSW dienen seine vermeintlichen sozialen Anliegen nur als Vorwand. Hat doch Wagenknecht bereits deutlich gemacht, dass Koalitionen mit ihr nur unter der Voraussetzung gemeinsamer Ablehnung der Ukrainepolitik der Bundesregierung möglich sind – obwohl Außenpolitik gar nicht in die Kompetenz von Landesregierungen fällt. Wagenknecht zeigt damit, dass die Unterminierug der Unterstützung für die Ukraine im Auftrag des Kreml der einzige Daseinszwck des BSW ist, das darüber hinaus über kein politisches Programm verfügt. Seine Absicht ist es, in Ostdeutschland eine Art Gegenfront auf Regierungsebene zur proukrainischen Bundespolitik zu errichten. Und Kretschmer ist eifrig bemüht, Wagenknecht und ihren Anhang davon zu überzeugen, dass er für die Realisierung dieses Ziels bereit steht.

Die CDU auf Bundesebene muss sich jetzt ernsthaft die Frage stellen, wie weit die Haltung des sächsischen Ministerpräsidenten noch mit ihren Grundwerten vereinbar ist – und wie glaubwürdig ihr Bekenntnis zum Freiheitskampf der Ukraine eigentlich noch ist, wenn sie Kretschmers Umtriebe im Sinne des Kreml weiterhin duldet. Setzt die verbliebene bürgerliche Mitte hier nicht ein klares Stoppzeichen, wird sie über kurz oder lang von den Propagandatruppen des Kreml hinweggefegt werden.

Slava Ukraini!

Über den Autor

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

1 Kommentar

  • Ich schließe mich der Argumentation ja in weiten Teilen an. Was mir nicht einleuchten will, ist die Einleitung. „Experten“ in Anführungsstriche schreiben, ohne sie zu benennen – was soll das aussagen? Das ausgewiesene Fachleute (Militärs, Geheimdienste) keine Ahnung haben, der Autor (Germanist) aber schon? Und „beweist“ die kürzliche Eroberung von 1000 Quadratkilometern, dass die Ukraine Russland vollständig besiegen könnte? Wie denn? Was für eine Beweisführung soll denn das demonstrieren? Und warum muss die Einschätzung, die Ukraine könne Russland nicht besiegen, automatisch eine „Propagandalüge“ sein? Weil alle, die nicht meiner Meinung sind, automatisch finstere Motive haben? Kann man nicht auch nach aufrichtigen strategischen Analysen zu diesem Schluss kommen? Ist der Kampf gegen Putin nicht auch ein Kampf für Faktenbasierung und saubere Argumentation? Oder geht es nur noch darum, wer auf welcher Seite steht?

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

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