Am 31. August 1997 starb Lady Diana Spencer, die geschiedene Prinzessin von Wales, bei einem Autounfall in Paris. Ihr Tod löste in der britischen Gesellschaft eine beispiellose Welle kollektiver Trauer aus, die bald in Wut gegen das Königshaus, die staatlichen Institutionen und „die Medien“ umschlug und Großbritannien an den Rand einer Staatskrise brachte.
Im Abstand von einem viertel Jahrhundert stellt sich die Frage, ob diese Ereignisse nicht ein früher Ausbruch jener populistischen Affekte waren, die mittlerweile zu einer existenziellen Gefahr für die liberalen Demokratien geworden sind. Zwar hatte der Aufruhr um Lady Dianas Tod keine explizit politische Stoßrichtung, und die überbordende Verehrung für sie bezog sich durchweg auf positiv besetzte Werte und Eigenschaften wie Mitmenschlichkeit, Mitgefühl und Ehrlichkeit, die der früheren Gattin des Thronfolgers Prinz Charles zugeschrieben wurden.
Doch wie bei späteren spätere populistischen Bewegungen richtete sich der Zorn der Diana-Trauergemeinschaft gegen „abstrakte“ institutionelle Regelwerke und ein politisch-gesellschaftliches „Establishment“, das sich von den „einfachen Menschen“ entfernt und entfremdet habe. Die ausufernden Trauerrituale um Diana markierten zudem einen dramatischen Bruch mit den alltagskulturellen Traditionen Großbritanniens. Galt bis dahin die Fähigkeit, seine Gefühle zu kontrollieren und vor Fremden zu verbergen, als eine herausragende britische Tugend, wurden Emotionen nun ungehemmt und exzessiv in aller Öffentlichkeit zur Schau gestellt.
Engelsgleiche Idealfigur
In Übereinstimmung mit dem traditionellen Gebot, Zurückhaltung gegenüber der Gesellschaft zu wahren, hatte sich die Queen zunächst vom breiten Publikum ferngehalten und blieb in ihrer Sommerresidenz in Schottland, statt sich den trauernden Massen in London zu zeigen. Dies wurde ihr als Gefühlskälte und Arroganz ausgelegt und schürte den Verdacht, die Royals hätten gegenüber der Öffentlichkeit etwas zu verbergen. Erst als sie jahrhundertealte Konventionen und Regularien der Monarchie beiseiteschob, um in einer TV-Ansprache ihre persönliche Anteilnahme an Dianas Tod zu beteuern, wurde der Queen von der aufgebrachten öffentlichen Meinung vergeben.
Um Dianas tragischen Tod ranken sich bis heute Verschwörungsfantasien wie die des in England lebenden ägyptischen Geschäftsmanns Mohammed al-Fayed. Für den Vater des letzten Liebhabers Dianas, der mit ihr im Unfallwagen starb, stand unverrückbar fest, dass beide einem Komplott des Königshauses und staatlicher Sicherheitsorgane zum Opfer gefallen seien. So habe verhindert werden sollen, dass die ehemalige Kronprinzessin einen Muslim heiratet. Insgesamt lassen sich große Teile der britischen Bevölkerung durch keine gegenteilige Evidenz von der Überzeugung abbringen, hinter Dianas Tod müsse mehr stecken als der fatale Fahrfehler eines betrunkenen Chauffeurs.
Die Verabsolutierung von Stimmungen und Gefühlen gegenüber rationalen Argumenten und Erkenntnissen, von kollektiven Projektionen und Phantasmen gegenüber nachprüfbaren Fakten. lässt die Trauerhysterie um Diana wie ein Vorspiel zu dem Ausbruch von Irrationalismus anlässlich der Brexit-Entscheidung von 2016 erscheinen. Diana wurde zur „Prinzessin der Herzen“ ausgerufen und zu einer engelsgleichen Idealfigur überhöht, auf die alle Sehnsüchte nach einer von Widersprüchen und Dilemmata befreiten Welt projiziert werden konnten. Sie fungierte damit zugleich als Gegenfigur zu den etablierten Institutionen, namentlich dem „herzlosen Königshaus“, aber auch „den Medien“ in Gestalt gewissenloser Paparazzi, die ihr hilfloses Opfer um des Profits willens „in den Tod gejagt“ hätten.
Obsessive Trauer um Diana
Dabei hatte Diana selbst die Medien bewusst benutzt, um sich als betrogenes und ausgenutztes Opfer einer intriganten, erbarmungslosen royalen Hierarchie zu inszenieren. Ihre so erzeugte Aura unverbildeter, ehrlicher Menschlichkeit bewirkte bei zahllosen ihrer Bewunderern ein solches Übermaß an Identifikation, dass sie schließlich den Eindruck gewannen, Diana persönlich zu kennen und mit ihr eine ihnen sehr nahe stehende Person verloren zu haben.
Der US-Soziologe Richard Sennett hat bereits in den 1970er Jahren festgestellt, dass sich die modernen Massengesellschaften in Richtung einer „Tyrannei der Intimität“ bewegen. Diese verlange, dass Personen des öffentlichen Lebens vor aller Welt ihr Innerstes offenbaren, um ihre Glaubwürdigkeit zu beweisen. Politiker würden zunehmend nicht mehr nach ihren programmatischen Aussagen und der Überzeugungskraft ihrer Argumente beurteilt, sondern danach, ob sie auf das Publikum „authentisch“ wirken und bei den Wählern so das Gefühl hervorrufen, „einer von ihnen“ zu sein.
Heute nutzen Demagogen wie Donald Trump diesen modernen Kult des Unmittelbaren und Authentischen für ihre politischen Zwecke, indem sie sich als vom Ränkespiel der Institutionen unverdorbene Außenseiter darstellen und gegen eine angeblich „abgehobene Elite“ abgrenzen. Selbst schlimmste Verstöße gegen Moral, Anstand und geltende Gesetze werden ihnen von ihren Anhänger verziehen, weil dieses Verhalten Ausdruck ihres originären Selbst sei. Dementsprechend werden ihnen von ihren Anhängern noch die dreistesten Lügen geglaubt. Die Konstruktion einer medialen Scheinwelt des „Authentischen“ endet damit, dass diese Fiktion für wahrer gehalten wird als die manifeste Wirklichkeit.
Die seit der Zeit von Dianas Tod in rasendem Tempo fortschreitende Digitalisierung der Kommunikation, und namentlich das Aufkommen der Sozialen Medien, hat den ebenso illusionären wie aggressiven Wunsch nach Unmittelbarkeit und Authentizität immer mehr verstärkt. Wenn aber demokratische Gesellschaften und ihre Diskurse von Gefühlen überschwemmt werden, die sich der Kontrolle durch Rationalität und institutionelle Verfahren entziehen, öffnet das antidemokratischer Willkür und systematischen Desinformationsoperationen autoritärer Mächte das Tor. Die bizarre Trauerobsession um Lady Diana hätte den westlichen Demokratien damals eine Warnung vor dem sein müssen, was sich da über ihnen zusammenbraute.
Der Text ist die leicht überarbeitete Fassung meines Beitrags, der zuerst vor einem Jahr hier und hier erschienen ist.