Wenn der Papst dem Bösen seine Stimme leiht

Die jüngsten Einlassungen von Papst Franziskus zum Vernichtungskrieg gegen die Ukraine sind Ausfluss seiner die Gewaltgeschichte des moskowitischen Imperiums verklärenden Russophilie.

Eine Weile war es still geworden um die angeblichen Bemühungen von Papst Franziskus, zwischen dem russischen Aggressor und der von der Vernichtung bedrohten Ukraine zu „vermitteln“. Jetzt aber lässt er die Katze aus dem Sack, was er unter einer solchen „Vermittlung versteht – indem er dem überfallenen Land kaum verhohlen die Kapitulation nahelegt. Das christliche Gebot, demzufolge man dem Feind nach einem Schlag auf die eine auch noch die andere Wange hinhalten soll, interpretiert der oberste Glaubenshüter der größten Weltreligion offenbar so, dass sich die Ukrainer demütig selbst zur Abschlachtung freigeben sollten.

Darauf nämlich läuft seine Empfehlung an die Ukraine hinaus, sie solle „Mut“ zum „Hissen der weißen Fahne“ beweisen. Mit den nachgereichten Erklärungen, der Papst habe doch nur zu Verhandlungen aufrufen wollen und keineswegs zur Selbstaufgabe der Ukraine, will der Vatikan die Öffentlichkeit dazu auch noch für dumm verkaufen. Denn wie kommt der Pontifex Maximus eigentlich auf die Idee, dass Russland „verhandeln“ würde, sollte die Ukraine die Waffen niederlegen? Auch bis zu ihm muss sich doch herumgesprochen haben, dass der Kreml keine Verhandlungen und keinen Frieden mit der Ukraine will, sondern ihre Auslöschung als Nation – wie dessen Anführer täglich aufs Neue unmissverständlich verkünden. Und sofern der Kreml zum Zwecke der Desorientierung der westlichen Öffentlichkeit seine Bereitschaft zu „Verhandlungen“ erklärt, meint er damit nichts anderes als die Kapitulation der Ukraine – hat er doch immer wieder deutlich gemacht, die Unterwefung Kyjiws unter Moskaus Bedingungen sei die Voraussetzung für solche „Verhandlungen“.

Das müsste im Westen allen klar sein, die dieses Wort in den Mund nehmen – so wie Papst Franziskus doch auch schon einmal davon gehört haben muss, dass dort, wo Russland ukrainisches Territorium besetzt hält, die willkürliche Ermordung und sadistische Folterung von Zivilisten und Kriegsgefangenen, die gezielt eingesetzte bestialische sexuelle Gewalt gegen Frauen sowie die systematische Verschleppung von Kindern nach Russland zum Zwecke ihrer „Entukrainisierung“ grauenvolle Wirklichkeit sind.

Teil des Desinformationskartells

Kein klares Wort der Verurteilung dieser monströsen Verbrechen gegen die Menschlichkeit aber ist je über die Lippen dieses Papstes gekommen. Statt sie konkret zu benennen und vor aller Welt anzuprangern, sind von ihm im wesentlichen nur Platitüden über die Schrecken des Krieges im Allgemeinen zu hören, hinter denen er die alleinige Kriegsschuld Russlands verschwinden lässt. Und nun fordert er mit als sanftmütige Fürsorge getarntem Zynismus die Opfer dieser genozidalen Vernichtungpolitik dazu auf, „Stärke“ zu beweisen, indem sie ihre Gegenwehr aufgeben – um nicht alles noch schlimmer zu machen.

Nein, Papst Franziskus redet nicht aus Naivität und Ahnungslosigkeit den Machthabern im Kreml nach dem Munde. Mit seiner Verdrehung der realen Verhältnisse legt er nahe, der Schlüssel zum „Frieden“ liege in Kyjiw und nicht etwa bei den Kriegsverbrechern in Moskau. Damit übernimmt er das Propagandakonstrukt des Kreml, das suggeriert, am Willen zum Frieden mangele es der Ukraine und nicht etwa dem putinistischen Terrorstaat, dessen einziger Daseinszweck Krieg und Vernichtung sind. Es verwundert nicht, dass die hiesigen lagerübergreifenden Putin-Quislinge und Kreml-Appeaser, von Sahra Wagenknecht bis Michael Kretschmer, dem Papst vehement zur Seite springen und seine schändlichen Äußerungen zu einem Ausdruck von „Besonnenheit“ glorifizieren. (Der Beifall des Kreml selbst ist ihm ohnehin sicher.) Denn sie alle gehören demselben Desinformationskartell zu Diensten des russischen eliminatorischen Imperialismus an. Die Mitglieder dieses Kartells erkennt man an einem untrüglichen Kriterium: dass sie ihre verlogene Forderung nach „Verhandlungen“ stets an die Ukraine (und/oder den Westen) richten statt an den Aggressor.

Dass der Papst der Ukraine propagandistisch in den Rücken fällt, ist indes nicht das erste Mal und kommt nicht aus heiterem Himmel. Es ist vielmehr Ausfluss seines ideologischen Weltbilds, in dem eine die Gewaltgeschichte des moskowitischen Imperiums verklärende Russophilie eine zentrale Rolle spielt. Im vergangenen Sommer hatte sich Franziskus in einer Videoadresse an junge katholische Russen in St. Petersburg zum Sprachrohr der russischen imperialen Ideologie gemacht. Seinen Zuhörern rief er zu, sie seien „Erben des großen Russlands der Heiligen, der Herrscher, des großen Russlands Peters I., Katharinas II.“ Er pries „jenes Reich“ als „groß, aufgeklärt, von großer Kultur und großer Humanität“, und forderte die Jugendlichen auf, dieses Vermächtnis weiterzuführen: „Ihr seid die Erben der großen Mutter Russland.“ Zum Schluss dankte er ihnen „für eure Art zu existieren, für eure Art, russisch zu sein.“

Dass das Oberhaupt der Katholischen Kirche in geradezu schwärmerischer Verzückung das Erbe jenes Imperiums pries, auf dessen vermeintliche Glorie sich das putinistische Regime bei seinem Vernichtungskrieg gegen die Ukraine beruft. war schockierend, kam aber nicht wirklich überraschend. Schon öfters hat dieser Papst zu erkennen gegeben, dass hinter seiner Weigerung, Russland eindeutig als Aggressor zu verurteilen, mehr steckt als das offiziell vorgeschobene Motiv, sich die Rolle eines unparteiischen „Friedensvermittlers“ offenzuhalten. Tatsächlich weist sein neutralistisches Lavieren von Anfang an deutliche Schlagseite zugunsten der Prämissen des großrussischen Nationalismus auf – ebenso wie eine weitgehende Ignoranz gegenüber der ukrainischen nationalen Identität und der Geschichte ihrer Unterdrückung.

Päpstlicher Werterevisionismus

Auf makabre Weise deutlich wurde dies etwa, als Franziskus im November 2022 für das brutale Vorgehen der russischen Invasionstruppen in erster Linie die in ihren Reihen kämpfenden muslimischen Tschetschenen und mehrheitlich buddhistischen Burjaten verantwortlich machte, da diese „nicht der russischen Tradition“ angehörten. Daran zeigte sich, wie tief der Papst den Mythos vom russischen Reich als dem vermeintlichen Bollwerk zum Schutz des „christlichen Abendlands“ verinnerlicht hat, mit dem das Zarentum sein Gewaltregime mystisch überhöhte – und den der Putinismus jetzt wiederzubeleben versucht, indem er sich als Verteidiger „christlicher Werte“ gegen die vermeintliche westliche „Dekadenz“ darstellt.

Dass „wahre“, christliche Russen zu exzessiven Gräueltaten fähig sind, passt offenbar nicht in Franziskus´ verklärtes Bild von der „russischen Tradition“ der „Heiligen“ und „großen Herrscher“ mit „großer Kultur und Humanität“. Diese Romantisierung der russischen Gewaltgeschichte verbindet sich bei dem argentinischen Papst mit einem linkspopulistischen, in Lateinamerika weit verbreiteten Affekt gegen die Dominanz der USA, im Kontrast zu der Russland als ein unverzichtbares Gegengewicht erscheint. In diesem Sinne sind Äußerungen von Franziskus vom Juni 2022 zu verstehen, in denen er implizit der NATO eine Mitschuld am Krieg unterstellte, indem er andeutete, sie habe Russland „provoziert“.

Selbst sein in diesem Zusammenhang erteiltes Lob für das „Heldentum des ukrainischen Volkes“ war vergiftet: „Was wir vor Augen haben“, sagte der Papst, „ist eine Situation des Weltkriegs, der globalen Interessen, der Waffenverkäufe und der geopolitischen Vereinnahmung, die ein heldenhaftes Volk zum Märtyrer macht.“ Damit insinuierte er, die Ukrainer kämpften gar nicht für ihre eigene Sache, seien gar nicht Subjekt ihres Freiheitskampfes, sondern seien fremdbestimmt in die Mühlen einer allgemein beklagenswerten Weltordnung geraten – womit er einmal mehr davon ablenkte, wer der alleinige Verursacher des Martyriums der Ukraine ist. Und schließlich verstieg sich Franziskus noch zu der Mahnung, die „Komplexität“ des Krieges „nicht auf die Unterscheidung zwischen Gut und Böse zu reduzieren.“

Mehr als Verblendung?

Haben wir da die ganze Zeit etwas falsch verstanden, als wir dachten, die Unterscheidung zwischen Gut und Böse stelle die zentrale Glaubensmaxime der Katholischen Kirche dar? Der oberste Glaubenshüter des Katholizismus jedenfalls wischt diesen angeblichen Kern der christichen Morallehre en passant als unterkomplex vom Tisch – just in einem historischen Moment, da das Böse so offensichtlich wie selten sein Gesicht zeigt. (Und selbst in der Wolle gefärbte, religionsferne Agnostiker wie ich es auch ohne metaphysische Prädisposition auf den ersten Blick erkennen können.)

Dass sich in den Reihen der Katholiken nicht längst lautstarker Protest gegen diesen von Franziskus verbreiteten Werterelativismus, um nicht zu sagen: Werterevisionismus erhoben hat, ist zutiefst irritierend. Das bleibt verstörend, auch wenn man in Betracht zieht, dass der Vatikan über eine lange, berüchtigte Tradition der Leisetreterei gegenüber und Komplizenschaft mit massenmörderischen Diktaturen verfügt. Alle Katholiken aber, die sich ein elementares Gespür für Gut und Böse bewahrt haben, müssen sich die Frage gefallen lassen, wie lange sie es noch dulden wollen, dass der oberste Repräsentant ihres Glaubens die Präsenz des Bösen abstreitet – und ihm damit seine Stimme leiht.

Ob freilich hinter der chronischen Weichheit des Vatikans gegenüber dem Putinismus mehr steckt als nur ideologische Verblendung, und inwieweit dabei auch Korrumpierung durch russisches Geld und Angst vor russischem Kompromat im Spiel ist, steht indes auf einem anderen Blatt – und sollte intensiv untersucht werden. Wie auch immer dem aber sei: Dass mit dem Papst eine Persönlichkeit, die in der westlichen Welt höchsten Respekt genießt, auf verschlungene Weise Täter-Opfer-Umkehr betreibt und damit die Fundamente der Wahrheit selbst unterminiert, wirft ein bedrohliches Licht auf den aktuellen moralischen und geistigen Zustand der freien Welt. Dies ist umso beunruhigender, als die dem Amt des Papstes zugeschriebenen Würde die öffentliche Kritik an Franziskus´ skandalöser Verschleierung eines Völkermords dämpft. Indem er seine religiöse Autorität einsetzt, um die westliche Widerstandskraft gegen dieses Jahrundertverbrechen zu unterminieren, trägt Franziskus massiv dazu bei, denjenigen, die mit dem Verrat an der Ukraine liebäugeln, im Voraus ein besseres Gewissen zu verschaffen.

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Über den Autor

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

3 Kommentare

  • Großartig, eine in unserer Mefienlandschaft selten so kraftvoll anzutreffende Kombination aus sachlich vorgetragenem Wissen und leidenschaftlichem Werben für menschliche Werte.

  • Der Stellvertreter 2.0 im Vatikan!
    Die Heuchelei des Papsttums bleibt eine Konstante der Weltpolitik.
    Stalin höhnte noch über den Papst und seine fehlenden Divisionen.
    Aber immerhin hatte der Papst damals noch nicht vor den Russen kapituliert.
    Was uns der „heilige Vater“ bietet, ist das Spektakel einer moralischen oder bessrer noch unmoralischen Kapitulation vor Wladimir Putin, dem illegitimen Enkel Stalins und KGB Schergen aus der Gosse von St. Petersburg.
    Die Bezeichnung heiliger Stuhl offenbart seine tiefere Bedeutung.

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

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