Ist von der Ampelregierung eine neue, offensivere deutsche Außenpolitik zu erwarten? In meiner aktuellen Kolumne in der „Ukrainischen Woche“ dämpfe ich dahingehende Erwartungen. Hier die deutsche Originalfassung des in ukrainischer Übersetzung erschienen Textes:
Die neue deutsche Koalitionsregierung aus SPD, Grünen und FDP verspricht eine umfassende Erneuerung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft Deutschlands. Was die deutsche Außenpolitik betrifft, ist von einem solchen Aufbruch jedoch wenig zu erkennen. Von einigen neuen Akzenten abgesehen – etwa eine deutlichere Charakterisierung der VR China als einem autoritären Systemkonkurrenten – steht die im Koalitionsvertrag festgelegte Linie des rot-grün-gelben „Ampel“-Bündnisses in weitgehender Kontinuität zu der bisherigen europa- und weltpolitischen Positionierung Deutschlands.
Die stärkere Betonung einer aktiven Menschenrechtspolitik gegenüber autoritären Mächten und das Bekenntnis zu einer „wertebasierten Außenpolitik“ geht vor allem auf den Einfluss der Grünen zurück, die mit Annalena Baerbock – als der ersten Frau in diesem Amt – die Außenministerin stellen. Doch findet diese offensivere ideelle Ausrichtung keine überzeugende Entsprechung im Bereich der Sicherheitspolitik. Zwar bekennt sich die neue Regierung im Koalitionsvertrag zur NATO als „unverzichtbarer Grundlage unserer Sicherheit“ und zu einer „fairen Lastenverteilung“ im Bündnis, doch eine klare Aussage zum Zwei-Prozent-Ziel der Atlantischen Allianz wird darin vermieden.
Entsprechend allgemein sind die Angaben zu einer angemessenen Ausstattung der Bundeswehr und einer besseren rüstungspolitischen Koordinierung der EU-Staaten mit der Perspektive auf eine Europäische Armee. Statt dessen wird verkündet, dass Deutschland eine führende Rolle bei der Abrüstung spielen und eine europäisch koordinierte restriktive Rüstungsexportpolitik betreiben wolle. Militärische Aspekte der Verteidigung des freien Westens bleiben ein Thema, über das man in Deutschland quer durch die Parteien nur sehr ungern spricht
Unzusammenhängendes Konglomerat
Die Passagen im Koalitionsvertrag zur Ukraine, Belarus und anderen Staaten der Osteuropäischen Partnerschaft sowie zu Russland muten wie ein unzusammenhängendes Konglomerat aus den jeweiligen Präferenzen der einzelnen Koalitionspartner an. Zum einen wird die Unterstützung der Ukraine bei der Verteidigung ihrer territorialen Integrität bekräftigt und den Demokratiebewegungen in Belarus und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken verstärkter Beistand zugesagt. Zugleich wird aber betont, die deutsch-russischen Beziehungen seien „tief und vielfältig“, und man wisse „um die Bedeutung von substantiellen und stabilen Beziehungen“ zu Russland. Daher sei man „zu einem konstruktiven Dialog bereit.“ Waffenlieferungen an die Ukraine bleiben hingegen auch für die neue Regierung ebenso ein Tabu wie die Aufnahme des von einer russischen Invasion bedrohten Landes in die NATO.
Die potenzielle Bruchlinie innerhalb der Koalition verläuft in außenpolitischen Fragen hauptsächlich zwischen den Grünen und den Sozialdemokraten – und insbesondere einer einflussreichen Strömung innerhalb der SPD, die unter dem Einfluss des ehemaligen Bundeskanzlers und heutigen Kreml-Lobbyisten Gerhard Schröder steht. Bereits am Tag der Amtseinführung der neuen Regierung meldete sich Schröder öffentlich zu Wort und gab seiner Erwartung Ausdruck, dass der neue sozialdemokratische Bundeskanzler Olaf Scholz die russland- und chinakritischen Positionen der Außenministerin Baerbock entschärfen wird.
Kurz darauf sprang ihm Rolf Mützenich, der SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, mit der Bemerkung zu Seite, die maßgeblichen Richtlinien der Außenpolitik würden ohnehin vom Kanzleramt, nicht aber vom Auswärtigen Amt festgelegt. Zu der drohenden russischen Invasion der Ukraine erklärte Mützenich, es sei Zeit, die „Spirale aus Drohungen und Gegendrohungen“ zu durchbrechen und den Konflikt in der Ukraine durch Dialog zu lösen. Darin kommt ein Äquidistanzdenken zum Ausdruck, das zwischen dem Aggressor und dem Opfer der Aggression keinen grundsätzlichen Unterschied macht und die Reaktion der westlichen Demokratien auf die russische Kriegsdrohung mit dieser auf eine Stufe stellt.
Politischer Ziehsohn Schröders
Auch wenn es bei den Sozialdemokraten einzelne Stimmen gibt, die gegenüber Putin deutlich kritischer eingestellt sind, ist ein Kurswechsel der SPD im Verhältnis zu Russland nicht in Sicht. So ist Lars Klingbeil, der neue Co-Vorsitzende der Partei, ein politischer Ziehsohn Schröders. Kanzler Olaf Scholz selbst ist zwar nie durch ausgeprägt prorussische Aussagen hervorgetreten. Doch hat er die auf „friedlichen Ausgleich“ und größtmöglichen Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zu Moskau gerichtete Linie der SPD auch nie in Frage gestellt. Selbst nach dem jüngsten EU-Gipfel, auf dem Russland für den Fall weiterer Aggression gegen die Ukraine verschärfte Sanktionen angedroht wurden, hält Scholz – im Gegensatz zu seiner Außenministerin – unverdrossen an der These fest, Nord Stream 2 sei ein „rein privatwirtschaftliches Projekt“.
Insgesamt befindet sich die deutsche Außenpolitik auch unter der neuen Regierungen bislang nicht auf der Höhe der weltpolitischen Herausforderungen, die sich aus dem Vordringen aggressiver Diktaturen ergeben. Ihre Verabsolutierung des „Multilateralismus“ zur obersten Maxime globaler Konfliktlösung klingt wie ein Echo aus vergangenen, friedlicheren Zeiten. Auch die akute kriegerische Bedrohung des europäischen Friedens durch Russland hat noch nicht zu dem überfälligen Paradigmenwechsel in der deutschen Politik gegenüber dem Putin-Regime geführt. Statt sich auf dessen Eindämmung und Abschreckung zu konzentrieren, wird es weiterhin als ein zwar schwieriger, aber dennoch unverzichtbarer Dialog- und Sicherheitspartner betrachtet.
Wie wenig sich an der zögerlichen deutschen Russlandpolitik geändert hat, zeigt die schwache Reaktion der Bunderegierung auf das kürzlich gefällte Urteil des Berliner Kammergerichts, das den Mord an einem kremlkritischen Georgier im Berliner Tiergarten im Sommer 2019 als einen staatsterroristischen Akt Moskaus eingestuft hat. Daraufhin hat Berlin gerade einmal zwei russische Diplomaten zu unerwünschten Personen erklärt.