Biden nennt Putin einen Killer. Gut so. Taten müssen folgen

Dass Joe Biden Wladimir Putin einen Killer nennt, ist vollständig gerechtfertigt – und dass ein US-Präsident diese deutliche Sprache benutzt, war überfällig. Die Morde an Politkowskaja, Litwinenko, Nemzow und des tschetschenischen Dissidenten Khangoshvili im Berliner Tiergarten sowie die Mordversuche mit  Nervengift an Skripal und Nawalny hätten ohne Anweisung oder zumindest Billigung Putins niemals stattfinden können – ebenso wenig wie zahlreiche andere Anschläge auf „Abweichler“ und Oppositionelle.

Putin ist aber auch für das gezielte und systematische Bombardement von Zivilbevölkerung und ziviler Infrastruktur in Syrien durch seine Luftwaffe verantwortlich, die ihre Angriffe Seite an Seite mit der von Diktator Assad fliegt. Ihnen sind viele Tausende Menschen zum Opfer gefallen und Millionen wurden in die Flucht getrieben. Und ohne das zumindest passive Einverständnis Putins hätte sein Schützling Assad seine Chemiewaffen nicht einsetzen können. Es genügt also eigentlich nicht, Putin einen Killer zu nennen. Man muss ihn darüber hinaus als einen Kriegsverbrecher bezeichnen.

Schirmherr der Diktatoren

Putin ist überdies in Wahrheit der oberste Befehlshaber der vermeintlichen „Separatisten“ und der getarnten russischen Besatzungstruppen in der Ostukraine. Immer noch sterben unter ihrem Beschuss an der dortigen Frontlinie fast täglich ukrainische Soldaten, die ihr Territorium gegen die völkerrechtswidrige Okkupation durch Putins Russland verteidigen.

Dies ist eine nur unvollständige Aufzählung von Untaten, für die Putin persönliche Verantwortung trägt. Dazu kommt: Nicht nur ist Putin ein Killer, der von ihm erschaffene Staat wird im Ganzen vom Verbrechen regiert. Putins Herrschaft beruht auf einer Symbiose von jenseits gesetzlicher Schranken agierenden Geheimdiensten und organisierter Kriminalität, für die das Liquidieren von Gegnern und unliebsamen Personen zum selbstverständlichen Repertoire gehört. Unterworfen sind sie allein dem Willen ihres obersten Paten, als der Wladimir Putin fungiert.

Ohne die Unterstützung und Anleitung durch Putin wären darüber hinaus auch Diktatoren wie Maduro in Venezuela und Lukaschenko in Belarus, der mit anwachsend brutaler Repression gegen sein eigenes Volk vorgeht, nicht mehr an der Macht. Putin hat sich als oberster Schirmherr und Sponsor mörderischer Diktaturen weltweit profiliert.

Das Verbrechen beim Namen nennen

Wer Biden jetzt vorwirft, die Bezeichnung Putins als Killer sei überzogen, undiplomatisch oder unklug, hat den Charakter des Systems Putin noch immer nicht begriffen. Der Kreml-Herrscher und seine Entourage verstehen wie alle Bosse der organisierten Kriminalität nur die Sprache und Logik der Stärke. Zu Zugeständnissen und Zurückhaltung sind sie nur bereit, wenn sie sich einem entschlossenen, übermächtigen Gegner gegenüber sehen, der keinen Zweifel daran lässt, dass er es mit ihrer konsequenten Bekämpfung bitter ernst meint. Dieser Kampf gegen das Verbrechen beginnt jedoch damit, dass man die Verbrecher bei ihrem richtigen Namen nennt und ihnen damit unzweideutig klar macht, dass man sie als das durchschaut hat, was sie tatsächlich sind.

Der Niedergang des sowjetischen Totalitarismus nahm seinen Anfang damit, dass Ronald Reagan die Sowjetunion (zum Entsetzen aller „Entspannungspolitiker“) als „Evil Empire“ brandmarkte. Damit signalisierte er dem Kreml, dass die USA ihm von nun an in jeder denkbaren Weise – unterhalb der Schwelle einer direkten kriegerischen Konfrontation – die Grenzen aufzeigen würden.  Diese Linie Reagans war angesichts der atomaren Konfrontation der Supermächte gewiss nicht ohne hohes Risiko. Doch Reagan baute darauf, dass die Sowjets keine atomare Apokalypse herbeiführen und in ihr untergehen wollten, sondern vielmehr durch den Dauerdruck aus Washington auf längere Sicht zermürbt werden würden. Und er sollte damit Recht behalten.

Heute ist es noch viel unwahrscheinlicher, dass der Kreml, ungeachtet seines Nuklarpotenzials, eine direkte militärischen Konflikt mit den USA wagen würde. Trotz aller Aufrüstung ist Putins Russland deren militärischer und technologischer Übermacht bei weitem nicht gewachsen. Seine globalen Erfolge verdankt es allein der Unentschlossenheit und Nachgiebigkeit des Westens. Seine militärischen „Großtaten“ exekutiert es ausschließlich an schwächeren oder wehrlosen Gegnern. Es wird höchste Zeit, dass das Kreml-Regime an seine objektive Unterlegenheit gegenüber den USA und ihren Verbündeten wieder spürbar erinnert wird.

Putin und seine kriminelle Gefolgschaft sind zudem keiner ideologischen Maxime verpflichtet, die über ihrem Interesse stehen würde, sich maximal zu bereichern, und für die sie daher atomaren Selbstmord zu begehen bereit wären. Es ist daher unangemessen, mit Blick auf Russlands Atomarsenal angstvoll zu erstarren und daraus abzuleiten, man müsse im Umgang mit den Mächtigen im Kreml Vorsicht walten lassen wie mit rohen Eiern. Andersherum wird ein Schuh daraus: Nur die Gewissheit, dafür einen hohen Preis zahlen zu müssen, kann das Putin-Regime von weiteren kriegerischen Aggressionen abhalten.

Mit Leisetreterei muss Schluss sein

Das Problem besteht also nicht darin, dass Biden mit seiner korrekten verbalen Charakterisierung Putins den Kreml zu noch aggressiverem Gebaren provozieren könnte. Im Gegenteil, nur mit einer solchen furchtlosen Sprache verschafft man sich bei Aggressoren Respekt. Die Frage ist vielmehr, ob Biden seiner verbalen Einstufung Putins entsprechende Taten folgen lassen wird. Der neue US-Präsident muss auf die jüngsten Anschläge gegen die Sicherheit der Vereinigten Staaten – die massive Einmischung in die Präsidentschaftswahl 2020 sowie den massiven Cyberangriff auf US-Regierungsnetzwerke per Solar Winds –  mit harten Gegenmaßnahen antworten, die weit darüber hinausgehen, noch ein paar Sanktionen gegen einige Personen im Umfeld Putins zu verhängen.

Das fängt damit an, russische Finanzströme im Ganzen auf breiter Front zu erschweren und hört mit möglichen gezielten Gegenschlägen im Cyberspace nicht auf. Vor allem aber gilt es, Moskau bei jeglichem politischen und diplomatischen Kontakt mit seinen Untaten zu konfrontieren und jedes internationale Forum dazu zu nutzen, sie anzuprangern. Auch solches konsequentes öffentliches „Shaming“ ist als Instrument der Veränderung der weltpolitischen Kräfteverhältnisse nicht zu unterschätzen. Alle denkbaren Möglichkeiten müssen ausgeschöpft werden, um das Putin-Regime in seiner Aggressionslust endlich wirksam einzudämmen.

Die Europäer sollten Bidens Wortwahl als Signal dafür nehmen, dass mit der Leisetreterei gegenüber Putin jetzt endlich Schluss sein muss. In ihrem Verhältnis zum Kreml wird sich erweisen, ob ihre Beteuerungen, gemeinsam mit dem neuen US-Präsidenten eine neue transatlantische Einheit schmieden zu wollen, mehr ist als ein Lippenbekenntnis. Dazu ist ein grundlegender Paradigmenwechsel in der europäischen Russland-Politik unerlässlich: Im Umgang mit dem Killer Putin und seinem Regime gilt, dass man es mit einem gefährlichen Feind der freiheitlichen Demokratien und der Werte zu tun hat, für die sie stehen, und nicht etwa mit einem nur temporär verirrten potenziellen „strategischen Partner“.

Über den Autor

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

3 Kommentare

  • Endlich lese ich eine richtige und fundierte Reaktion auf den (Schröder) hundertprozentige Demokraten.
    Mit Frau Merkel und ihrer gefährlichen und unsinnigen sowie falsch verstandenen Diplomatie wird sich in Deutschland nichts ändern. Vergessen sollten wir auch nicht den Abschuss des Passagierflugzeuges über der Ukraine mit Putins Raketen.

    • Vielen Dank für das positive Feedback. Ja, der Abschuss der Passagiermaschine gehört in der Tat auch da hinein, wie etwa z.B. aktuell auch die Blockade der UN-Hilfslieferungen an die Flüchtlinge in Idlib. Da die Liste aller Untaten Putins aber zu lang ist, um sie in einem einzigen Artikel umfassend aufzulisten, habe ich in meinem Artikel vermerkt, dass meine Aufzählung unvollständig ist.

  • Vielen Dank, Herr Herzinger, für Ihre Analyse, die, meiner Meinung nach, zu hundert Prozent stimmt. Leider, hat unsere Bevölkerung wenig Interesse zur Russlandpolitik unserer Regierung und unterschätzt sehr die Gefahren, welche von der Putinsbande ausgehen. Das hat entsprechend auch die Auswirkung auf die zahnlose Reaktionen der politischen Führung auf die unzählige Verbrechen von Putin.

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

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