Mord an Nawalny: Letztes Alarmsignal für den Westen

Ob Alexej Nawalny vom Kreml gezielt hingerichtet wurde oder an den auf seine Vernichtung angelegten Haftbedingungen zugrunde gegangen ist, spielt keine entscheidende Rolle. Das Wesentliche liegt vielmehr darin: Seine Ermordung ist Bestandteil der systematischen Zurichtung und Gleichschaltung der russischen Gesellschaft für den großen Krieg gegen den Westen, den das Putin-Regime nicht nur vorbereitet, sondern nach eigener Aussage in der Ukraine bereits längst begonnen hat.

Der Kreml bringt jetzt sämtliche Stimmen zum Schweigen, die zu einem Störfaktor werden könnten, wenn er seinen Vernichtungskrieg auf die gesamte freie Welt ausweitet und dafür die grenzenlose Opferbereitschaft seiner Untertanen benötigt. Die westlichen Gesellschaften müssen die Liquidierung Nawalnys als untrügliches Zeichen dafür begreifen, dass dieser Großangriff des putinistischen Russland unmittelbar bevorsteht. Die bittere Wahrheit ist: Der Westen hat alle Gelegenheiten verstreichen lassen, die russische Vernichtungswalze rechtzeitig zu stoppen.

Setzt er jetzt nicht alles daran, die Ukraine unverzüglich mit allen Waffen und Waffensystemen auszustatten, die sie für den Sieg über den mörderischen Aggressor benötigt, ist die große, direkte kriegerische Konfrontation mit ihm nicht mehr zu vermeiden – es sei denn, die westlichen Demokratien kollabieren im Vorhinein und unterwerfen sich der Herrschaft des absoluten Bösen.

Zutreffend hat kürzlich der französische politische Philosoph Nicolas Tenzer das Ausmaß der Bedrohung durch den Putinismus benannt, das im Westen sträflicherweise bis heute nicht vollständig begriffen wird:

Putin hat sich ein globales Projekt der Zerstörung von Prinzipien vorgenommen, die nach den Nürnberger Prozessen festgelegt wurden: die Charta der Vereinten Nationen, die Unverletzlichkeit der Grenzen, das humanitäre Völkerrecht und die Verantwortung, sich gegenseitig zu schützen.

Als Putin in Tschetschenien und Syrien Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beging, hat niemand reagiert. Es gab sogar Erklärungen im Sicherheitsrat, in denen Putin aufgefordert wurde, auf Baschar al-Assad Druck auszuüben, dieser solle weniger Gewalt anwenden. Niemand wollte etwas von den Kriegsverbrechen Putins in Syrien wissen! Er hatte buchstäblich eine Lizenz zum Töten.

Und er hat bewiesen, dass das ´nie wieder´ nur ein leerer Spruch für die Galerie war – und sich damit auch seine Prophezeiung eines dekadenten, mutlosen Westens erfüllt hat. Weit über die Invasion in der Ukraine hinaus, die von den Experten als ein Akt des ´Neo-Imperialismus´ bezeichnet wird, ist hier etwas sehr viel Tiefgreifenderes im Gange.Die eigentliche Botschaft ist das Verbrechen. Das Verbrechen nur um des Verbrechens willen ist die Definition des Bösen.

Die Ermordung von Alexej Nawalny bestätigt diese Diagnose auf tragische und dramatische Weise.

Siehe dazu auch: Dr. Mabuse lebt. Oder: Wie das Verbrechen die Macht ergreift

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Über den Autor

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

1 Kommentar

  • So tragisch der Tod Alexej Nawalny ist, er ist, wie Sie schreiben, Ausdruck dieses Systems, wie es mit Gegnern umgeht, die ihm eventuell gefährlich werden könnten. Ob Herr Nawalny allerdings tatsächlich der Heilsbringer war, den viele im Westen in ihm sehen, lässt sich leider nicht mehr feststellen.
    Putins Gleichschaltung der Bevölkerung ist weniger ein Versuch als Tatsache, aber ob dahinter die Idee des Krieges gegen den Westen steht, bezweifle ich. Solch ein furchtbarer Krieg wäre auch sein Untergang. Eines spielt ihm ihn die Hände, was der sogenannte Westen, gerne vergisst oder zu lange verharmlost hat: Das Trauma des Überfalls auf die Sowjetunion und die Millionen Opfer. Das instrumentalisiert er, aber vielleicht ist er auch davon infiziert. Möglicherweise hätte man bei der Nato-Osterweiterung nicht nur die Traumata der Ex-Sowjet-Satelliten berücksichtigen, sondern auch das Russlands. Ob das geholfen hätte? Keiner weiß es.
    Zum absolut Bösen. Ist das in Putin manifestiert? Ja, er ist ein brutaler Machtpolitiker. Aber er ist in unserer Welt, in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft nicht der einzige, der immer Angst hat, dass man ihm etwas wegnehmen will, weil sein Denken darauf ausgerichtet ist, anderen etwas wegzunehmen. Eine Art zu denken und zu handeln, die auch im Westen verbreitet ist und nicht nur tausende Jahre der Kriegshistorie bestimmt. Putin gehört sozusagen einer besonders schlimmen Spezies der Zurückgebliebenen, die aus einer humanen Gesellschaft gefallen sind. Aber solche Spezies, zum Glück nicht mit dieser zerstörerischen Machtfülle, finden sich auch in unserer westlichen Gesellschaft.

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

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