Peter Handke: Pionier der Autokraten-Versteher

Serbien hat den österreichischen Schriftsteller Peter Handke mit einer der höchsten Auszeichnungen des Landes geehrt. Präsident Aleksandar Vucic überreichte dem 78-jährigen Literatur-Nobelspreiträger am Sonntag den Karadjordje-Orden für seine „außergewöhnlichen Verdienste bei der Darstellung Serbiens in öffentlichen und kulturellen Aktivitäten“ sowie „persönliche Beharrlichkeit in kompromissloser Verantwortung gegenüber der Wahrheit“. Wegen seiner pro-serbischen Haltung während der Balkan-Kriege in den 90er Jahren war Handke 2015 bereits die Ehrenbürgerschaft Belgrads verliehen worden. Auch in der bosnischen Serbenrepublik Srpska nahm er kürzlich Preise entgegen und enthüllte ein überlebensgroßes Denkmal seiner Person. Anwesend waren dabei nationalistische serbische Intellektuelle und Milosevic-Getreue.

Als Handke 2019 mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet würde, rief diese Entscheidung wegen Handkes apologetischer Einstellung und Nähe zum Milosevic-Regime weltweit scharfe Proteste hervor. Handke und seine Apologeten verschanzten sich gegen die Kritik damals hinter dem angeblich literarisch-ästhetischen Charakter seiner damaligen Betrachtungen.

Jetzt aber zeigt sich unzweideutig: Peter Handke ist eine Ikone des großserbischen Nationalismus und identifiziert sich vollständig mit dieser Rolle. Und es wird zudem an seiner Ehrung auf alarmierende Weise deutlich, wie der EU-Beitrittsanwärter Serbien tatsächlich mit seiner mörderischen jüngeren Vergangenheit umgeht.

Aus aktuellem Anlass hier noch einmal (leicht gekürzt) mein Text zum Streit um die Nobelpreisverleihung an Handke, der Ende 2019 hier und hier erschienen ist. Dass man sich bei meiner damaligen Diagnose – insbesondere im letzten Absatz – an neuere Debatten wie jene um die „allesdichtmachen“-Schauspieler erinnert fühlt, die ihre Äußerungen bloß als „ironische“ Kunstaktion gemeint haben wollen und sich angesichts der Kritik daran als Verfolgte einer „Meinungsdiktatur“ inszenieren, kommt sicher nicht von ungefähr.

Mit der Reaktion von Peter Handke auf die Kritik an seiner Relativierung der serbischen Verbrechen im Balkan-Krieg der 1990er Jahre ist der literarische Geniekult, der seit über zweihundert Jahren das Selbstverständnis manches deutschen und deutschsprachigen Dichters und Denker geprägt hat, an sein unrühmliches Ende gekommen. Weit davon entfernt, zumindest einen Anflug von Verständnis für Schmerz und Verzweiflung der Opfer zu zeigen, die sich über seine Verteidigung und Verklärung des mörderischen serbischen Nationalismus empören, verschanzte sich Handke hinter seinem dichterischen Werk, das er für unantastbar und über Einwände vonseiten literarisch angeblich inkompetenter Kommentatoren erhaben erklärte. Fragen von Journalisten, die ihn mit den erwiesenen historischen Tatsachen über das Massaker von Srebrenica 1995 konfrontierten und wissen wollten, ob er bei seinen damaligen Falschbehauptungen über diese Untat bleibe, tat er in abschätzigem  Gestus als „leer und ignorant“ ab.

Auf Heideggers Spuren

Einst vor allem vonseiten des links orientierten kulturellen Establishments als eigensinniger Provokateur und Nonkonformist gepriesen, präsentiert sich Handke nun wie die groteske Karikatur des einsamen, von der breiten Masse unverstandenen Sehers, wie er von Friedrich Nietzsche in der Figur des Zarathustra glorifiziert worden war. Zarathustra zieht sich in die Abgeschiedenheit zurück, als er erkennt, dass die Menge, die er als eine Ansammlung von „letzten Menschen“ verachtet, oberflächliche Gelüste und Vergnügungen seinen Predigten über das kommende Übermenschentum vorzieht. In seiner verbitterten Gesprächsverweigerung erinnerte Handke dabei an das Verhalten deutscher Geistesgrößen nach 1945. So wich der Philosoph Martin Heidegger unangenehmen Fragen nach seiner Verstrickung in den Nationalsozialismus aus, indem er sie als das Produkt einer geistlosen materialistischen Gesinnung denunzierte, die unfähig sei, die Tiefe seines Denkens und Handelns zu begreifen.

Doch obwohl Handke damit an unheilvolle Traditionen der deutschen Ideengeschichte anknüpfte, fehlte es in der deutschen intellektuellen Öffentlichkeit nicht an leidenschaftlichen Verteidigern des Großschriftstellers. In manch zorniger Tirade wurde Handke zum Opfer einer überbordenden Gesinnungskontrolle und die Vorwürfe gegen ihn zum Angriff auf die Freiheit der Literatur schlechthin stilisiert. Oder seine proserbischen Einlassungen wurden so lange umgedeutet und kontextualisiert, bis sie als arglose Friedensbotschaften erschienen. Um den „Freidenker“ gegen Kritik daran zu immunisieren, dass er sich dem Diktator Milosevic an den Hals geworfen, dessen Soldateska vor „einseitiger“ Schuldzuweisung in Schutz genommen und Völkermord relativiert hatte, packten Literaturexperten wie der prominente TV-Buchpräsentator Denis Scheck ihre Geheimwaffe aus: Die Ästhetizismus-Keule. Diese besteht in dem Argument, dass das Werk eines bedeutenden Autors keinesfalls mit seinen Äußerungen zum aktuellen politischen Geschehen in Verbindung gebracht und damit ungehörigerweise befleckt werden dürfe, und dass nur ahnungslose Banausen beides miteinander zu vermischen pflegten.

In Wahrheit ist das Gerede von der unberührbaren Autonomie des Ästhetischen jedoch Ausdruck einer deutschen Untertanenmentalität. Deren Vertreter werfen sich ersatzweise vor dem großen Schriftsteller in den Staub, für den die moralischen Standards von Normalsterblichen nicht gelten sollen. Denn ohne Umschweife vor autoritären Herrschern in der realen politischen Welt auf die Knie zu gehen, trauen sich die Protagonisten des postmodernen Kulturbetriebs doch nicht so ganz. Deshalb suchen sie nach Titanen des Geisteslebens, an deren Lippen sie auch dann noch ergriffen hängen können, wenn sie Grundgebote humanen Anstands und intellektueller Redlichkeit mit Füßen treten. Unter der Maske spielerischer Aufgeschlossenheit, die der deutsche Kulturbetrieb so gerne zur Schau stellt, offenbarte sich so eine bedenkliche Affinität zum Autoritären

Selbstermächtigung zu „alternativen Fakten“

Es scheint, als ob der Typus des sich unberührbar wähnenden, von öffentlicher Kritik ausgenommenen Großschriftstellers im Aussterben begriffen sei. Im Zeitalter digitaler Informationsüberflutung und der Enthierarchisierung von Textsorten wirkt der Versuch, sich in eine höheren Sphäre reiner Sprachkunst zu erheben, zunehmend absurd. In seiner verbissenen Attitüde, mit der er sich zum unverstandenen, weltentrückten Hüter authentischer Kulturwerte erklärt, um sich der moralischen Verantwortung für die Wirkung seiner politischen Einlassungen zu entziehen, wirkt Handke wie ein Fossil aus einer verflossenen Zeit.

Doch mit seiner verbohrten Weigerung, Tatsachen anzuerkennen und die eigenen Entstellungen der historischen Wirklichkeit einer selbstkritischen Prüfung zu unterziehen, ist er auf makabre Weise auch ein Pionier. Mitten im Balkan-Krieg der 1990er Jahre nahm Handke vorweg, was heute in Gestalt rechter „Populisten“ endemisch geworden ist: Die Leugnung und Entwertung des Faktischen, sofern es nicht in das eigene mit antiaufklärerischen Affekten angefüllte Weltbild passt, die Selbstermächtigung zur Verbreitung „alternativer Fakten“, die selbstmitleidige Klage, die Meinungsfreiheit sei bedroht, wenn sich gegen diese Verfälschung der Wirklichkeit Widerspruch regt, und die Selbststilisierung zum Opfer angeblich gleichgeschalteter liberaler Medien. Handkes proserbische Parteinahme steht zudem paradigmatisch für die Unterminierung der Unterscheidungsfähigkeit zwischen Täter und Opfer, Aggressor und Angegriffenem – unter der Maßgabe, dass ja auch die anderen schlimme Dinge getan hätten. Der einsame Milosevic-Versteher Peter Handke hat so den heutigen Heerscharen von Putin-Verstehern den Weg geebnet.

Über den Autor

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

von Richard Herzinger

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

Schreiben Sie mir

Sie können mich problemlos auf allen gängigen Social-Media-Plattformen erreichen. Folgen Sie mir und verpassen Sie keinen Beitrag.

Kontakt