Putins Friedenslügen und sein Handlanger Orban

Der folgende Text ist kürzlich, am 26.7.24, in der Neuen Zürcher Zeitung erschienen. Seitdem hat Ungarns Regierungschef in Putins Diensten einen weiteren aggressiven Schritt zur Unterminierung der europäischen liberalen Demokratien unternommen: Mit seiner Lockerung der Visabestimmunen hat Viktor Orban das Tor der EU für russische und belarusische Spione, Saboteure und Terroristen weit geöffnet. Die Fünften Kolonnen des russischen Aggressors, von AfD bis BSW, von Pseudointellektuellen wie Richard David Precht bis Michael Kreschmers sächsischer CDU, holen auch hierzulande zum großen Schlag gegen die deutsche Unterstützung für die Ukraine aus.

Während Russland seinen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine mit gesteigerter Intensität fortsetzt, verschärft es zugleich seine hybride Kriegsführung gegen die westlichen Demokratien. Dabei treibt der Kreml seine Destabilisierungsoperationen auf verschiedenen Ebenen voran. Zum einen baut er seine Desinformationsnetzwerke im Westen massiv aus, um die Bereitschaft der westlichen Gesellschaften zur weiteren Unterstützung der Ukraine zu unterminieren.

Neben dieser Praxis der Bewusstseinsmanipulation häufen sich aber auch physische Angriffe in Form von Sabotageakten und Terroranschlägen. Der Mordplan gegen den Rheinmetall-Chef Armin Papperger ist nicht der einzige, wenn auch bisher drastischste Fall. Quer durch Europa, von Berlin über London bis Warschau, von Tschechien über Schweden und Finnland bis Wales wurden in jüngster Zeit unter anderem Brände und Explosionen in Rüstungs- und Logistikbetrieben sowie Einkaufszentren registriert. Auch gab es Zugentgleisungen, und Untersee-Datenkabel in der Ostsee wurden durchtrennt. Stets weisen die Spuren nach Moskau. Nach  Erkenntnissen westlicher Sicherheitsdienste rekrutiert der Kreml in großem Ausmaß westliche Sympathisanten und Kriminelle für die Ausführung  solcher verdeckter Kriegsakte.

Hinzu kommt indes eine Komponente, die den westlichen Widerstandswillen gegen Russlands Aggression mehr als alles andere schwächen könnte: die Simulation von Friedenswillen des Kreml, mit der die westliche Öffentlichkeit desorientiert und über dessen wahre Ziele getäuscht werden soll. Dazu werden Gerüchte über geheime „Friedenssignale“ aus Moskau gestreut, die von einer gewissen Kompromissbereitschaft des Aggressors zeugen sollen. In manchen westlichen Medienberichten klingt das dann so, als stelle es bereits ein „spektakuläres“ Zugeständnis dar, wenn die russischen Invasoren ihrem Opfer angeblich nicht ganz so viel Land rauben wollen wie bisher lauthals angekündigt.

Irreführung des Westens

Diese groß angelegte Desinformationskampagne zielt auf den Effekt, Putin im Bewusstsein der westlichen Öffentlichkeit assoziativ mit einer ernst zu nehmenden Friedensbereitschaft in Verbindung zu bringen.. Die Hauptrolle in dieser Inszenierung hat Viktor Orban, der Gefolgsmann Putins und Xi Jinpings im Inneren der EU übernommen. In der „Mission“ eines selbst ernannten „Vermittlers“ reiste er kürzlich zuerst nach Kyjiw, um anschließend in Moskau und Peking vorstellig zu werden – womit er auch gleich noch den vermeintlichen „Friedensplan“ aufwerten wollte, den Russlands Kriegsunterstützer China zwecks Irreführung des Westens in die Welt gesetzt hat.

Ein Besuch bei Donald Trump komplettierte Orbans Show-Rundreise zu den maßgeblichen Protagonisten der globalen antiliberalen Front. Der kriminelle ehemalige und möglicherweise künftige US-Präsident brüstet sich ein ums andere Mal damit, er werde den Krieg in der Ukraine „mit einem Telefonat“ beenden – und betont dabei, wie gut er sich mit dem Massenmörder Putin verstehe. Seine Vorstellungen von einem „Frieden“ laufen darauf hinaus, die Ukraine zur Abtretung von Teilen ihres Territoriums und vermutlich auch zum Verzicht auf eine NATO-Mitgliedschaft zu nötigen, um so den Aggressor bezüglich weiterer Eroberungen gnädig zu stimmen. Mit der Ernennung von J.D. Vance, einem der radikalsten Gegner weiterer Finanzhilfen und Waffenlieferungen an die Ukraine in den Reihen der US-Republikaner, zu seinem Vizepräsidentschaftskandidaten hat Trump ein dementsprechend unzweideutiges Signal gesetzt.

Der Ukraine zum Sieg über den verbrecherischen Aggressor zu verhelfen ist und bleibt der einzige Weg zum Frieden.

Der Zweck der gefakten „Reisediplomatie“ Orbans ist es, der westlichen Öffentlichkeit vorzugaukeln, mit Putin ließe sich vernünftig reden – wenn man nur von der „Maximalforderung“ abrücke, der Aggressor müsse sich vollständig von dem ukrainischen Territorium zurückziehen, auf dem er ein Terrorregime aus Mord, Folter, Verschleppung und Zwangsrussifizierung der ukrainischen Bevölkerung errichtet hat. So soll die Wahrnehmung der westlichen Öffentlichkeit kognitiv und moralisch umgepolt werden: Ausgehend von der Suggestion, ein militärischer Sieg der Ukraine in ihrem Verteidigungskampf gegen Russland sei ohnehin unmöglich, sollen die demokratischen Gesellschaften an den Gedanken gewöhnt werden, nur ein Einlenken gegenüber Putin könne zur Beendigung des Krieges führen. In diesem Lichte sollen dann die Ukraine und namentlich ihr Präsident Selenskyj als die eigentlichen Friedensstörer erscheinen, die den Westen immer tiefer in einen sinnlosen Krieg hineinzögen.

Orban will Groß-Ungarn

Dabei verfolgt Orban ganz andere Ziele als Europa den Frieden zu bringen. Wenn er wie kürzlich bei seinem  Besuch in Kyjiw die Ukraine zu einem einseitigen Waffenstillstand auffordert, verlangt er von ihr nichts anderes als sich wehrlos der Willkür des russischen Terrorstaats auszuliefern. Der Verdacht liegt nahe, dass der ungarische Regierungschef auf eine Niederlage und darauf folgende Zerstückelung der Ukraine spekuliert. Könnte Orban dadurch doch der Verwirklichung seines Traums von der Wiederherstellung Groß-Ungarns ein gutes Stück näher kommen – wenn ihm Putin nämlich die ukrainische Region Transkarpatien zuschlagen sollte, die Ungarn durch den Trianon-Vertrag von 1920 abhanden gekommen war.

Tatsächlich haben die Propagandagespinste über einen wie auch immer gearteten russischen Willen zu einem Kompromissfrieden nichts mit der Realität zu tun. In Wahrheit hält das Putin-Regime unvermindert an seiner unzählige Male offen verkündeten Absicht fest, den ukrainischen Staat sowie die ukrainische nationale und kulturelle Identität vollständig auszulöschen. Einen potenziellen Waffenstillstand betrachtet es bestenfalls als Zwischenetappe zu diesem Endziel. Darüber hinaus lassen Wortführer wie der Putin-Vertraute und pathologische Hassprediger Dmitri Medwedew keinen Zweifel daran, dass die Aggressionsgelüste Russlands mit der Vernichtung der Ukraine keineswegs befriedigt wären. Längst bereitet der Kreml die Ausweitung seines Vernichtungskriegs auf den gesamten Westen vor.

Dazu hat er sich mit dem apokalyptisch-islamistischen Regime des Iran und der nordkoreanische Horrordiktatur zu einer – von China abgesegneten – antiwestlichen Kriegsachse zusammengeschlossen. Einstweilen konzentriert sich die russische Kriegsmaschine mit ihren Terrorbombardements auf die totale Zerstörung der ukrainischen zivilen Infrastruktur und damit der Lebensgrundlagen der ukrainischen Nation. Russlands Verbrechen haben einen Namen: Völkermord.

Selbstdemontage

Doch noch immer will man im Westen diese Tatsachen nicht in ihrer vollen Tragweite wahrhaben. Wachsende Teile der westlichen Gesellschaften klammern sich lieber an die Vorstellung, der Vernichtungsfuror des Putinismus ließe sich durch „Verhandlungen“ besänftigen. Die Friedenslügen des Putin-Regimes und seiner diversen Fünften Kolonnen im Westen zielen darauf, diese Illusion zu nähren, während der Kreml zugleich mit wüsten, nicht zuletzt nuklearen Drohungen die Kriegsangst in den europäischen Demokratien schürt.

Anzeichen von Selbstdemontage der westlichen politischen Führungsschicht befeuern die russische Aggressionslust. Frankreichs Präsident Macron hat mit seiner leichtfertigen Ansetzung vorgezogener Neuwahlen die politische Mitte und damit seine eigene Position empfindlich geschwächt. Auch der quälend lange Abschied des zuletzt greisenhaft gebrechlich wirkenden Joe Biden von der erneuten  Präsidentschaftskandidatur hat den Kreml in seiner Überzeugung bestätigt, die „dekadente“ demokratische Zivilisation sei mit ihren Kräften am Ende – und der Moment sei gekommen, ihr den finalen Todesstoß zu versetzen.

Wenn sich die westlichen Demokratien nicht deutlich resoluter gegen die russische Destabilisierungsoffensive zur Wehr setzen und sie den fortlaufenden schwersten Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die Russland in der Ukraine begeht, nicht endlich energisch Einhalt gebieten, riskieren sie ihre eigene Existenz. Der Ukraine zum Sieg über den verbrecherischen Aggressor zu verhelfen ist und bleibt der einzige Weg zum Frieden.

Über den Autor

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

1 Kommentar

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

Schreiben Sie mir

Sie können mich problemlos auf allen gängigen Social-Media-Plattformen erreichen. Folgen Sie mir und verpassen Sie keinen Beitrag.

Kontakt