Der Weltkrieg gegen den Westen ist schon im Gange

Vorbemerkung: An demselben Tag, als dieser Essay in der Neuen Zürcher Zeitung erschien, führte die Hamas ihren massenmörderischen Terrorangriff der Hamas auf Israel aus. Dieses welterschütternde Ereignis vom 7. Oktober 2023 kommt daher in dem Text nicht vor – doch es bestätigt dramatisch und auf entsetzliche Weise die darin entaltene Analyse. Das Massaker fügt sich ein in den Weltkrieg gegen die westlichen Demokratien, den die von Russland, Iran und China orchestrierte Achse der Diktaturen an verschiedenen Punkten des Globus vorantreibt.

Der Westen kann es sich nicht mehr leisten, die diversen aktuellen Kriesgsbrandherde, sei es in der Ukraine, im Kaukasus, in Afrika oder im Nahen Osten, als voneinander isolierte, jeweils „regionale“ Phänomene zu betrachten. Sie alle sind Mosaiksteine in einem sich entwickelnden Weltkrieg gegen die gesamte demokratischen Zivilisation, der von ihren vereinten Todfeinden massiv und in hohem Tempo vorangetrieben wird.

Das kürzliche Treffen von Wladimir Putin mit Nordkoreas Diktator Kim Jong-un hat unzweifelhaft deutlich gemacht: Russland baut systematisch eine weltweite Kriegsfront gegen die westlichen Demokratien auf. Auch wenn nicht ganz klar ist, wie erfolgreich der russische Autokrat bei dem Versuch, nordkoreanische Waffen für seinen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine zu akquirieren, fürs erste gewesen ist – durch den demonstrativen Schulterschluss mit der wohl grauenvollsten Diktatur, die derzeit auf dem Globus existiert, signalisiert das putinistische Russland, dass es bei der Auswahl seiner Verbündeten keinerlei Hemmschwellen mehr kennt.

Doch im Westen wird das Ausmaß der Bedrohung, die ihm durch das Entstehen einer gegen ihn gerichtetem potenziellen Weltkrieg-Allianz erwächst, längst noch nicht ausreichend erkannt. Weiterhin hängt man in westlichen Hauptstädten der illusionären Vorstellung an, Moskau werde sich über kurz oder lang zu „Verhandlungen“ über einen „gerechten Frieden“ (Olaf Scholz) für die Ukraine bereitfinden. In Wahrheit rüstet sich Russland massiv für eine jahrelange  Fortsetzung seines genozidalen Feldzugs gegen die ukrainische Nation. Dabei setzt es auf die langfristige Zermürbung der Ukraine durch die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen und rechnet damit, dass die westliche Unterstützungsfront für das überfallene Land früher oder später zerbrechen wird.

Und mehr noch, die russische Führung macht längst keinen Hehl mehr daraus, dass sie den Überfall auf die Ukraine nur als ersten Akt des viel größeren Kriegs gegen die NATO betrachtet, durch den die weltpolitische Dominanz des demokratischen Westens ein für allemal  beseitigt werden soll. Das Ziel des kriminellen putinistischen Regimes ist nichts weniger als die gesamte auf universellen Werten und Normen gegründete internationale Ordnung zum Einsturz zu bringen und sie durch das Recht des Stärkeren zu ersetzen

Weltkrieg, dezentral

Auf diesem Weg folgen dem Kreml nicht nur das mittlerweile zu seinem Vasallenstaat erniedrigte Belarus und Syrien unter der massenmörderischen Diktatur Baschar al-Assads, sondern zunehmend auch Serbien, das im Windschatten von Russlands Kriegskurs die Gelegenheit wittert, seine revanchistischen Ziele bezüglich Kosovo und Bosnien-Herzegowina zu verwirklichen. Vor allem aber teilen die Islamische Republik Iran und das übermächtige China Putins Einschätzung, dass der historische Zeitpunkt für den Umsturz der bestehenden Weltordnung jetzt gekommen sei – wie das Ende der Epoche der liberalen Demokratie insgesamt.

Ein deutscher Strategieexperte hat anlässlich der Zusammenkunft von Putin und Kim Jong-un von einer „Achse der Parias“ gesprochen. Doch angesichts des tatsächlichen Einflusses, den Russland selbst wie eine Reihe von ihm gestützter Regime weiterhin – oder wieder – auf der internationalen Bühne ausüben, ist das eine verharmlosende Bezeichnung. So wurde kürzlich das BRICS-Bündnis nicht nur bekräftigt, sondern sogar um sechs neue Mitglieder erweitert – darunter Russlands derzeit engster Verbündeter, die Islamische Republik Iran.  Weder Indien noch Brasilien und Südafrika, und ebenso wenig das BRICS-Neumitglied Argentinien, die sich alle der demokratischen Welt zurechnen, zeigen Skrupel, sich auf die Verbindung mit einem Regime einzulassen, dessen erklärter oberster Daseinszweck die Vernichtung Israels ist. Bemerkenswert ist zudem, dass auch Irans traditioneller Erzfeind Saudi-Arabien nun plötzlich nichts mehr gegen eine Zusammenarbeit mit Teheran einzuwenden hat.

Syrien unter Baschar-al-Assad, der seinen Krieg gegen die eigene Bevölkerung nur dank der brutalen Intervention Russlands und Irans an seiner Seite gewinnen konnte, erfährt zunehmend wieder internationale Anerkennung. Seiner Wiederaufnahme in die Arabische Liga in diesem Frühjahr folgte jüngst ein Kooperationsabkommen mit China, das die Aufnahme Syriens in das chinesische „Seidenstraßen“-Projekt einschließt.

Weltkrieg, vernetzt

Jahrzehntelang hatte man sich in der westlichen Öffentlichkeit die russisch-iranische Allianz mit dem Argument schöngeredet, diese sei nur ein temporäres Zweckbündnis, das angesichts vermeintlich unvereinbarer langfristiger Interessen bald zerbrechen werde. Doch heute ist die politische und militärische Verzahnung zwischen Moskau und Teheran intensiver als je zuvor – sie hat eine geradezu symbiotische Dimension angenommen. Durch seine Drohnenlieferungen trägt Iran wesentlich dazu bei, dass Russland seinen Raketenterror gegen die ukrainische Zivilbevölkerung und Infrastruktur unvermindert fortsetzen kann. Das iranische Regime kann sich umgekehrt sicher sein, dass ihm bei der Realisierung seines Atomwaffenprogramms vom Kreml keine Steine mehr in den Weg gelegt werden.

Im Westen hat man sich zu lange an die Hoffnung geklammert, die Widersprüche zwischen den Kräften innerhalb der autokratischen Phalanx seien zu groß, als dass sie dauerhaft zusammenhalten könnte. Tatsächlich aber kennen Iran, dessen theokratisches Regime von der apokalyptischen Erwartung einer anbrechenden Weltherrschaft des Islam angetrieben wird, Russland, das sich als Beschützer und Retter des von liberaler „Dekadenz“ bedrohten „christlichen Abendlands“ aufspielt, und die streng atheistische Horrordiktatur Nordkoreas (die den Glauben an ein höheres Wesen freilich durch die Vergottung seines weltlichen Führers ersetzt hat) keinerlei weltanschauliche Berührungsängste, wenn es gegen den verhassten Westen geht.

Das totalitäre chinesische Regime unter Xi Jinping verbindet seinerseits das Festhalten an der marxistisch-leninistischen Staatsideologie mit einem extremen nationalistischen und kulturchauvinistischen Überlegenheitsanspruch, demzufolge China gleichsam zivilisationsgeschichtlich zur Führung der gesamten Menschheit berufen sei. Dass dies mit den Vorherrschaftsplänen anderer autoritärer Mächte eigentlich nicht zu vereinbaren ist, hindert sie alle nicht daran, ihre Reihen zwecks Zerstörung der westlichen Demokratien und einer auf universalen Werten und Normen basierenden internationalen Ordnung immer fester zu schließen.

Russland öffnet die Schleuse

Wie weit sie mit Letzterem bereits vorangekommen sind, hat sich jüngst an der Eroberung von Berg-Karabach durch Aserbeidschan und der ihr folgenden Vertreibung der armenischen Bevölkerung gezeigt. Putins Überfall auf die Ukraine hat die Schleusen für kleinere Despoten geöffnet, sich gewaltsam zu nehmen, was sie wollen. Seinerseits hat Russland, das sich bis vor Kurzem noch als „Friedensmacht“ im Kaukasus inszenierte, seinen vermeintlichen Schützling Armenien eiskalt fallen gelassen, weil dieser sich zu stark der Demokratie zugewendet hat. Dass es stattdessen dem aserbeidschanischen Autokraten Alijew grünes Licht für seinen Durchmarsch gegeben hat, zeigt, dass die Unterdrückung jeglicher Ansätze von Demokratisierung weltweit für Moskau oberste strategische Priorität hat.

Das gilt auch für andere Kontinente, auf denen das Putin-Regime seine destruktiven Aktivitäten verstärkt. In Lateinamerika hält es die Autokratien Kubas, Venezuelas und Nikaraguas im Sattel, in Afrika ist es als treibende Kraft zur Stelle, wenn, wie jüngst in Niger, demokratische Strukturen durch Militärgewalt beseitigt werden.

Gleichzeitig liebäugelt Russlands ideologischer Juniorpartner Serbien  offenbar mit der gewaltsamen Rückeroberung Kosovos. Dass die NATO a priori kategorisch erklärt hat, sie werde unter keinen Umständen direkt gegen den russischen Aggressionskrieg gegen die Ukraine vorgehen, scheint die serbische Führung mit der Zuversicht zu erfüllen, dass das westliche Bündnis auch im Kosovo vor einer kriegerischen Konfrontation zurückschrecken wird – trotz seines dort stationierten Kontingents

Antiwestliche Achse

Für Putin bietet die wachsende serbische Aggressionsbereitschaft die Möglichkeit, den Verteidigungswillen der NATO weiter auszutesten und sie zu zwingen, Ressourcen von der Unterstützung für die Ukraine abzuziehen. Und die destabilisierende Wirkung der kriegerischen Umtriebe Russlands ist ganz im Sinne Chinas, das selbst auf den passenden Zeitpunkt lauert, sich das demokratische Taiwan militärisch einzuverleiben. 

Der Kollaps der regelbasierten internationalen Ordnung könnte schneller eintreten als man es im Westen zumeist wahrhaben will. Sollte Donald Trump erneut zum US-Präsident gewählt werden, wäre das transatlantische Bündnis akut vom Zerbrechen bedroht.  Doch bereits jetzt torpediert der rechtsextreme Flügel der Republikaner die Anstrengungen der atlantischen Allianz, die Ukraine bei ihrer Verteidigung gegen die russische Vernichtungswalze zu unterstützen. In Teilen Europas wiederum sind, wie zuletzt in der Slowakei gesehen, prorussische Parteien im Aufwind – neuerdings auch in Deutschland, wo die Kreml-Filiale AfD in Umfragen Rekordwerte erzielt und die Linkspolitikerin Sahra Wagenknecht die Gründung einer weiteren Partei in Putins Diensten vorbereitet.

Der Schlüssel für die Zukunft des freien Westens liegt in der Ukraine. Er muss jetzt endlich alles daran setzten, ihr einen möglichst schnellen, umfassenden Sieg zu ermöglichen. Nur durch eine solche exemplarische militärische Niederlage Russlands kann die Offensive der antiwestlichen Achse aufgehalten werden  – und der Westen die kommende globale kriegerische Konfrontation mit ihr noch abwenden.

Über den Autor

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

2 Kommentare

  • Ich stimme mit Ihnen voll überein. Bleibt die Frage woher die Bereitschaft kommt den Universalismus in die Tonne zu hauen. Ich kann es mir nur so erklären: der weitverbreitete Nihilismus, der auch Menschenrechte für arbiträre Setzungen hält, findet in Diktaturen einen natürlichen Verbündeten. Diktatur wird damit akzeptabel, nicht nur in irgendwelchen Schurkenstaaten, sondern gegebenenfalls auch bei uns.

  • Sehr geehrter Herr Herzinger,

    auch ich sehe, dass diktatorische Regime mit an-gemaßten Führer-Persönlichkeiten, die ich für paranoid, aber narzisstisch („Ich bin ja so bedeutend, dass mir die ganze Welt gehören muss!“) halte, ihre wirtschaftliche Erfolglosigkeit durch terroristisches Aus-Nutzen ihrer wehrlosen Bevölkerung in eine an-gestrebte Vernichtung des noch über-legenen Westens um-kehren wollen. Leider haben sie wegen dikatorischer Aus-Schaltung der Meinungs-Viel-Falt keine Wider-Stände im eigenen Land. Sie stecken alles Geld in militärische Hoch-Rüstung, aber der Westen reagiert noch nicht durch ebenfalls nötige Auf-Rüstung. Hoffentlich erfolgt noch ein rechtzeitiges Erwachen.

    MfG

    Hartmut Köhler

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

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