Assads Triumph und der Frühling der Despotie

Mit der Wiederaufnahme Syriens in die Arabische Liga wird die internationale Isolation des massenmörderischen Assad-Regimes durchbrochen. Das Signal, das von diesem verheerenden Schritt ausgeht, lautet: Brutale Vernichtungspolitik und systematischer Terror gegen die eigene Bevölkerung zum Zweck autokratischen Machterhalts wird am Ende belohnt. Fatale Konsequenzen hat diese Aufwertung des Regimes in Damaskus nicht nur für die Region, sonden für die internationale Ordnung insgesamt. Denn die Rehabilitierung des Schlächters Assad durch die arabische Welt stellt einen Triumph für Putins Russland dar, das zur Sicherung von Assads Herrschaft große Teile Syriens in Schutt und Asche gebombt hat – in enger kriegerischer Allianz mit dem Iran, der jetzt seinerseits den russischen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine mit Waffenlieferungen unterstützt.

Noch ist der Westen nicht bereit, die Bestrebungen der arabischen Staaten zu akzeptieren, Syrien unter Assad wieder hoffähig zu machen. Doch dass er dessen Wiederaufnahme in die Arabische Liga nicht verhindern konnte, zeugt von seiner wachsenden – und selbst verschuldeten – Ohnmacht in Bezug auf die Belange der Region. Seit dem Rückzug der USA und ihrer westlichen Verbündeten aus dem Irak und Afghanistan schwingt im Nahen Osten das Pendel mit voller Wucht zurück zurück: von den Ansätzen zu einer Demokratisierung der Region zur neuerlichen Verfestigung autoritärer und terroristischer Herrschaftssysteme.

Insbesondere die fluchtartige Preisgabe Afghanistans hat dem Ansehen und der Glaubwürdigkeit des Westens in der Region einen womöglich finalen schweren Schlag versetzt. Die freiheitlichen Errungenschaften der afghanische Zivilgesellschaft, die sich in den Jahrzehnten westlichen Engagements am Hindukusch herausgebildet hatte, werden von dem totalitär-islamistischen Taliban-Regime jetzt restlos ausgelöscht. Insbesondere die afghanischen Frauen sind schutzlos ihrer vollständigen Entrechtung ausgeliefert, und der Kollaps der Wirtschaft stürzt die Bevölkerung in Verelendung und Hunger. In der westlichen Öffentlichkeit aber legt sich über diese Katastrophe der Schleier des Schweigens und Vergessens

Demoralisierte Demokraten

Der Verrat des Westens an einem Land, dem er Sicherheit und Fortschritt versprochen hatte, bestätigt in den Augen der Machthaber im Nahen Osten, dass dieser selbst nicht mehr an seine eigenen Werte glaubt und als gestaltende Kraft einer Neuordnung der Region abgedankt hat. Das bestärkt sie darin, die Schrauben ihrer autokratischen Herrschaft noch fester anzuziehen und sich nicht einmal mehr den Anschein demokratischer Reformwilligkeit zu geben. Auf die prodemokratischen Strömungen in der Region hingegen wirkt die Tatsache, dass die westlichen Demokratien in Afghanistan – aber auch in Syrien – jene Kräfte, die ihre Werte teilen, zynisch im Stich gelassen haben, zutiefst demoralisierend.

In die Lücke, die das westliche Desengagement im Nahen Osten hinterlässt, stoßen nun die autoritären Mächte Russland und China. Peking ist es jüngst gelungen, die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den bislang tödlich verfeindeten Rivalen Saudi-Arabien und Iran zu vermitteln. Es unterstreicht damit seine Ambition als Stifter einer neuen Sicherheitsarchitektur für den zerrütteten Nahen Osten, bei deren Entwicklung der Westen nur noch Zuschauer sein soll. Wie tragfähig die saudisch-iranische Übereinkunft tatsächlich ist, bleibt indes ungewiss – insbesondere angesichts der Tatsache, dass Teheran in Kürze die Fähigkeit zum Bau der Atombombe erreicht haben könnte. Das würde nicht nur die Bedrohungslage für Israel dramatisch verschärfen, sondern auch die arabischen Mächte in höchsten Alarmzustand versetzen. Doch fürs erste stabilisiert der Deal die Verhältnisse in der Region im Sinne autokratischer Ordnungsideale und auf Kosten der Menschenrechte sowie emanzipatorischer Freiräume.   

Als Bestandteil dieser Annäherung der Despotien ist auch die Rehabilitierung des von Assad angeführten syrischen Verbrecherregimes zu betrachten. Nicht zuletzt deshalb gehört auch Russland zu den Gewinnern der saudisch-iranischen Verständigung. Trotz seines symbiotischen Bündnisses mit dem schiitischen Teheraner Regime genießt Putin als Inbild eines skrupellosen Machtmenschen auch bei sunnitischen arabischen Herrschern wie dem saudischen Kronprinzen Mohammad bin-Salman hohes Ansehen. Die Beziehungen zu ihnen kann der Kreml nun weiter vertiefen, ohne zu sehr darauf achten zu müssen, seinen Hauptverbündeten in Teheran nicht zu brüskieren.

Autokratisches Rollback

Die zeitweilig vorhandenen demokratischen Ansätze in der Region sind unterdessen im verstärkten Niedergang. In Tunesien, von dem der „Arabische Frühling“ ausgegangen war und dem als einzigem der von ihm erfassten arabischen Ländern die Errichtung einer pluralistischen Demokratie gelang, wird diese jetzt von einem autoritären Präsidenten systematisch demontiert. Zudem steht die tunesische Wirtschaft vor dem Zusammenbruch. So bleibt als arabischer Staat, der zumindest Überreste einer demokratischen Ordnung aufweist, der Irak, den die US-Invasion vor zwanzig Jahren von der Terrorherrschaft Saddam Husseins befreit hat. Ungeachtet aller blutigen Krisen, die das Land seitdem durchlitten hat, ist dort eine aktive Zivilgesellschaft entstanden, die gegen die korrupte politische Führungsschicht sowie die zunehmende Fremdsteuerung der Geschicke des Landes durch den Iran aufbegehrt. Doch sie gerät immer mehr unter den Druck staatlicher Repression und gesetzloser Gewalt vonseiten proiranischer Milizen.

Die Hoffnungen auf eine bessere Zukunft für die Region richteten sich zuletzt auf die freiheitliche Aufstandsbewegung im Iran. Dass an ihrer Spitze Frauen stehen, die unerschrocken ihre Menschenwürde, Gleichberechtigung und Selbstbestimmung einfordern, stellt eine neue Dimension dar, die Freiheitsbestrebungen auch in der arabischen Welt einen mächtigen neuen Impuls verleihen könnten. Einstweilen jedoch hält sich das iranische Regime durch brutale Repression, terroristische Einschüchterung und mit Unterstützung der Unterdrückungsspezialisten in Moskau und Peking fest im Sattel. Solange der iranische Widerstand über keine effektive Organisation und einheitlichepolitische Führung verfügt, wird er das herrschende System nicht stürzen können.

Strategieloser Westen

Weit davon entfernt, sich im Nahen Osten auszubreiten, ist die Demokratie jetzt sogar in Israel gefährdet. Auch wenn die von der neuen Rechtsaußen-Regierung forcierte Justizreform durch eine breite gesellschaftliche Erhebung vorübergehend gestoppt worden ist, bleibt die Bedrohung der rechtstaatlichen Verfasstheit und der säkularen Grundlagen des jüdischen Staats durch eine anwachsende ethnonationalistische und radikal-religiöse Rechte akut. Durch die „Abraham-Abkommen“ genannten Übereinkünfte mit arabischen Staaten hat Israel einen beträchtlichen Zuwachs an Sicherheit und Akzeptanz in der Region erzielt. Es wäre eine bittere Ironie, wenn sich der jüdische Staat, der seine Demokratie im permanenten Abwehrkampf gegen eine Phalanx autokratischerTodfeinde stolz und erfolgreich bewahrt hat, nun, da er einem friedlichen Ausgleich mit den führenden arabischen Mächten näher gekommen ist denn je, deren autoritären Strukturen angleichen würde.

Eine westliche Strategie, die dem massiven Rückfall der Region in autokratische Willkür entgegenwirkt, ist derzeit nicht zu erkennen. Dabei sind Regime wie das Saudi-Arabiens ökonomisch und militärisch noch immer in hohem Maße vom Westen, das heißt in erster Linie: von den USA abhängig. Einfluss zurückgewinnen kann der Westen ihnen gegenüber nicht dadurch, dass er die Maßgaben autokratischer Willkür als vermeintlichen Ausdruck „kultureller Eigenheit“ akzeptiert. Nur durch konsequentes Eintreten für universale Werte und Rechte kann er sich in der Region wieder Respekt verschaffen.

Der Text ist die aktualisierte und leicht erweiterte Fassung meiner Kolumne, die zuerst auf Ukrainisch hier und auf Deutsch hier erschienen ist.

Über den Autor

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

von Richard Herzinger

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

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