Gegen die Propagandalüge vom „kolonialistischen“ Israel

Der bestialische Mordfeldzug der terroristischen Hamas, die mit der grausamen Abschlachtung von über 1300 israelischen Zivilisten das größte Massaker an Juden seit dem Holocaust verübt hat, zeigt auf schockierende Weise, wie sehr Israel in seiner Existenz bedroht bleibt – an erster Stelle vonseiten des Iran, der seine Aggressionsbereitschaft durch das symbiotische Bündnis mit Russland noch einmal erheblich gesteigert hat und bald nuklear bewaffnet sein könnte. Einstweilen agiert Teheran vornehmlich mittels seiner Hilfstruppen im Nahen Osten, in erster Linie in Gaza und im Libanon.

Doch selbst angesichts dieser grauenvollen Bedrohung muss Israel weiterhin als bevorzugtes Feindbild „antiimperialistischer“ und „postkolonialer“ Radikaler herhalten. Ein besonders übles Beispiel dafür gab kürzlich die Klimaschutz-Ikone Greta Thunberg, als sie Israel bezichtigte, in Gaza einen „Genozid“ zu betreiben – ohne den Hamas-Massenmord an wehrlosen jüdischen Israelis auch nur zu erwähnen.

Dieses Zerrbild von Israel als einem „kolonialen Siedlerstaat“ und als dem ewigem Aggressor folgt den Vorgaben der arabischen Propaganda, die bis weit in die Mitte der westlichen Gesellschaften hinein gewirkt hat. Exemplarisch hieß es in der Palästinensischen Nationalcharta von 1968, der Zionismus sei „organisch mit dem Weltimperialismus verbunden“ und verhalte sich „gegenüber allen Befreiungs- und Fortschrittsbewegungen der Welt feindlich“

Jeffrey Herf: „Israels Moment“

Der US-Historiker Jeffrey Herf hat in seiner im vergangenen Jahr erschienenen Studie „Israel’s Moment“ detailliert aufgezeigt, dass dies eine grobe Verfälschung der Geschichte darstellt. In Wahrheit war Israel alles andere als eine Fabrikation westlicher „Imperialisten“ – es war im Gegenteil eine antikolonialistische Gründung. „Der jüdische Staat“, so Herf, „war das Projekt der antifaschistischen, antirassistischen, antikolonialistischen, antiimperialistischen Linken, einschließlich der Sowjetunion.“ Diese Woche stellte Herf sein wichtiges Buch in einer eindrucksvollen Präsentation an der Berliner Humboldt-Universität vor (Foto oben).

Unterstützung für den Teilungsplan der Vereinten Nationen, der die Errichtung eines jüdischen und eines arabischen Staats in Palästina vorsah und im November 1947 von der UN-Vollversammlung angenommen wurde, kam vornehmlich von US-Linksliberalen und europäischen demokratischen Sozialisten. Doch die Widerstände in den Regierungsapparaten der USA und Großbritanniens gegen eine jüdische Staatsgründung waren enorm. Das US-Außenministerium unter George C. Marshall etwa befürchtete, ein Bekenntnis zu Israel könnte den USA den Zugang zu arabischem Öl erschweren. Zudem plagte es angesichts der damals starken sozialistischen Prägung des Zionismus die Sorge, ein eigenständiger jüdischer Staat werde unter den Einfluss der Sowjetunion geraten.

Doch die führenden Köpfe des Zionismus um den späteren ersten israelischen Ministerpräsidenten David Ben Gurion waren keineswegs prosowjetisch, sondern antikommunistische Linke und sozialistische Demokraten im Sinne der europäischen Sozialdemokratie. Letztlich ließ sich US-Präsident Truman von den Fehleinschätzungen der Skeptiker in den eigenen Reihen dann auch nicht nicht beirren, und die USA stimmten in den UN für den Teilungsplan.

Sowjetische Kehrtwendung

Maßgeblich für die erfolgreiche jüdische Staatsgründung war indes ihre Befürwortung durch die Sowjetunion und die von ihr dominierten UN-Mitgliedsstaaten. Vor allem die Ukrainische Sowjetrepublik, die über eine eigene Stimme in der Weltorganisation verfügte, und die Tschechoslowakei warben entschieden dafür. Letztere lieferte auch Waffen an Israel, die dieses dringend benötigte, als es sich unmittelbar nach der Ausrufung seiner staatlichen Unabhängigkeit im Frühjahr 1948 der kriegerischen Aggression einer Phalanx von arabischen Staaten erwehren musste. Waffen aus dem Westen erhielt der junge jüdische Staat nicht,

Die USA und Großbritannien verhängten sogar ein Waffenembargo gegen Israel. Anders verhielt sich unter den Westmächten nur Frankreich, wo es eine erstaunlich breite politische Unterstützung, von den Sozialisten bis zu den Gaullisten, für den Zionismus gab, und das bis in die 1960er Jahre hinein der größte Waffenlieferant an Israel war – nachdem sich die kommunistischen Staaten von dem jüdischen Staat abgewendet hatten.

Die Sowjetführung hatte sich von der Gründung Israels eine Schwächung des Einflusses des Westens, vor allem Großbritanniens, im Nahen Osten versprochen. Anfang der 1950er Jahre jedoch verkehrte sich die positive sowjetische Einstellung zum Zionismus ins Gegenteil. Die von Stalin im Zeichen der Bekämpfung des „Kosmopolitismus“ initiierten antisemitischen Kampagnen in den kommunistischen Staaten gipfelten 1952 im Prager „Slansky-Prozess“. 14 führende KP-Funktionäre, darunter elf jüdischer Herkunft, wurden darin einer „trotzkistisch-titoistisch-zionistischen Verschwörung“ bezichtigt und in einem Schauprozess abgeurteilt. Unter den elf Angeklagten, die zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden, war Wladimir Clementis, der als tschechoslowakischer Außenminister an führender Stelle die Waffenlieferungen für Israels Verteidigungskrieg 1948 organisiert hatte

Am Scheitelpunkt zum Kalten Krieg

Spätestens mit dem Sechstagekrieg 1967 kehrten sich die Verhältnisse damit um: Die Sowjets agierten jetzt als mächtigster Sponsor der arabischen Feinde Israels, während die USA seit den späten 1960er Jahren zum mit Abstand wichtigsten Verbündeten des jüdischen Staats avancierten.

Die Zustimmung zur Gründung Israels blieb die letzte gemeinsam getroffene Maßnahme der Alliierten des Zweiten Weltkriegs zur Gestaltung der Nachkriegsordnung. Sie erfolgte am historischen Scheitelpunkt des Übergangs zum Kalten Krieg. Zu „Israels Moment“, in dem die Ausrufung des jüdischen Staats möglich wurde, kam es durch eine außergewöhnliche historische Konstellation, die so nicht mehr wiederkehren sollte. Die zionistische Führung unter David Ben-Gurion nutzte, wie Jeffrey Herf betont, entschlossen diesen „flüchtigen Moment, den Moment Israels, für die Herstellung einer dauerhaften Errungenschaft.“

Jeffrey Herfs Buch ist historische Aufklärung pur. Es wird in vorbildlicher Weise dem gerecht, was Herf in senem Berliner Vortrag als die ureigenste Aufgabe des Historikers benannte: Die geschichtlichen Tatsachen festzustellen und ihre Wirklichkeit gegen das relativierende Gerede von der Geschichte als einer Ansammlung von „Narrativen“ zu verteidigen. „Israel´s Moment“ muss so schnell wie möglich übersetzt und auf Deutsch herausgebracht werden!

Frühere Beiträge über Iran, Hamas und die Konstellationen im Nahen Osten:

Naher Osten: Warum die relative Ruhe trügt – Herzinger.org, 29. Januar 2022

Terror gegen Israel: Hinter der Hamas steckt der Iran – Herzinger.org, 16. Mai 2021

Über den Autor

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

von Richard Herzinger

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

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