„Ein Deal mit Putin wäre ein Deal mit dem Teufel“

Hier ist eine Botschaft an alle, die einen Deal mit Putin für möglich und wünschenwert halten: „Einige von euch glauben wahrscheinlich, dass der Albtraum aufhören wird, wenn ihr Russland gebt, was es verlangt. Ihr könnt bloß nicht herausfinden, was das ist. Na dann, hier kommt die Kurzfassung: In Russland hält man ziemlich wenig von der ´Win-win´-Ideologie. Dort ist man von einem überzeugt: Jetzt ist die Zeit für den eigenen Aufstieg – und für den Niedergang des Westens.“

Dieser Satz stammt von Ivanna Klympusch-Tsindsadse, der früheren stellvertretenden Ministerpräsidentin der Ukraine und heutigen Abgeordneten der Partei „Europäische Solidarität“ im ukrainischen Parlament. Das Verblüffende daran: Sie hat ihn nicht etwa in diesen Tagen geschrieben, sondern in einem Gastbeitrag für die „Welt“, der vor gut fünfeinhalb Jahren, im Februar 2017, erschienen ist.

Doch als eindringliche Ansprache an alle, die mit einer „Kompromisslösung“ im Einvernehmen mit dem Aggressor liebäugeln, ist dieser Text heute so aktuell und gültig wie damals. Und das nicht nur, weil er plastisch daran erinnert, dass Russlands Anngriffskrieg gegen die Ukraine bereits seit 2014 währt und das Land seitdem unzählige Opfer kostet. Seit der russischen Großinvasion vom 24. Februar 2022 versuchen sich die politischen Entscheidungsträger aus der Verantwortung zu schummeln, indem sie beteuern, es habe doch niemand ahnen können, dass Putin so weit gehen würde. Texte wie der von Klympush-Tsintsadze überführen sie der Lüge. Vor Jahren schon lag für jeden nachlesbar zu Tage, was geschehen würde, sollte der Westen der putinistischen Vernichtungswalze nicht doch noch entschieden Einhalt gebieten. Glasklar fasst der Text der ukrainischen Politikerin zusammen, was man aufs Spiel setzt, wenn man nach einem Deal mit Putin und seinem terroristischen Machtapparat strebt: „Die Freiheit kann kein Einsatz im geopolitischen Spiel sein. Die Nato, die EU, die Demokratie, das internationale Recht dürfen nicht zum Verkauf stehen.“

Putin-Quislinge sammeln sich

Dabei war dies nur eine von unzähligen Warnungen, die damals – keineswgs nur von ukrainischer Seite – ausgesprochen wurden. Doch etliche deutsche Politiker und Politikerinnen, die gebetsmühlenartig nach „diplomatischen Initiativen“ gegegenüber Moskau rufen. weigern sich auch heute noch, die darin aufgezeigten wirklichen Verhältnisse zur Kenntnis zu nehmen. So der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich, der eine konsequent gegen den Völkermord gerichtete Außenpolitik des „ideologischen Rigorismus“ bezichtigtrt und dazu mahnt, sich nicht in „moralischen Belehrungen“ der Völkermörder zu „erschöpfen“. Aber auch Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel, die in geradezu autistischer Starrheit unverdrossen den Glaubenssatz rezitiert, einen „dauerhaften Frieden in Europa“ könne es „nur unter Einbeziehung Russlands“ geben.

Vom US-Multimiliardär Elon Musk bis hin zu deutschen fälschlicherweise für „Intellektuelle“ gehaltenen Kleingeistern wie Harald Welzer und Richard David Precht sammeln sich heute die Kreml-Quislinge, um die westlichen Regierungen davon zu überzeugen, der russische Vernichtungskrieg könne und müsse durch einen „Kompromiss“ mit Putins Terrorregime gestoppt werden – der, versteht sich, aus deren Sicht gerne auf Kosten der Ukraine gehen darf. In Wahrheit aber würde jedes Zugeständnis an den Kreml-Herrscher bedeuten, den Urheber der schlimmsten Menschheitsverbrecher in Europa seit Hitler und Stalin für seine mörderischen Eroberungsfeldzüge zu belohnen und ihn in seiner kriegerischen Expansionspolitik zu ermutigen. Man konnte, ja man musste schon allerspätestens 2017 wissen, dass ein Deal mit Putin wie ein Deal mit dem Teufel wäre. Umso mehr, als die russische Militärmaschine das, was sie heute in der Ukraine exekutiert, zu dieser Zeit bereits in Syrien praktizierte, Wer es heute noch immer nicht wahrhaben will, ist nicht mehr nur ein Appeaser, sondern ein Komplize.

Hier der von Ivanna Klympush-Tsintsadze am 10.2. 2017 in der „Welt“ veröffentlichte und damals von mir aus dem Englischen übersetzte Text:

Für die Ukraine gab es zuletzt überwiegend schlechte Neuigkeiten. Tausende von Zivilisten sahen sich, gefangen zwischen Frost und Artilleriefeuer, Putins wütendem Ansturm ausgesetzt. Es war der schlimmste seit Anfang 2015. Im Kreml reiben sie sich bereits die blutbefleckten Hände in Erwartung einer Neuaufteilung der Welt – und im sicheren Vorgefühl, dass die Ukraine bald ihnen gehören wird. Unterdessen scheint es im Westen viele zu geben, die „alle Optionen“ in Betracht ziehen, um zu einem Deal mit Putin zu kommen.

Seit wann laufen die Dinge so schlecht? Das hat nicht erst letzte Woche oder letztes Jahr angefangen. Teilweise hat es sehr viel früher begonnen, teilweise im Februar 2014, als Russland die Ukraine überfiel. Wir alle erinnern uns an diese Zeit. Die Ukraine flehte Russland an, aufzuhören. Der Westen flehte die Ukraine an, nicht militärisch zu reagieren. Nur Russland flehte niemanden an, sondern tat, was es eben in den letzten Jahren tut: manipulierte, log und – im Endeffekt – besetzte das Land, das ihm nicht gehört.

Wir waren damals wie erstarrt. Die Ukraine brauchte 2014 drei lange Monate – März, April, Mai –, um den Schock zu überwinden und zur Gegenwehr überzugehen. Leider aber scheinen viele im Westen noch immer erstarrt zu sein. Russland mischt sich in eure Wahlen ein, korrumpiert euch, führt euch vor – und ihr fleht es noch immer an.

Ihr appelliert an den guten Willen von jemandem, der eine Gewohnheit daraus gemacht hat, seine Nachbarn zu zerstückeln. Einige von euch glauben wahrscheinlich, dass der Albtraum aufhören wird, wenn ihr Russland gebt, was es verlangt. Ihr könnt bloß nicht herausfinden, was das ist. Na dann, hier kommt die Kurzfassung: In Russland hält man ziemlich wenig von der „Win-win“-Ideologie. Dort ist man von einem überzeugt: Jetzt ist die Zeit für den eigenen Aufstieg – und für den Niedergang des Westens.

Ja, das verstößt gegen die Logik. Aber trifft nun einmal auf Moskaus Bild von der Welt als einem Nullsummenspiel insgesamt zu. Ja, das läuft allem zuwider, was wir in den vergangenen 25 Jahren gelernt haben. Aber wie es scheint, steht das Zurückdrehen der Uhr ganz hoch auf der Prioritätenliste des Kreml.

Macht euch nichts vor – all das ist nicht geschehen, weil Russland euch missverstanden hätte. Es ist geschehen, weil wir alle Russland missverstanden haben. All diese Jahre dachten wir, die Sowjetunion sei tot. Falsch gedacht. Sie hat sich nur umorganisiert und sich auf die Revanche vorbereitet.

„Houston, wir haben ein Problem.“ Und das Problem ist die UdSSR 2.0, ein vom Geheimdienst FSB beherrschter Staat, der zu Dingen fähig ist, von denen die UdSSR 1.0 nicht einmal träumen konnte: in euren Diskurs einzudringen und ihn für sich zurechtzubiegen, eure Werte zu entwerten, eure Eliten zu korrumpieren, euren Zusammenhalt zu zerrütten.

Nein, Russlands Herrscher sind keine großen Denker. Sie sind gewöhnliche Ex-KGB-Funktionäre – allerdings mit unbegrenzten Geldmitteln und ohne jegliche Skrupel. Sie haben keine eigenen großartigen Ideen, aber sind gut darin, die euren zu unterminieren: die EU, die Nato, den Amerikanischen Traum, das Europäische Haus.

Warum also Russland nicht geben, was es will? Nun, zuallererst, weil die Nummer eins auf seiner Wunschliste die Ukraine ist. Und die Ukraine wird da nicht mitmachen. Der Gegensatz könnte nicht größer sein: Die Ukraine will Freiheit – und Putin will die Ukraine an der Leine. Was für ein Deal kann dabei herauskommen, außer einer auf Kosten der legitimen Kerninteressen der Ukraine?

Ein Deal mit Putin könnte einem Deal mit dem Teufel gleichen: Er gibt euch etwas – und ihr gebt dafür das ganze Wertesystem auf. Er gibt euch etwas – und ihr findet euch mit einer neuen Teilung der Welt ab. Er gibt euch etwas – und ihr seht weg, wenn er seine Nachbarn zerstört.

Zehntausende Ukrainer haben ihr Leben nicht dafür hingegeben, dass Putin am Ende doch bekommt, was er will. Wir als freie Nation haben unsere Wahl getroffen. Jetzt müsst ihr im Westen eure treffen. Wenn ihr dazu verführt seid, mit Putin einen Deal auszuhandeln – wir können es nun mal nicht ändern. Aber um Gottes Willen, schließt keinen Handel auf Kosten der Freiheit anderer. Das wäre schäbig, es wäre eine Sünde, die euch für immer verfolgen würde. Die Freiheit kann kein Einsatz im geopolitischen Spiel sein. Die Nato, die EU, die Demokratie, das internationale Recht dürfen nicht zum Verkauf stehen.

Es kann kein ehrliches Abkommen zwischen dem Westen und Russland geben ohne ein ehrliches Abkommen zwischen der Ukraine und Russland. Und ein solches kann nur auf der Wiederherstellung der Souveränität der Ukraine über ihr Territorium beruhen – nicht nach den Bedingungen Russlands, sondern nach denen des internationalen Rechts. Unglücklicherweise sieht es aber nicht danach aus, dass Russland dazu gegenwärtig bereit ist.

Für den Westen wird es Zeit, den Boden zu verteidigen, auf dem er steht. Es ist noch nicht lange her, dass der Westen die ganze Welt als diesen „Boden“ betrachtet hat. Und zwar weil er glaubte, dass Demokratie für alle Menschen essenziell sei. Diese Vorstellung wird jetzt von jemandem angefochten, der nicht viel von Demokratie hält. Er will die Welt neu aufteilen – in diejenigen, die in der Demokratie leben und jene, die auch ohne sie auskommen.

Wenn der Westen dem nachgibt, würde die Uhr in die Zeit vor Ronald Reagan zurückgedreht. Die freie Welt würde kleiner werden. Und kleiner. Und kleiner. Am Ende wäre sie kleiner als die Welt der Tyrannei und weiterhin auf dem Rückzug. Wenn die Freiheit in Syrien stirbt, wenn sie in der Ukraine stirbt, stirbt auch im Westen ein Teil von ihr. Deshalb versucht bitte das scheinbar Unmögliche: in der Zeit der undenkbaren Bewährung stark zu sein. Die Geschichte wird euch danach beurteilen.

Über den Autor

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

2 Kommentare

  • Endlich, möchte ich sagen, sehr geehrter Herr Herziger, eine scharfe Zunge die sich dem „süßen Gift“ Gefühl im politischen Welttheater kenntnisreich entgegen schreibt.
    Sehen und Schreiben und die hören die aus der Nähe wissen „was ist“.
    Nüchterne historisch grundierte Denkangebote versus gefälligkeitsintellektuelle Gefühligkeit .
    Danke, Herr Herzinger
    S.Ecker

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

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