München 1972: Deutschland hätte gewarnt sein müssen

Vor 50 Jahren, fanden in München die Olympischen Sommerspiele statt. Als „heitere Spiele“ deklariert, sollten sie der Welt das Image der Bundesrepublik als weltoffene, zivile und tolerante Gesellschaft vermitteln – und damit einen historischen Kontrapunkt zu Hitlers Olympia 1936 setzen. Bis der palästinensische Terroranschlag auf das Olympiateam Israels in das vermeintliche Idyll einbrach. Doch die Bundesregierung und die deutschen Sicherheitskräfte hätten gewarnt sein müssen. Denn der Terror von München 1972 hatte eine grauenvolle Vorgeschichte, die in München 1970 kulminierte. Eine meisterhafte TV-Dokumentation hat sie aufgedeckt und zeigt, wie sich die offizielle Reaktion auf diese Alarmzeichen in die deutsche Verdrängungsgeschichte einfügt. Hier, in leichter Überarbeitung, mein Text dazu, der erstmals im Juli 2012 in der „Welt“ erschienen ist:

Diese Vorstellung hat sich in das öffentliche Bewusstsein als Topos eingegraben: Der Angriff palästinensischer Terroristen auf die Olympischen Spielen in München 1972, der mit der Ermordung von elf israelischen Sportlern endete, war nicht vorauszusehen. Daher traf er ahnungslose deutsche Behörden völlig unvorbereitet. Gleichsam wie ein Blitz aus heiterem Himmel sprang der Terror der Palästinenser auf deutsches Gebiet über.

Von dieser Legende lässt die atemberaubende, 90-minütige Dokumentation „München 1970. Als der Terror zu uns kam“ von Georg M. Hafner nichts übrig. Denn schon mehr als zwei Jahre zuvor hätten eine Reihe grauenvoller, heute weitgehend vergessener Ereignisse die deutsche Politik und Gesellschaft aufschrecken lassen und im Blick auf die avisierten „heiteren Spiele“ 1972 in höchste Abwehrbereitschaft versetzen müssen. Doch nicht nur wurde es versäumt, aus der manifesten terroristischen Bedrohung die zwingenden politischen und sicherheitstechnischen Schlussfolgerungen zu ziehen. Die damalige sozialliberale Bundesregierung leistete den Ambitionen der Terroristen durch Zurückweichen und Verdrängung der Gefahr sogar Vorschub.

Was München 1972 vorausging

Flughafen München-Riem, 10. Februar 1970: Während eines Zwischenstopps einer Linienmaschine der israelischen EL AL auf dem Flug nach London dringt ein palästinensisches Terrorkommando in den Transitraum ein. Es versucht, die Passagiere an Bord zu treiben, um das Flugzeug nach Libyen zu entführen. Doch der israelische Pilot attackiert die Hijacker und verwickelt sie in einen Kampf. Bevor die Attentäter festgenommen werden können, explodiert eine Handgranate und verletzt den Flugkapitän sowie eine israelische Schauspielerin schwer. Eine zweite Granate, die einer der Entführer in den voll gefüllten Flughafenbus schleudert, tötet einen jungen Israeli, der sich zum Schutz der Mitreisenden auf sie geworfen hat.

Das Terrortrio streitet zunächst alles ab, gesteht schließlich aber doch die Tat und die dahinterstehende Absicht. Aber vor Gericht gestellt werden die Täter nie. Im September 1970 schiebt man sie aus Deutschland ab. Man wolle damit „zur Beruhigung der Situation im arabischen Raum beitragen“, begründet die Bundesregierung diese faktische Kapitulation vor dem Terror. Einige Tage nach dem Anschlag will ein weiteres dreiköpfiges Terrorkommando, von München-Riem aus ein Flugzeug zu entführen, wird aber rechtzeitig entdeckt. Auch diese Täter werden eilends ausgewiesen und kommen so ungeschoren davon. Am 21. Februar kommt es dann zu einer weiteren, noch viel schlimmeren Tragödie. In einer Maschine der Swiss Air auf dem Flug von Zürich nach Tel Aviv explodiert eine von einem palästinensischen Terrorkommando platzierte Zeitzünderbombe. Keiner der Insassen – 38 Passagiere und 9 Besatzungsmitglieder – überlebt den folgenden Absturz, sie werden regelrecht zerfetzt. Die Täter, die ihre Vorbereitungen von Frankfurt am Main und München aus trafen, sind bald dingfest gemacht. Der Haupttäter hat sich freilich bereits vor der Explosion nach Jordanien abgesetzt – einen ernsthaften Versuch, seine Auslieferung zu erwirken, gibt es weder von Schweizer noch von deutscher Seite. Zwei Komplizen werden bald ausfindig gemacht, aber ebenfalls einfach aus Deutschland abgeschoben.

In der Swissair-Katastrophe verknüpfen sich die historischen Recherchen des Autors Georg M. Hafner eng mit einer ganz persönlichen, lebensgeschichtlichen Spurensuche. Eines der Opfer, die in der Maschine starben, war Rudolf Crisolli, ein renommierter Auslands- und Kriegsreporter des ZDF. Und: Crisolli ist Hafners Onkel. Über Jahrzehnte hinweg wird sein Tod in der Familie wie ein abstrakter, unergründlicher Schicksalsschlag beschwiegen. Auch der Autor selbst zeigt lange Zeit kein Interesse, sich näher mit den Hintergründen zu beschäftigen. Denn der Blick in die Zeit, da der palästinensische Terror nach Deutschland kam, hält für Hafner schmerzliche Einsichten in die eigene Biografie bereit. Sind doch Teile der deutschen radikalen Linken, der er sich in den 70er Jahren zugehörig fühlte, tief in die frühen Mordaktionen der PLO und ihres verästelten Terrornetzwerks gegen Israelund die Juden verstrickt.

Linke gegen „Judenknax“

Es ist die Zeit, da die Linkradikalen den „Zionismus“ zum bevorzugten „imperialistischen“ Feindbild erkoren haben, und Israels Außenminister Abba Ebban bei einem Vortrag in der Frankfurter Universität von linken Agitatoren niedergebrüllt wird. Das Auswärtige Amt empfiehlt dem Israeli daraufhin, auf weitere Auftritte zu verzichten. Einige der jungdeutschen Revolutionäre wollen es nicht bei verbaler Gewalt belassen, sondern ihre durch die NS-Vergangenheit bedingte Beißhemmung gegen das jüdische Volk, ihren „Judenknax“, im aktiven Kampf gegen Israel überwinden. So formulirte es allen voran Dieter Kunzelmann, bekannt geworden als Chefideologe der Berliner Kommune 1.

Im Sommer 1969 bricht eine Gruppe um Kunzelmann auf, um sich in einem Ausbildungslager der PLO in Jordanien mit dem authentischen revolutionären Kampf vertraut zu machen. „Wir werden unseren simplen Philosemitismus ersetzen durch eindeutige Solidarität mit der Al Fatah“, verkündet der Guru seinen Jüngern. Der dreimonatige Trip ist kein harmloser Abenteuerurlaub, Kunzelmann lernt in Jordanien den Bau von Zeitzünderbomben und trifft mehrmals Faruk Kaddoumi, damals ein hohes Tier bei der PLO, heute Unterstützer der Hamas. Kaddoumis Bruder Sufian wird wenig später das Bombenpaket aufgeben, das Hafners Onkel den Tod brachte.

Was wussten Kunzelmann und seine Reisegesellschaft von den bevorstehenden Terroraktivitäten der Palästinenser in Deutschland? Wie weit waren sie selbst durch informelle und logistische Zuarbeit für ihre palästinensischen Vorbilder und Gönner daran beteiligt? Nach ihrer Rückkehr verlieren Kunzelmann und Genossen jedenfalls keine Zeit, ihrer „antizionistischen“ Gesinnung“ tatkräftig Ausdruck zu verleihen. Am 9. November 1969, dem Tag der Reichspogromnacht, deponiert ein Mitglied der von Kunzelmann ins Leben gerufenen „Tupamaros Westberlin“ einen Brandsatz im Berliner Jüdischen Gemeindezentrum. Ein „Tupamaro“-Ableger um den vermeintlichen „Spaßguerillero“ Fritz Teufel und die spätere RAF-Terroristin Irmgard Möller trieb mittlerweile in München sein brandstifterisches Unwesen.

Kalkül des Terrors

Drei Tage nach dem Anschlag in München-Riem und eine gute Woche vor dem Absturz der Swissair-Maschine geht das Münchner Jüdische Gemeindezentrum, das ein jüdisches Altersheim beherbergt, in Flammen auf. Sieben Menschen ersticken oder verbrennen bei lebendigem Leib. Die Brandstifter konnten bis heute nicht ermittelt werden. Doch erdrückende Indizien sprechen dafür, dass linke Gewalttäter aus dem Umkreis der „Tupamaros“ die Täter waren. Kann es sein, dass deutsche Linke 25 Jahre nach dem Holocaust nicht davor zurückschreckten, wehrlose alte Menschen, Überlebende des NS-Judenmords, umzubringen? Georg M. Hafner hat sich lange gegen diesen Gedanken gesträubt. Doch was hatte der Linksterrorist Georg von Rauch, der bald zur ersten Märtyrergestalt der RAF avancieren sollte, nach seiner Rückkehr aus dem jordanischen Ausbildungslager verkündet? „Das Humansein müssen wir einfach liquidieren.“

So wird Hafners Untersuchung der Vorgeschichte von München 1972 auch eine Erkundung eigener langjähriger Verdrängung. Dass der deutsche Terrorismus seine Initiation durch aktive Beihilfe zum Judenmord erführ, zertrümmert die Reste des Mythos, er sei ursprünglich so etwas wie eine überzogene Reaktion auf wirkliche gesellschaftliche Missstände gewesen. Während die Linke die palästinensischen Gewaltmenschen zur „Befreiungskämpfern“ verklärte, versuchte sich die deutsche Regierung durch Nachgiebigkeit und Beschwichtigung aus der Schusslinie zu ziehen. Internationale Fluglinien zahlten indessen Schutzgelder an palästinensische Terrororganisationen, um von Anschlägen und Entführungen verschont zu werden.

So ging das Kalkül der PLO-Terrorfürsten auf: Je ruchloser ihre Gewaltakte wurden, desto mehr Legitimation wurde ihren Anliegen zugestanden, umso mehr hofierte sie die freien Welt. Die Warnzeichen für München 1972 aber waren bereits überdeutlich. Offen hatte Issam Sartawi, Drahtzieher des Anschlags von München-Riem, Westdeutschland danach zum „feindlichen Gebiet“ erklärt und „unsere Bomben“ zynisch zu „Visitenkarten“ erklärt, die Deutschland zum „Dialog“ mit den Palästinensern zwingen sollten. Die Vorfreude auf die „heiteren Spiele“ von München wollte man sich hierzulande von all dem aber nicht vermiesen lassen.

Über den Autor

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

1 Kommentar

  • Ein hervorragender Artikel. Danke.
    Ich wusste von der Zussmmenarbeit der RAF mit der PLO. Auch in der DDR hatten beide Trainingslager. Dich der politische Hintergrund war mir nicht so bekannt. Und an diesem beschämenden Verhalten der deutschen Regierung hat sich bis heute nichts geändert.
    Joschka Fischer hat als Außenminister schon gewarnt Palästinenser für ihre Terroridrologie bedingungslos Geld zu geben. Auch da hat sich nichts geändert. Leider.

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

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