Iran und Russland: Die Symbiose des Verbrechens

Die Aufstandsbewegung im Iran, die auf weite Teile der Gesellschaft einschließlich der ethnischen Minderheiten der „Islamischen Republik“ übergesprungen ist, hat das totalitäre iranische Regime heftig erschüttert. In erster Linie die iranischen Frauen stellen sich dabei mit enormem Mut und unbeugsamer Entschlossenheit dem Repressionsapparat der Mullah-Diktatur entgegen. Sie fordern ihr elementares Recht ein, als gleichwertige menschliche Wesen anerkannt statt von den Machthabern, ihrer perversen archaischen Ideologie gemäß, weiterhin als Menschen zweiter Klasse gehalten zu werden.

Vor zu großen Hoffnungen auf einen baldigen Kollaps des islamistischen Unterdrückungssystems sollte man sich dennoch hüten. Zu geübt ist das Regime darin, selbst breiteste, im Iran seit Jahrzehnten immer wieder aufbrandende Massenproteste mit äußerster Brutaltät niederzuschlagen. Es ist damit zu rechnen, dass es ihm auch dieses Mal wieder gelingen wird, die Proteste – fürs Erste – zu ersticken.

Doch in jedem Fall hat die Eruption des Widerstands im Iran ein eindrucksvolles historisches Zeichen gesetzt. Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass sie mit den Erfolgen der Ukraine in ihrem Verteidigungskrieg gegen die völkermörderische russische Invasionsarmee zusammenfällt. Denn die freie Ukraine und die Freiheitsbewegung im Iran sind auf schicksalhafte Weise miteinander verbunden. Widersetzen sie sich doch dem Allmachtsanspruch zweier Systeme, die zunehmend zu einem von grenzenloser verbrecherischer Energie angetriebenen Konglomerat verwachsen.

Angleichung der Regime

Gemeinsam haben Russland und die Islamische Republik bereits Syrien verwüstet und entvölkert, und in der Ukraine wendet Putins Mörderarmee dieselben genozidalen Praktiken an. Werden diese Regime nicht rechtzeitig zum Einsturz gebracht, werden sie ihre gesamte jeweilige Region und schließlich die ganzen Welt mit Tod und Zerstörung überziehen. Dem ukrainischen Volk und den freiheitsliebenden Iranerinnen und Iraner wächst somit eine gemeinsame epochale Aufgabe im Namen der gesamten zivilisierten Menschheit zu: diesen ruchlosen Regimen, die das enthemmte Verbrechen zum weltweit herrschenden Prinzip erheben wollen, entscheidende Schläge zu versetzen, bevor es zu spät ist. Dabei ist klar, dass jeder Erfolg des einen Regimes ein Erfolg des anderen ist – andererseits aber auch jede Schwächung des einen eine Schwächung des anderen bedeutet.

Spätestens mit dem Beginn des russischen Vernichtungskriegs gegen die Ukraine hat sich das strategische Bündnis zwischen Moskau und Teheran zu einer symbiotischen Beziehung verdichtet. Deren Kern ist ein absoluter Wille zur Auslöschung all dessen, was den modernen, aus der Aufklärung hervorgegangenen Begriff der Menschenwürde ausmacht. Das putinistische Regime hat sich den terroristischen Strukturen der iranischen Theokratie immer weiter angeglichen. Beide Despotien lernen voneinander bei der Anwendung grausamster Methoden der Kriegsführung nach Außen und der gewaltsamen gesellschaftlichen Gleichschaltung im Inneren. Putins Russland hat die Islamische Republik über viele Jahre geschützt und gedeckt. Es hat sie, militärisch wie auf geheimdienstlichen Gebiet, aufgerüstet und damit maßgeblich ihren terroristischen Expansionismus in der Region ermöglicht – von Syrien bis Jemen, vom Libanon bis zum Irak. Im Gegenzug liefert jetzt Iran Moskau Waffen für seinen Mordfeldzug in der Ukraine und ist dem Alliierten mit seinem Wissen über Wege behilflich, wie man westliche Sanktionen umgeht.

Ungeachtet der Unterschiede in ihren ideologischen Begründungen speisen sich beide Regime aus einem apokalyptischen Wahnsystem, demzufolge ihnen die „Mission“ aufgetragen ist, die Welt von westlicher „Dekadenz“ zu „erlösen“ – wofür sie die Auslöschung der gesamten real existierenden Menschheit in Kauf nehmen würden. Putin droht unverhohlen mit dem Atomkrieg, und auch wenn sehrvieles dagegen spricht, kann niemand voraussehen, ob und wann er diese Drohung tatsächlich wahr macht. Das iranische Regime könnte seinerseits schon sehr bald im Besitz von Nuklearwaffen sein – und dann in Sachen atomarer Erpressung dem russischen Vorbild folgen.

Die zunehmende Angleichung von iranischem Islamismus und dem Putinismus wird auch in der verstärkten „antikolonialistischen“ und „antiimperialistischen“ Rhetorik des russischen Führers deutlich. Dass sich ausgerechnet Putin, der imperialistische Landräuber und Propagandist der Wiederherstellung des russischen Imperiums, das historisch auf brutaler Kolonisierung bis hin zum Ethnozid beruht, als Speerspitze einer neuen „antikolonialen Bewegung“ anzupreisen wagt, kann indes nicht wirklich überraschen. „Schließlich“, schreibt Peter Dickinson vom Atlantic Council treffend, „verwandelt er Russland seit Jahren in einen faschistischen Staat, während er sich als Antifaschist präsentiert. Warum nicht auch als Anti-Imperialist posieren, während man mit nackter imperialer Aggression beschäftigt ist?“

Ungläubige Experten

Die Realität hinter all diesen Posen sieht so aus: Beide Machtapparate, der iranische wie der russische, werden von Strukturen organisierter Kriminalität gelenkt, denen es gelungen ist, sich den Staatsappparat ihres jeweiligen Landes anzueignen, und die in diesem Gewand der Staatlichkeit als legitime Mitglieder der internationalen Gemeinschaft auftreten können. Doch in Wahrheit sind sie die Antipoden der auf dem internationalem Recht beruhenden globalen Ordnung, die sie mit allen Mitteln beseitigen wollen, um für die grenzenlose Entfaltung ihrer kriminellen Machenschaften freie Bahn zu haben. Zusammen mit anderen Horrordiktaturen wie denen Syriens und des nuklear bewaffneten Nordkorea bilden sie eine erneuerte, in ihrem Zerstörungspotenzial multiplizierte Achse des Bösen.

Doch über viele Jahre hinweg haben Entscheidungsträger und Politikanalysten im Westen die Gefahr systematisch unterschätzt und heruntergespielt, die der iranisch-russische Schulterschluss für den Weltfrieden bedeutet. Beharrlich klammerte man sich an die Vorstellung von Russland als einem „Vermittler“ zwischen westlichen Interessen und iranischen Ambitionen – statt zu erkennen, dass der Kreml in Wahrheit als Hauptkomplize Teherans agierte. Partout wollten zahlreiche Experten daran glauben, dass es sich bei dieser Allianz nur um ein punktuelles Zweckbündnis handele, das angesichts der weltanschaulichen Unterschiede und geopolitischen Interessensgegensätze dieser beiden vermeintlich ungleichen Partner nicht lange halten könne. Sie konnten oder wollten nicht erkennen, dass der gemeinsame Hass gegen die liberalen Demokratien und ihr gemeinsames oberstes Ziel, den Westen zu zerstören, in den Augen beider Regime solche „konventionellen“ Differenzen weit in den Hintergrund treten lassen.

Dabei war das ganze Ausmaß der Bedrohung, das von der immer straffer werdenden Achse Moskau-Teheran ausgeht, seit langer Zeit offensichtlich. Wie ich etwa bereits im Januar 2016, kurz nachdem Russland durch seine offene Militärintervention in Syrien zum Kriegsalliierten des Iran im Ausrottungskrieg gegen große Teile der syrischen Bevölkerung geworden war, (hier) feststellte: „Nur die wenigsten westlichen Politiker und Experten wollen wahrhaben, dass sich zwischen Putins Russland und dem Mullah-Regime eine strategische Achse verfestigt, deren Ziel es ist, den westlichen Einfluss im Nahen Osten zu brechen – durch einen Mix aus offener Gewaltanwendung, politisch-militärischer Erpressung sowie Irreführung durch Vortäuschen von Kooperationsbereitschaft bei der Antiterrorbekämpfung und der Stabilisierung der Region. Viele Analysten klammern sich gleichwohl an die Vorstellung, die unterschiedlichen Interessen Moskaus und Teherans würden deren temporäre Allianz schon bald wieder auseinanderbrechen lassen. Indem er die wohldurchdachten strategischen Absichten der russisch-iranischen Achse ignoriert, begibt sich der Westen indes in immer tiefere Abhängigkeit von den Schachzügen dieser neuen Machtphalanx.“

Verfehlter Atomdeal mit Iran

Das auf verheerende Weise verfehlte Atomabkommen von 2015 und die damit verbundenen Aufhebung von Sanktionen haben dem iranischen Regime einen enormen Zuwachs an Ressourcen beschert, die es nicht etwa zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage des Landes, und schon gar nicht zu einer „Liberalisierung“ der gesellschaftliche Verhältnisse, sondern zum massiven Ausbau seines Militär- und Repressionsapparats sowie zur verstärkten Aufrüstung seiner Stellvertretertruppen in der Region, allen voran der libanesischen Hisbollah, verwendet hat.

Ungeachtet dessen haben die Europäer, und insbesondere Deutschland, gegenüber der Islamischen Republik an eben jener Politik der Beschönigung und der Leisetrerei festgehalten, die sie auch gegenüber Russland betrieben haben. Und es sieht nicht danach aus, dass sich Berlin von dieser Politik vollständig verabschieden will. Erst nach längerem Zögern hat sich Außenministerin Baerbock zu einer klaren Verurteilung der Gewalt des Regimes und einem expliziten Bekenntnis zum iranischen Freiheitskampf durchgerungen – um im selben Atemzug jedoch bedauernd auf die „begrenzten“ Möglichkeiten der deutschen Außenpolitik hinzuweisen.

Statt sich erneut auf einen faulen Atomdeal mit dem iranischen Regime einzulassen und sich weiterhin fatalen Illusionen in dessen Reformierbarkeit und Kooperationsfähigkeit hinzugeben, muss der Westen – und namentlich Europa – seine Strafmaßnahmen gegen die Machthaber in Teheran jetzt massiv verschärfen. Mit dem verbrecherischen iranischen Herrschaftssystem kann es ebensowenig verlässliche Abkommen oder gar eine „Sicherheitspartnerschaft“ geben wie mit seinem russischen Zwilling. Da sich nun endgültig die unauflösliche Verbindung zwischen den Despotien in Moskau und Teheran erwiesen hat, kann es gegenüber beiden Regimen nur noch eine einheitliche Strategie geben: Sie mit allen zur Verfügung stehenden – politischen, wirtschaftlichen und militärischen – Mitteln zu isolieren und einzudämmen.

APPENDIX: Israels Russland-Problem

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat auch für die Machtkonstellationen im Nahen Osten dramatische Konsequenzen. In diesem Text, der am 15.8. 2022 im Perlentaucher und zuvor auf Ukrainisch hier erschienen ist, habe ich diskutiert, vor welches grundlegendes strategisches Problem dabei speziell Israel gestellt wird.

Russland wird für Israel zunehmend zu einem gravierenden sicherheitspolitischen Problem. Mit russischer Duldung konnte der jüdische Staat bisher in Syrien Luftangriffe auf Stellungen des Iran und der von ihm gesteuerten libanesischen Hisbollah fliegen, um sie daran zu hindern, sich an der israelischen Grenze festzusetzen. Doch diese Übereinkunft mit Moskau ist vor dem Hintergrund von Putins Vernichtungskrieg gegen die Ukraine brüchig geworden.

Die israelische Sicherheitspolitik, die sonst dafür bekannt ist, die Interessen, Absichten und verborgenen Motive weltpolitischer Akteure sehr realistisch einzuschätzen, hat sich in Bezug auf Putins Russland lange Zeit Illusionen hingegeben. Die Allianz des Kreml mit dem Iran, der die Vernichtung Israels zu seinem Staatsziel erhoben hat, schätzten maßgebliche israelische Strategiefachleute als ein nur temporäres Zweckbündnis ein. Ungeachtet der gemeinsamen Kriegsführung Moskaus und Teherans in Syrien erhofften sie sich deshalb von Russland Unterstützung bei der Eindämmung des iranischen Regimes. Manche Experten glaubten sogar, Russland werde nach der Sicherung der Herrschaft Assads den Iran dazu nötigen, seine militärische Präsenz in Syrien aufzugeben.

Doch das hat sich als schwerwiegende Fehleinschätzung erwiesen. Im Zuge der Radikalisierung seines antiwestlichen Kurses hat das Putin-Regime seine Beziehungen zum iranischen Regime im Gegenteil  immer mehr gefestigt. Im Zeichen des russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine werden sie nun sogar noch erheblich enger. Angesichts der drohenden internationalen Isolation infolge der westlichen Sanktionen baut Russland seine Beziehungen zu Terrorstaaten wie Iran, Syrien und Nordkorea systematisch aus. Dies impliziert eine noch intensivere militärische Zusammenarbeit Moskaus mit Teheran. Je aggressiver aber der Iran sowie seine Stellvertretertruppen in Gaza und dem Libanon gegen Israel agieren, desto größer wird dementsprechend die Gefahr, dass sich an ihrer Seite auch Russland offen gegen den jüdischen Staat wenden könnte.

Israel befindet sich gegenüber Putins Russland nunmehr in einer strategischen Sackgasse. Um den Modus Vivendi mit dem Kreml nicht zu gefährden, hat es ihm erhebliche weltpolitische Konzessionen gemacht. So hat es 2014 die Annexion der Krim nicht verurteilt, beteiligt sich nicht an den nach der russischen Großinvasion vom 24. Februar verhängten westlichen Sanktionen und liefert der Ukraine keine Waffen. Doch alleine dadurch, dass Israel der UN-Resolution zur Verurteilung des russischen Angriffskrieg zugestimmt hat und sich in vielfältiger Weise mit der Ukraine solidarisch zeigt, hat es das Putin-Regime gegen sich aufgebracht. Insbesondere die scharfe Verurteilung der russischen Kriegsverbrechen in Butscha… Hier weiterlesen: Richard Herzinger – Richard Herzinger über die sich verschlechternden israelisch-russischen Beziehungen – Intervention – Perlentaucher

Über den Autor

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

von Richard Herzinger

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

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