Afghanistan wird den Taliban in die Hände verhandelt

Der Auftakt der Friedensgespräche zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban in Doha hat bestätigt, was davon zu befürchten ist: Dass sie nur als Alibi dienen für die faktische Kapitulation des Westens vor den Islamisten und damit für die Preisgabe der afghanischen Zivilgesellschaft und ihrer demokratischen Errungenschaften an deren totalitäre Willkür.

Während der Vorsitzende des „Hohen Rats für nationale Versöhnung“ für die Regierungsseite zu einer dauerhaften „humanitären Waffenruhe“ aufrief, ignorierte der Vertreter der Taliban diese Forderung und betonte statt dessen als deren eigene Bedingungen, dass Afghanistan ein – ihren Vorstellungen gemäßes – „islamisches System“ haben müsse und die USA, gemäß ihrem Abkommen mit den Islamisten vom Februar dieses Jahres, ihren Truppenabzug bis Mai 2021 abzuschließen hätten.

Es spricht alles dafür, dass US-Präsident Trump ihnen diesen Wunsch erfüllen wird. Kürzlich erst hat er angekündigt, das amerikanische Truppenkontingent „in sehr kurzer Zeit“ von jetzt 8600 auf nur noch 4000 Soldaten zu reduzieren. Und das, obwohl die von den Taliban verübte terroristische Gewalt nicht nachgelassen hat. Trump ist das offensichtlich gleichgültig, denn ihm kommt es darauf an, im Wahlkampf mit der vermeintlichen Einlösung seines Versprechens punkten zu können, Amerikas „endlose Kriege“ beendet zu haben.

Von den Europäern hat er für diesen Verrat an den Afghanen das stille Plazet. Hatten sie das Land doch schon längst im Stich gelassen und die verbleibende Schmutzarbeit den USA überlassen. Wenn es um den Rückzug des Westens geht, ziehen die Europäer mit dem ungeliebten US-Präsidenten ausnahmsweise gerne an einem Strang.

Der vollständige Abzug der US-Truppen ist das prioritäre strategische Ziel der Taliban, und seine Realisierung wäre für sie der entscheidende Etappensieg auf dem Weg zu ihrer Machtergreifung. Die schwache, von Clanrivalitäten und Korruption gezeichnete afghanische Regierung und ihre von den Taliban unterwanderten Sicherheitskräfte werden auf sich allein gestellt nicht in der Lage sein, ihnen standzuhalten.

Reminiszenz an Vietnam

Parallelen drängen sich auf zum „Friedensvertrag“, den die USA Anfang 1973 mit Nordvietnam schlossen, und der eine Machtteilung zwischen der Regierung in Saigon und den Vietcong vorsah.

Es dauerte nur gut zwei Jahre, bis die kommunistischen Truppen das gesamte Land erobert hatten und ihre Diktatur errichteten. Die Folge war die Fluchtbewegung von 1,5 Millionen Boatpeople, die auf maroden Untersätzen über das offene Meer zu entkommen versuchten – und lieber dort sterben wollten, als der Willkür des kommunistischen Totalitarismus ausgeliefert zu sein.

Auch damals wollten die USA um nahezu jeden Preis, aber dennoch irgendwie gesichtswahrend aus einem anscheinend aussichtslosen Krieg aussteigen. Für das Friedensabkommen erhielt Außenminister Henry Kissinger gemeinsam mit seinem vietnamesischen Amtskollegen sogar noch den Friedensnobelpreis. Es ist kein Geheimnis, dass Donald Trump diesen auch allzu gern einheimsen würden. Dass sein verhasster Vorgänger Barack Obama ihn – ohne noch irgendetwas geleistet zu haben – verliehen bekommen hat, er selbst aber leer ausgehen könnte, dürfte am Ego dieses manischen Narzissten nagen.

Die unwürdigen Bilder von der überstürzten Flucht der letzten verbliebenen US-Soldaten vom Dach der US-Botschaft in Saigon 1975 machten damals allerdings klar: die USA hatten nicht nur den Krieg ebenso wie den Frieden verloren, sondern auch ihr Gesicht.

Über den Autor

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

1 Kommentar

  • Danke für diesen Artikel. Es ist erfrischend, was für Parallelen Sie ziehen und eine Bereicherung, in welchem Zusammenhang dadurch aktuelle Geschehnisse gesehen werden können.

von Richard Herzinger

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

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