In Afghanistan kapituliert der Westen vor dem islamistischen Totalitarismus, im Libanon erntet er einmal mehr die Früchte seines Zurückweichens vor der Gewalt, unter Trumps Herrschaft zerstören die USA ihre eigenen Werte – gibt es überhaupt noch so etwas wie den freien Westen? Ja, seine Idee lebt fort in der beharrlichen Auflehnung unerschrockener Bürger gegen Autokratie und kleptokratische Strukturen – von Beirut bis Minsk. Aktuelle Entwicklungen, kurz beleuchtet:
KAMPF UM BELARUS: Ungeachtet seines von vorneherein feststehenden „Wahlsiegs“ ist die Herrschaft von Diktator Lukaschenka tiefer erschüttert denn je. Eine zunehmend breite und selbstbewusste zivile Oppositionsbewegung (mit Frauen an vorderster Front), die sich den Euromaidan in der Ukraine zum Vorbild nimmt, bringt das bröckelnde Machtgebäude des Autokraten ernsthaft ins Wanken. Der weiß sich ihr nicht anders zu erwehren als mittels ebenso willkürlicher wie von wachsender Panik zeugender Repression.
Doch damit wird er die Freiheitsbewegung kaum mehr zum Schweigen bringen können. Dass die Wahlfälschung mit den verkündeten 80 Prozent für Lukaschenka derartig dreist ausgefallen ist, wird den Widerstand gegen den Autokraten nur noch weiter befeuern. Die sich verschärfenden Auseinandersetzungen könnten indes von Putins Russland genutzt werden, um Belarus gänzlich unter seine Kontrolle bringen – was ihm mit Lukaschenka, der sich zum Beispiel einer russischen militärischen Präsenz in Belarus widersetzt und die Annexion der Krim nicht anerkennt, bisher nicht gelungen ist. So könnte der Kreml die Konfrontation zwischen Staatsmacht und Zivilgesellschaft und die daraus folgende Instabilität mittels gezielter Provokationen in blutige Dimensionen zu steigern versuchen, um sich dann qua militärischer Intervention als Retter und Garant von „Ruhe und Ordnung“ zu präsentieren. Durchführen wird er sie vermutlich nach bewährtem Muster mittels (absichtsvoll nur schlecht) verdeckter Operationen.
Die EU müsste dem Kreml jetzt unzweideutig klar machen, dass er für jegliche Aggression in Belarus einen hohen Preis zu zahlen hat, und sich zugleich konsequent an die Seite der zivilgesellschaftlichen Opposition stellen, indem sie Lukaschenkas Regime mit empfindlichen Sanktionen belegt. Nun ja, „müsste“ – zugegeben: angesichts des Zustands der EU klingt dies doch sehr nach Wunschdenken.
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VERRAT AM HINDUKUSCH: Die Freilassung von 400 als besonders gefährlich eingestuften Taliban-Terroristen, der die große Ratsversammlung Afghanistans jetzt den Weg frei gemacht hat, besiegelt die faktische Kapitulation vor den totalitären Islamisten. Die bomben und morden unterdessen unvermindert weiter – gemäß ihrem Abkommen mit Trumps US-Regierung vom Februar dieses Jahres, das ihnen faktisch freie Bahn gegeben hat, solange sie die abzugsbereiten US-Truppen nicht mehr angreifen und unverbindliche Lippenbekenntnisse zu Verhandlungen mit der Kabuler Regierung abgeben (siehe dazu meine Analyse vom Frühjahr: hier. ) Doch selbst wenn sich die Taliban nach der Erfüllung ihrer erpresserischen Vorbedingung, dass terroristische Mörder wieder auf die Menschheit losgelassen werden, nunmehr tatsächlich auf „Versöhnungsgespräche“ mit der Regierung einlassen sollten, werden sie diese allenfalls als taktisches Manöver auf dem Weg zur vollständigen Machtergreifung nutzen. Ein „Frieden“ mit dem Taliban auf der der Basis einer „Machtteilung“, in der die Achtung elementarer Menschen- und vor allem Frauenrechte garantiert ist, liegt angesichts von deren unveränderter totalitär-islamistischen Ideologie sowie der realen Kräfteverhältnisse außerhalb des Denkbaren. Anderslautende Behauptungen sind nichts als beschönigende Augenwischerei, durch die der Westen seinen Verrat an der afghanischen Gesellschaft und ihren freiheitlichen Errungenschaften zu bemänteln versucht. Dabei haben die europäischen Regierungen übrigens keinen Anlasse, sich über die Preisgabe Afghanistans durch Trump zu beklagen. Sie haben das Land nämlich schon lange vor ihm im Stich gelassen.
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EXPLOSIONSHERD:: Was steckt hinter der verheerenden Detonation in Beirut? Unabhängig von den Ergebnissen einer genauen Untersuchung der Ursache dieser Katastrophe – die von der libanesischen Regierung indes torpediert wird – , zeigt der Absturz des Libanon in Elend und Chaos einmal mehr, wohin der Rückzug des Westens aus der Verantwortung für die globale Stabilität und die Durchsetzung des internationalen Rechts führt. Im Libanon hat man dem Iran und seiner terroristischen Stellvertretertruppe Hisbollah jahrzehntelang erlaubt, sich im Zusammenspiel mit korrupten lokalen Eliten das Land zur Beute zu machen – und es in ein waffenstarrendes militärisches Aufmarschgebiet gegen Israel zu verwandeln. Erinnert sich noch irgendjemand an die erweiterte UN-Mission im Libanon (UNIFIL) von 2006, die nicht zuletzt eine weitere Aufrüstung der Hisbollah unterbinden sollte? Deren Waffenarsenale dürften sich seitdem stattdessen um das Zig-, wenn nicht Hundertfache vergrößert haben. Der Krieg in Syrien, dem der Westen weitgehend tatenlos zugesehen hat und in dem sich die Hisbollah an der Seite Irans und Russlands zu einer kampferprobten Armee – einer der stärksten in der Region – mausern konnte, hat seine zerstörerischen Auswirkungen auch auf den Libanon nicht verfehlt. Und das nicht nur, weil das knapp sieben Millionen Einwohner zählende Land über eine Million syrische Flüchtlinge aufnehmen musste. Der entschlossene Kampf gegen die herrschenden kleptokratischen Strukturen in diesem zugrunde gerichteten Land, wie ihn Frankreichs Präsident Macron in Übereinstimmung mit dem zivilgesellschaftlichen Protest im Libanon fordert, ist gewiss eine unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass es wieder auf die Beine kommt. Doch wird das zu nichts führen, so lange der Kern des Problems nicht angegangen wird: Der Libanon muss aus dem Würgegriff der Islamischen Republik Iran (sowie des mit ihr verbündeten Assad-Regimes) und der Hisbollah befreit werden. UN-Generalsekretär Guterres hat Ende vergangenen Jahres die Entwaffnung der Schiiten-Miliz gefordert. Wer hat den Willen und die Kraft, das in die Realität umzusetzen?
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STEILVORLAGE FÜR TRUMP: Die Erklärung des Büros des Koordinators der US-Geheimdienste (DNI) vom vergangenen Freitag ist ein Paradebeispiel dafür, wie man mit der Benennung einer eminenten Bedrohung diese im gleichen Atemzug relativieren, wenn nicht ins Gegenteil verkehren kann. Zwar warnen die US-Geheimdienste vor der russischen Einflussnahme auf die US-Wahl zugunsten Trumps, doch stellen sie diese erstrangige Gefahr für die nationale Sicherheit der USA auf eine Ebene mit den angeblichen Beeinflussungsversuchen Chinas und Irans zum Vorteil seines Herausforderers Joe Biden.
Nun kann man mit Sicherheit davon ausgehen, dass die Geheimdienst- und Propagandaapparate Pekings und Teherans keine Engel sind und ihnen jede Schandtat zuzutrauen ist. Doch nirgends sind irgendwelche Belege für Operationen dieser Mächte dokumentiert, die an Intensität und Effektivität auch nur annähernd an den systematischen Angriff des Kreml auf die Institutionen und die politische Kultur der US-Demokratie zwecks ihrer Unterminierung und Destabilisierung heranreichen, wie er spätestens durch den Mueller-Report detailliert belegt ist. Mit dem Hinweis, dass China und Iran ja auch derartiges beabsichtigten, spielen die US-Geheimdienste die akute Informationskriegsoffensive Moskaus zu einem von vielen Beeinflussungsversuchen von außen herunter und geben ihrem Präsidenten damit eine Steilvorlage – auch wenn, wie manche Kommentatoren einwerfen, die DNI-Erklärung das stärkste Augenmerk auf die russischen Machenschaften legt.
Denn Trump kann nun jeden Hinweis auf seine Kreml-Connection damit abtun, dass sein Gegenkandidat ja auch fremde Mächte auf seiner Seite habe – bei denen es sich zufälligerweise auch noch um Trumps Lieblingsfeindbilder handelt -, und er rein gar nichts dafür könne, sollten sich die Russen ausgerechnet für ihn stark machen (was er im übrigen weiterhin vehement bestreitet). Dabei beruht die Behauptung – oder soll man besser sagen: das Gerücht -, China und Iran wollten Biden begünstigen, auf einer weiteren irreführenden Gleichsetzung beziehungsweise Auslassung. Sie abstrahiert nämlich von den ebenfalls erwiesenen engen, zumindest undurchsichtigen Beziehungen Trumps und seines Teams zum Kreml, während derartiges von Biden in Bezug auf China und den Iran nicht bekannt ist. Gegenüber China steht der Kandidat der Demokraten vielmehr sogar für eine harte Linie, während Trump sich immer wieder als Lautsprecher Putinscher Propaganda betätigt – um von seinen rechtsradikalen und radikalnationalistischen Unterstützern, die sich ideologisch offen auf einer Linie mit den russischen Desinformationsapparaten befinden, gar nicht zu reden.
Die eigentliche Bedrohung für die nationale Sicherheit der USA sind also gar nicht die russischen Destabilisierungsoperationen, es ist vielmehr Trump selbst, der diese mit allen Mitteln zu verschleiern versucht. Wer das nicht klar und deutlich ausspricht, spielt Moskaus Mann im Weißen Haus in die Karten.
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HIROSHIMA IST NICHT GLEICH AUSCHWITZ: Vergangene Woche jährte sich zum 75. Mal der Atombombenabwurf auf Hiroshima. Bei der Erinnerung an dieses grauenvolle Ereignis kommt es aber leider immer wieder zu unzulässigen Gleichsetzungen. Doch an dem grundsätzlichen politischen wie moralischen Unterschied zwischen Auschwitz und Hiroshima festzuhalten, ist unerlässlich. Dient es doch nicht der Einteilung der verschiedenen Opfer, sondern der verschiedenen Täter und ihrer Absichten. Wer sich dieser Mühe nicht unterzieht, ebnet der Nivellierung der wirklich schlimmsten Verbrechen den Weg. Lesen Sie dazu meinen Beitrag in der Reihe „Intervention“ im Online-Kulturmagazin Perlentaucher. (Zuerst erschienen ist der Text in ukrainischer Übersetzung als Kolumne in Український Тиждень („Ukrainische Woche“; tyzhden.ua).