Die Grünen müssen in der Sicherheitspolitik dazulernen

Die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ist das Angriffsziel massiver Desinformations- und Diskreditierungsoperationen des Kreml (s. auch hier). Denn als einzige Anwärterin auf das höchste Regierungsamt lehnt sie, und mit ihr ihre Partei, die russisch-deutsche Gaspipeline Nord Stream 2 ab und befürwortet, etwa wegen der Verfolgung und Inhaftierung des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny, weitergehende Sanktionen und generell eine härtere Gangart gegenüber dem Putin-Regime. Dass die Grünen das Hauptziel russischer Einmischung in den Bundestagswahlkampf sind, bestätigt auch der ehemalige KGB-Agent und Kreml-Experte Yuri Shvets in einem Beitrag des ZDF-Auslandsjournals. Nord Stream 2 sei das wichtigste Projekt des Putin-Regimes im Zuge seiner Bestrebungen, Deutschland als das wichtigste Land in Europa unter seine Kontrolle zu bringen.

Doch so klar sich die Grünen politisch gegen die Bedrohung durch autoritäre Mächte wie Russland und China positionieren, so halbherzig sind sie nach wie vor, wenn es um die militärische Verteidigung der westlichen Demokratien geht. Um glaubwürdig zu sein, müssen sie diese programmatische Kluft schließen. Dazu meine Kolumne, die vergangene Woche in Український тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua) erschienen ist, hier auf deutsch:

Vier Monate vor der Wahl zum Deutschen Bundestag hat Bündnis 90/Die Grünen beste Aussichten, an die Regierung zu kommen – womöglich sogar als stärkste Kraft. In den meisten Umfragen stand die grüne Partei kürzlich rund zwei Prozent vor der CDU/CSU und mehr als zehn vor den Sozialdemokraten. Inzwischen sind ihre Umfrageergebnisse zwar leicht rückläufig. Doch in jedem Fall kann man davon ausgehen, dass die Grünen in der nächsten Bundesregierung eine maßgebliche, für die künftige Richtung der deutschen Politik weichenstellende Rolle spielen werden.

Baerbocks Lernfähigkeit

Das gilt insbesondere auch für die deutsche Außenpolitik nach der Ära Angela Merkels. Von der Positionierung der Grünen hängt wesentlich ab, ob die Integration Deutschlands in das transatlantische Bündnis eine dringend notwendige Erneuerung und Vertiefung erfahren kann oder sich die – mehr oder weniger in allen politischen Lagern vorhandene – Tendenz zur Entfremdung von den westlichen Partnern, insbesondere den USA, weiter verstärken wird. Das entscheidende Feld, auf dem die Grünen eine Grundsatzentscheidung treffen müssen, ist dabei die Sicherheitspolitik.

Nicht nur das Engagement der Grünen für feministische Ziele, sondern für Menschenrechtsanliegen insgesamt wurde dadurch tief diskreditiert. Es zeigte sich daran exemplarisch, wie stark der Einfluss der linkspazifistischen, reflexhaft amerikakritischen Strömungen innerhalb der Partei noch immer ist – ungeachtet des Bestrebens der Parteiführung, sie als solide Kraft der politischen Mitte zu etablieren.

Manche Beobachter halten das Bekenntnis der grünen Führung um die frisch gekürte Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock zur westlichen Allianz daher für ein bloßes Lippenbekenntnis, das darauf zielt, „Merkel-Wähler“ zu gewinnen, die nach dem Abgang der Kanzlerin einen Rechtsruck der CDU/CSU befürchten. Doch diese Beurteilung greift zu kurz. Die Führungsspitze der Grünen um Baerbock und den Co-Parteivorsitzenden Robert Habeck zeigt sich in sicherheitspolitischen Fragen weit avancierter als das im Wahlprogramm ihrer Partei zum Ausdruck kommt. So bekannte sich Baerbock jüngst ausdrücklich zu einer Stärkung der Bundeswehr. Und zuletzt korrigierte sie ihre bisher ablehnende Haltung gegenüber deutschen Waffenlieferungen an Israel, die sie jetzt befürwortet.

Verbündeter Biden

Ihre Lernfähigkeit bezüglich der Notwendigkeit militärischer Rüstung könnte nicht zuletzt durch die Priorität weiter gefördert werden, die der neue US-Präsident Joe Biden dem Kampf gegen die Klimaerwärmung einräumt. Dadurch betrachten die Grünen die USA jetzt als ihren größten strategischen Verbündeten bei der Durchsetzung ihrer eigenen weit gesteckten Klimaziele. Das aber könnte sie geneigter machen, den Forderungen Washingtons auf anderen Gebieten nachzugeben – namentlich der nach höheren Rüstungsausgaben als Beitrag zur Stärkung der Nato. 

Für fortgesetzte Zweifel an der transatlantischen Zuverlässigkeit der Grünen sorgt indes ihre Weigerung, das Zusammengehen mit der SED-Nachfolgepartei Die Linke im Rahmen einer potenziellen gemeinsamen Koalition mit den Sozialdemokraten grundsätzlich auszuschließen. Zwar hat Robert Habeck kürzlich ein Bekenntnis der Linkspartei zur Nato als eine der Grundvoraussetzungen für ein solches Bündnis genannt. Dass die massiv unter dem Einfluss der Kreml-Propaganda stehende Linkspartei jemals glaubwürdig das westliche Bündnis bejahen könnte, ist aber kaum vorstellbar. Zudem ist es äußerst unwahrscheinlich, dass eine Linkskoalition aus Grünen, SPD und Linken im Herbst eine Mehrheit finden wird. Doch nur durch eine prinzipielle Absage an jegliche Zusammenarbeit mit der Linkspartei könnten die Grünen unzweideutig klar stellen, dass sie sich keine Hintertür für einen faulen Kompromiss mit ihr auf Kosten der transatlantischen Sicherheit offen halten.

Über den Autor

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

2 Kommentare

  • Nicht nur die Grünen müssen dazulernen. Es gibt Menschen, die glauben Frieden gäbe es umsonst. Und es gibt Menschen, die der Auffassung sind, dass man ihn auch verteidigen können muss. Die einen wollen eine wehrhafte, die anderen eine wehrlose Demokratie.
    Habeck und die Realos in seiner Partei treten für eine wehrhafte Demokratie ein und zwar sehr viel entschiedener, als wir dies von vielen Vertretern der übrigen Parteien gewohnt sind. Die Linke würde lieber heute als morgen die NATO auflösen und fände stattdessen ein Bündnis mit Moskau im Prinzip prima. Die AfD will das auch, möchte dafür aber noch die eigene Armee behalten. Die SPD will am liebsten gar nicht über solche Dinge sprechen und statt dessen lieber mit Putin reden. Vom Reden versteht sie halt was. Bei der Union gehört das westliche Bündnis zur Erbmasse. Doch dieses Erbe wird nicht allzu pfleglich behandelt. Die Vertreter der Werteunion suchen ihre Werte lieber in der Vergangenheit oder auch mal im Osten, wenn der Eindruck nicht täuscht. Manch einer in der Union fühlt sich erklärtermaßen Putin freundschaftlich verbunden. Wie heisst es so schön: zeige mir deine Freunde und ich sage Dir wer Du bist. Und bei der FDP findet man von allem etwas, je nachdem, mit wem man gerade spricht. Aber das ist bei den Grünen, dann auch wieder nicht so viel anders, nur übersichtlicher. Es gibt die Realos und die Träumer. Für die Verteidigung der Menschenrechte treten sie beide ein, aber die Träumer eben nur im Prinzip. Im Ernstfall will man diese nicht auch noch verteidigen müssen.

  • Ich sehe das grundsätzliche Problem bei den Grünen in der unübersichtlichen Heterogenität der Strömungen,die ja zum Markenkern der Partei gehört: z.T linksextreme Sektierer ( Stichwort Berliner Stadtrat Friedrichshain, Ströbele und Co.), naive Pazifisten, aber auch ernstzunehemnde regierungsfähige Realos ( Özdemir, Habeck…). Ich sehe diese Realo- Grünen in Fragen Menschenrechtsverletzungen in China, Russland und Türkei glaubwürdiger als mancher Regierungsvertreter mit diplomatischen Floskeln und ökonomischen Skrupeln. Es wird zukünftig eine konfliktreiche Zeit geben: wie begegnet der Westen dem Autoritarismus, der sich an des Gesetz des Stärkeren haltend, in der Welt bedient, Grenzen zu seinen Gunsten verschiebt und die Freiheit seiner Bürger mit Füssen tritt? Vielleicht sind die Grünen so ein besserer Koalitionspartner in der kommenden Regierung unter der Union als CDP oder SPD.

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

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