Werner Schulz und das Licht der Freiheit

Am 9. November ist Werner Schulz während einer Gedenkveranstaltung zum Mauerfall 1989 im Schloss Bellevue in Berlin, dem Sitz des Bundespräsidenten, plötzlich gestorben. Der ehemalige DDR-Bürgerrechtler war einer der hellsichtigsten und streitbarsten Verfechter von Demokratie und Menschenrechten, die unsere Republik zu bieten hat. Dabei war er von gänzlich unprätentiöser Menschlichkeit und Empathie geprägt, mit der er unermüdlich das Licht der Freiheit für alle hochhielt, die von autoritärem Ungeist, Diktatur und Terror bedrängt und bedroht sind. Seine unerschütterlichen Grundüberzeugungen hat er im Mai dieses Jahres auf eindrucksvolle Weise in einem Gespräch auf Phoenix – hier zu sehen – zusammenfassend dargelegt.

Er durchschaute Putin von Anfang an

Unter Schulz´ zahlreichen Verdiensten um Freiheit und Demokratie ragt eines heraus: Wie kaum ein anderer und viel früher als die allermeisten hierzulande hat der frühere DDR-Bürgerrechtler die verbrecherischen Absichten Wladimir Putins erkannt und angeprangert. Als der Kreml-Chef 2001 seine verlogene „Der-Kalte-Krieg ist vorbei“-Rede im Deutschen Bundestag hielt und dafür vom Plenum mit stehenden Ovationen gefeiert wurde, verließ Schulz, als Abgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen, aus Protest gegen die brutalen Menschenrechtsverletzungen der russischen Armee in Tschetstschenien den Saal. Er blieb mit dieser Geste ziemlich einsam, und seine Mahnungen, sich von den heuchlerischen Sirenengesängen des neuen Zaren nicht täuschen zu lassen, stießen weitgehend auf taube Ohren. Kaum jemand wollte damals etwas von den grausamen Verbrechen im fernen Kaukasus hören, die der vermeintliche Friedensbringer Putin zu verantworten hatte.

Dabei nahm das russische Wüten in Tschetschenien bereits viele der horrenden Untaten vorweg, die Putins Truppen heute im Vernichtungskrieg gegen die Ukraine verüben. In der Gegenwart gehörte Werner Schulz folgerichtig zu den engagiertesten und konsequentesten Unterstützern der um ihre Existenz und Unabhängigkeit kämpfenden Ukraine – was ausdrücklich auch seinen Einsatz für die Lieferung aller für den ukrainischen Sieg notwendigen Waffen durch Deutschland und den Westen insgesamt einschloss.

Antitotalitäres Erbe

Vehement positionierte sich Werner Schulz in den vergangenen Jahren auch gegen die Bestrebungen der rechtsextremen – und kremlhörigen – AfD, unter der Parole „Wir sind das Volk“ das Erbe der „friedlichen Revolution“ in der DDR 1989/90 für sich zu vereinnahmen und für ihre antidemokratischen Ziele zu missbrauchen. Im Gegensatz zu manchen anderen ehemaligen führenden DDR-Bürgerrechtlern und Bürgerrechtlerinnen – man denke etwa an Vera Lengsfeld und Angelika Barbe – erwies sich Schulz gegen die demagogische Suggestionen von rechts, aber auch von links außen als immun, bei der Bundesrepublik handele es sich um eine „Diktatur“ angeblich abgehobener „liberaler Eliten“, und somit um so etwas wie eine „DDR 2.0“. Und das – oder gerade weil – Schulz selbst den Umständen, unter denen die deutsche Einheit zustande kam, in mancher Hinsicht kritisch gegenüberstand. So hatte er sich etwa dafür stark gemacht, die gesamtdeutsche Bevölkerung über die Annahme einer neuen Verfassung abstimmen zu lassen, an deren Ausarbeitung er beteiligt war. Doch wie sehr er auch demokratische Defizite im Prozess der deutschen Vereinigung beklagen mochte – umso entschiedener, ja wütender widersetzte sich Werner Schulz jedem Versuch, den fundamentalen Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie zu relativieren oder zu verwischen.

Werner Schulz stand in der besten Tradition der osteuropäischen Dissidentenbewegung gegen die kommunistische Diktatur ebenso wie des westlichen antitotalitären Denkens, in der Tradition eines Václav Havel und André Glucksmann – die in Deutschland nie so recht Fuß fassen konnte. Mit ihm verlieren die daher ohnehin rar gesäten konsequent antitotalitären Kräfte in diesem Land einen ihrer herausragenden, klügsten und klarsten Köpfe, einen unbeirrbaren Vorkämpfer der Humanität und dabei durch und durch freundlichen Menschen. Alle, die es mit der Verteidigung von Freiheit, Recht und Menschenwürde ernst nehmen, sind ihm zu größtem Dank verpflichtet. Und trauern um ihn als geschätzten Freund und verlässliches Vorbild.

Über den Autor

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

3 Kommentare

  • Danke, Herr Herzinger für Ihre feine Würdigung von Werner Schulz. Mit ihm begann meine politische Bewusstwerdung. Damals im Erzgebirge wohnhaft, nicht beheimatet;die Unterscheidung ist bedeutsam;.
    Die allerersten Anfänge, Treffen von Leuten unter dem Dach „Neues Forum“die „etwas ändern wollten“ suchten Kontakt zu ihm in seinem ländlichen Zuhause.
    Sie haben ihn genau angeschaut, haben ihn gekannt.
    In einer Welt der vielen wertlosen Worte, war er einer dessen klaren, mutigen Worten man trauen, auf die man sich verlassen konnte. Mut und Tat war seine Persönlichkeit.
    In einer Welt der Relativierungen und der Gleichmacherei, war er einer an dem man sich orientieren , an dem man sich aufrichten konnte.
    Er war scharfsichtig und ohne Angst, so habe ich ihn über die Jahre wahrgenommen und so werde ich ihn auch weiterhin für mich erinnern.
    Danke, für Ihren feinen wertschätzenden Nachruf. Kein Vertreter unseres Polit-Personals fand mehr als flache Formeln über ihn zu sprechen. Bis auf Sie.

    • „In einer Welt der Relativierungen und der Gleichmacherei, war er einer an dem man sich orientieren , an dem man sich aufrichten konnte. Er war scharfsichtig und ohne Angst…“ Das ist sehr treffend formuliert. Genauso habe auch ich ihn wahrgenommen. Danke, Frau Ecker, für diese Worte.

  • Danke Herr Herzinger,
    stark, klar und streitbar das fehlt im Gedöns des Wischi Waschi.
    Ihre persönliche Entwicklung hin zu dieser Klarheit, und die Wahrheiten auszusprechen, neue Perspektiven aufzuzeigen finde ich sehr wichtig, gerne würde ich mehr zu ihrer Lebenserfahrung lesen.
    Mit freundlichen Grüßen

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

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