Die amerikanische Demokratie im Zangengriff von Rechts und Links

Das Wochenende rund um den amerikanischen Unabhängigkeitstag
am 4. Juli hat versinnbildlicht, wie sich Donald Trump und radikale
„Antirassisten“ beziehungsweise „Antikolonialisten“ gegenseitig in
die Hände spielen. Von entgegengesetzten Richtungen aus
unterminieren sie die universalistischen Werte, auf denen die
Demokratie der Vereinigten Staaten beruht.

In zwei Reden zum Unabhängigkeitstag denunzierte Trump die
aktuelle Protestbewegung gegen den Rassismus pauschal als das
Werk eines „linksradikalen Mobs“, der eine „gnadenlose Kampagne zur
Auslöschung unserer Geschichte“ führe und die „Diffamierung unserer
Helden“, die „Ausradierung unserer Werte“ sowie die
„Indoktrinierung unserer Kinder“ betreibe. Trump nannte dies sogar
einen „neuen linksradikalen Faschismus“. Die berechtigten, in ihrer
großen Mehrheit friedlichen Demonstrationen gegen rassistische
Diskriminierung und Gewalt erwähnte der US-Präsident nicht –
geschweige denn, dass er ihnen seine Unterstützung zugesagt hätte.

Das hat in großen Teilen der Öffentlichkeit zu Recht Empörung
hervorgerufen. Doch als wollten sie das Zerrbild bestätigen, das
Trump von den antirassistischen Protesten zeichnet, stürzten kurz
darauf in Baltimore radikale Aktivisten eine Denkmalstatue von
Christoph Kolumbus vom Sockel und warfen sie ins Hafenbecken. Die
Botschaft solcher Aktionen ist klar: Es soll suggeriert werden, dass die
USA schon von ihren Wurzeln her ein rassistisches Gebilde seien, und
dass bereits die bloße Ankunft von Europäern auf dem
amerikanischen Kontinent für diesen nur Unheil bedeutet habe.

IST CHRISTOPH KOLUMBUS SCHULD AN DONALD TRUMP?

Befeuert werden diese Aktivisten durch die Ideologie des
„Postkolonialismus“, einer in amerikanischen Universitäten weit
verbreiteten Denkschule, die die Menschheit grundsätzlich in die
Erben des (westlichen, weißen) Kolonialismus und der von ihm
Kolonisierten einteilt. Sie unterstellt, die universellen
Menschenrechte seien nur eine Täuschung, mit der die Opfer
westlicher Dominanz auch nach dem formellen Ende der
Kolonialherrschaft in Abhängigkeit von den vormaligen Kolonialherren gehalten werden sollten. So lange sich die
Kolonisierten nicht radikal von dem gesamten Wertesystem der
europäisch-westlichen Zivilisation befreit hätten, blieben die
Nachfahren der Täter und Opfer dauerhaft in ihrer jeweiligen Rolle
eingeschlossen. Die Demokratie ist in dieser „postkolonialistischen“
Sicht nur eine von vielen Formen, in der die koloniale Unterdrückung
und weiße Vorherrschaft fortgeführt würden.

Zweifellos hat die europäische Kolonisierung Amerikas immenses
Leid über die Ureinwohner des Kontinents gebracht. Deren
Beraubung, Unterjochung und mörderische Dezimierung zählen
ebenso zur dunklen Seite der Vorgeschichte des modernen
demokratischen Amerika wie die Sklaverei und die in den Südstaaten
der USA bis in die 1960er Jahre hinein gültige gesetzliche
Rassendiskriminierung. Die selbstkritische Auseinandersetzung mit
diesem Erbe und die ununterbrochene Anstrengung, es zu
überwinden, ist ein lebensnotwendiger Imperativ für die moderne
pluralistische Demokratie.

Doch so monströs und grausam die Verbrechen des europäischen
Kolonialismus auch gewesen sind – die Europäer und die von ihnen
abstammenden Amerikaner waren nicht die Einzigen, die in der
Weltgeschichte eine brutale Kolonisierung vermeintlich
„unterlegener“ Völker und Kulturen betrieben haben. Große Reiche
und die meisten Staaten sind in aller Regel überall auf dem Globus
und zu allen Zeiten auf der Basis ähnlicher Untaten entstanden. Und
rassistische Unterdrückung existiert auch heute auf allen Kontinenten
und in allen „Kulturkreisen“ – und zwar oft in unvergleichlich
schlimmerer Form, als dies in westlichen Demokratien möglich ist.
Die brutale Verfolgung der Uiguren durch das kommunistische
Regime Chinas bietet dafür ein aktuelles entsetzliches Beispiel. Die
„postkolonialistischen“ Kritiker konzentrieren sich jedoch fast
ausschließlich auf die Verdammung des westlichen Kolonialerbes als
der Ursache für alle Übel der Menschheit.

Im Unterschied zu anderen „Kulturkreisen“ hat die westliche
Zivilisation jedoch zugleich mit ihrer furchtbaren Kolonialgeschichte
auch die ideellen und rechtlichen Voraussetzungen dafür
hervorgebracht, den Rassismus in seinem Kern zu bekämpfen.
Exemplarisch dafür steht die amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776, in
deren Präambel festgehalten wird, dass alle Menschen von Natur aus
mit gleichen, unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind. Und
Kolumbus steht eben auch für den Entdecker- und Forschergeist des
modernen Europa, der einen wesentlichen Antrieb für die
Herausbildung der Aufklärung und der von ihr formulierten
universalen Menschenrechte darstellte.

DIE ABKEHR VON DER AUFKLÄRUNG RAUBT DER EMANZIPATION DEN HORIZONT

Indem radikale „Postkolonialisten“ diese Aufklärungstradition
negieren, berauben sie die Unterdrückten, in deren Namen sie zu
sprechen vorgeben, in Wahrheit des emanzipatorischen Horizonts, an
dem sich ihr Aufbegehren gegen jegliche Ungleichbehandlung allein
orientieren kann. Die aktuelle Bewegung gegen den Rassismus wird
nur erfolgreich sein, wenn sie sich in die Tradition der
Bürgerrechtsbewegung der 1950er und 1960er Jahre stellt, die das in
der amerikanischen Verfassung abgegebene universalistische
Gleichheitsversprechen für die afro-amerikanische Bevölkerung
einklagte, statt es als Trugbild des „weißen Amerika“ zu verwerfen.

Um nicht in der eskalierenden Konfrontation der Extreme zerrieben
zu werden, muss die breite demokratische Mitte die universalen
Gründungswerte der USA deshalb konsequent an zwei Fronten
verteidigen: Gegen das Bestreben der von Trump angestachelten
nationalistischen Rechten, das universalistische Gleichheits- und
Emanzipationsversprechen der US-Verfassung zugunsten einer
restaurativen Ideologie weißer Vorherrschaft auszulöschen, und
gegen den Fundamentalismus der linken „Postkolonialisten“, der in
diesem Gleichheitsversprechen nur verkappten Rassismus erkennen
will – und damit Trump einen Vorwand liefert, sich als Hüter jener
amerikanischen Werte darzustellen, die er in Wahrheit negiert.

Zuerst erschienen in ukrainischer Übersetzung als Kolumne in Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua)

Über den Autor

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

von Richard Herzinger

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

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