Trumps Sturz: Weckruf für die liberale Demokratie weltweit

Joe Bidens Wahlsieg ist ein Weckruf zur Verteidigung der liberalen Demokratie weltweit. Erfolg wird der neue US-Präsident aber nur haben, wenn auch die Europäer zur Erneuerung und gemeinsamen Stärkung der freien Welt im Kampf gegen autoritäre Mächte bereit sind.

Über Donald Trump, den politischen Marodeur, pathologischen Monomanen und eingeschworenen Feind der Werte der amerikanischen Demokratie wird man hoffentlich bald kein Wort mehr verlieren müssen. Zu hoffen ist indes, dass er, erst einmal seiner Immunität als Präsident beraubt, für seine korrupten Machenschaften, seine Denunziation und Missachtung der demokratischen Institutionen und seine landesverräterischen Beziehungen zu seinem Mafia-Paten Wladimir Putin sowie zu anderen mörderischen Autokraten wie Nordkoreas Horror-Diktator Kim Jong-un zur politischen und juristischen Rechenschaft gezogen werden wird.

Die Gefahr, die von ihm ausgeht, ist indes noch längst nicht vorüber. Er wird die drei Monate, die ihm im Amt bleiben. dazu nutzen, um durch die Obstruktion der Amtsübergabe der amerikanischen Demokratie größtmöglichen Schaden zuzufügen und alles daran setzen, maximale Verwirrung, Hass und Chaos zu schüren. Die Möglichkeiten und Tricks , die ihm dabei zur Verfügung stehen (s. hier), sollte man keinesfalls unterschätzen. So groß die Erleichterung ist, dass immerhin der Wahlakt selbst regulär und ohne nennenswerte Störungen über die Bühne gegangen ist: Erst daran, ob Trumps Anschläge auf die Integrität der Demokratie abgewehrt und die schwer bewaffneten paramilitärischen Banden, die er zur Gewalt aufstacheln könnte, erfolgreich niedergehalten werden können, wird sich erweisen, wie intakt die demokratischen Institutionen der USA tatsächlich noch sind.

Bleibt es jedoch dabei, dass Joe Biden am 20. Januar wie vorgesehen als 46. US-Präsident Präsident vereidigt wird, eröffnet sich nicht nur den USA, sondern der gesamten demokratischen Welt eine neue, ebenso hoffnungsvolle wie herausfordernde Perspektive. Und um sie erfolgreich anzugehen, kann man sich kaum einen geeigneteren Politiker denken als Biden. Nicht zuletzt ist seine Haltung in außenpolitischen Angelegenheiten weit weniger nebulös und schwärmerisch-idealistisch als es die seines Vor-Vorgängers Obama war, und in seinen prinzipiellen Positionen (z.B. in seiner Unterstützung für die Ukraine, aber auch in seiner festen Verbundenheit mit Israel) ist der erfahrene Außenpolitiker Biden ungleich zuverlässiger als jener.

Biden hat einen Plan zur Stärkung der freien Welt

Es gehört zu den unsinnigsten Behauptungen, die von diversen tatsächlichen oder vermeintlichen Experten zu den US-Wahlen verbreitet wurden, Biden sei ein uninspirierter (und dazu noch altersbedingt schon etwas tütteliger) Übergangskandidat ohne politische Visionen – seine größte Qualität sei, dass er nicht Trump ist. Diese vermeintliche politische Blässe wird jetzt vielfach auch als Grund dafür angeführt, dass Biden keinen überwältigenden Erdrutschsieg über Trump feiern konnte – unter dieser irrealen Erwartungen hatte es ja mancher deutsche US-Kritiker nicht gemacht. Andere, zur Verharmlosung Trumps neigende Kommentatoren wiederum suggerieren, es werde sich in den Beziehungen der USA zu Europa gar nicht so viel ändern wie es dem deutschen Wunschdenken lieb wäre.

Daran stimmt immerhin so viel , dass Biden – völlig zu Recht – an amerikanischen Positionen festhalten wird, die insbesondere den meisten Deutschen äußerst unangenehm sind. Dazu gehört die Forderung an Deutschland, endlich das Zwei-Prozent-Ziel der Nato zu erfüllen, ebenso wie die, das desaströse russisch-deutsche Pipeline-Projekt Nord Stream 2 zu stoppen. Aber in diametralem Gegensatz zu Trump wird Biden diese Forderungen im Kontext einer substanziellen Stärkung des transatlantischen Bündnisses durchzusetzen versuchen, und nicht um den Preis seiner Zerstörung. Denn Biden vertritt diese Forderungen nicht aus der Perspektive eines bornierten „America-First“-Nationalismus, sondern weil sie nach seiner zutreffenden Überzeugung im gemeinsamen Interesse aller demokratischen Nationen liegen.

Weit davon entfernt, „keine Visionen“ zu haben, beweisen Joe Biden und sein außenpolitisches Team gerade in dieser Frage eine bemerkenswerte Hellsicht. Mit Bidens Sieg haben die globale liberale Demokratie und ihre universalen Werte noch einmal eine historische Überlebenschance erhalten. Dass Biden die Dringlichkeit, diese – letzte? – Chance zu nutzen, deutlich erkannt hat, zeigt seine (hierzulande leider kaum bekannte) programmatische Deklaration zur Wiederherstellung der amerikanische Führungsrolle im Sinne des Erhalts und der weltweiten Verbreitung der Demokratie. Dazu will er einen globalen „Gipfel für Demokratie“ einberufen, der eine gemeinsame Agenda zur Abwehr der Bedrohung der Demokratie durch autoritäre Mächte ausarbeiten soll. Die erste und dringlichste Aufgabe besteht jetzt in der Tat darin, darin, die Demokratien und ihren globalen Zusammenhalt zu stärken und sie gegenüber den zunehmend aggressiv auftrumpfenden autoritären Mächte wieder in die Offensive zu bringen.

Diesen Gipfel, der Regierungen ebenso wie zivilgesellschaftliche Gruppen umfassen soll, will Biden gleich im ersten Jahr seiner Präsidentschaft zusammenbringen, um „den Geist und die Daseinsbestimmung der freien Welt“ zu erneuern.  Gut wäre es allerdings, wenn dies keine einmalige Veranstaltung bleiben würde. Nötig wäre(wie ich bereits kürzlich schrieb) die Installierung eines permanentes Gremiums, einer Art globalen Aktionsforums der Demokratien, auf dem sie ihr Vorgehen gegen die autoritären und totalitären Bedrohungen koordinieren können. Denn wir befinden uns mitten in einer weltweiten Systemkonfrontation zwischen Demokratie und Autoritarismus. Nur weitestgehend vereint haben die demokratischen Nationen eine Chance, in ihr zu bestehen.

Europas Demokratien dürfen sich nicht zurücklehnen

Zu hoffen ist, dass der neue Präsident die Kraft und den Willen aufbringen wird, dieses außenpolitische Programm in eine effektive Praxis umzusetzen – und dass auch die Europäer endlich begreifen, was die historische Stunde geschlagen hat. Denn es genügt nicht, dass sie sich jetzt zurücklehnen und Biden mal machen lassen. Nicht nur die amerikanische, auch die europäischen liberalen Demokratien müssen sich grundlegend erneuern und sich dazu auf ihre elementaren universalen Werte besinnen, wollen sie überleben. Dazu gehört auch, dass sie ihre Verteidigungskraft erheblich steigern und endlich ihrer lavierende Nachgiebigkeit gegenüber autoritären Mächten, allen voran Russland und China, ein Ende setzen.

Dabei ist es von zentraler Bedeutung, diese Selbstvergewisserung der liberalen Demokratie nicht auf einen „Kampf gegen Rechts“ zu verengen. Denn nicht nur gegen die rechtsnationalistischen und verschwörungsmythologischen Sturmtruppen Trumps braucht Biden die Unterstützung aller ernsthafter Verteidiger der liberalen Ordnung überall auf der Welt, sondern auch gegen die linksextremen Tendenzen innerhalb seiner eigenen Demokratischen Partei. Diese Linksaußen-Kräfte haben den von ihnen ungeliebten Biden im Wahlkampf zähneknirschend unterstützt, doch mit dem Beginn seiner Präsidentschaft werden sie umso stärker ihre – ihrerseits antiuniversalistischen und antidemokratischen – Vorstellungen von einer „antirassistischen“ Identitätspolitik durchzusetzen versuchen. Nur wenn man sich der vielfältigen Gefahren bewusst ist, denen Bidens Präsidentschaft ausgesetzt sein wird, und wenn man sich darüber klar wird, dass es bei der Frage, wie viel Erfolg er haben wird, auf uns alle ankommt – nur dann kann vermieden werden, dass die enorme Erleichterung angesichts von Bidens Sieg in eine ähnlich überzogene, realitätsferne Euphorie umschlägt, wie wir sie mit der „Obamania“ vor zwölf Jahren erlebt haben.

Über den Autor

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

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Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

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