Ukraine: Waffenruhe im Donbass? Der Kreml verfolgt ganz andere Ziele als den Frieden

Dass die russischen Besatzer und ihre lokale Soldateska in der Ostukraine den soeben erst proklamierten Waffenstillstand gleich wieder gebrochen haben (s. hier), ist wahrlich keine Überraschung. Dazu schrieb ich bereits vor ein paar Tagen (s. hier): „Aber, Moment mal: Putin sagt die Einhaltung einer Waffenruhe zu? Das klingt ungefähr so glaubhaft wie die Beteuerung eines Trinkers, ab jetzt werde er ganz bestimmt keinen Tropfen Alkohol mehr anrühren. Waffenruhen zu proklamieren, um sie sogleich zu brechen, gehört – von der Ukraine über Syrien bis Libyen – zu den routinemäßigen Manövern des Kreml-Herrschers.“

Putin ließ dann auch unverzüglich mitteilen, Russland könne die Waffenruhe gar nicht garantieren, da es ja kein direkter Beteiligter an dem Konflikt im Donbass sei. Es zeigt sich daran einmal mehr die strukturelle Schwäche jeglicher Vereinbarungen im Normandie-Format: Russland wird darin nicht als kriegsführende Partei behandelt, sondern als eine Art vermittelnder Dritter. Daher firmiert auch die aktuelle Waffenruhe offiziell als Vereinbarung zwischen der ukrainischen Regierung und den – leider auch von führenden deutschen Medien hartnäckig weiter so genannten – „prorussischen Separatisten“. Die werden dadurch als eigenständiges politisches Subjekt aufgewertet, obwohl sie in Wahrheit nichts als Befehlsempfänger des Kreml sind.

Der kann dann genüsslich jede Verantwortung für den Bruch von ausgehandelten Abkommen von sich weisen, worauf das übliche Ritual folgt, dass Frankreich und Deutschland als die westlichen Teilnehmer der Normandie-Runde Moskau auffordern, endlich seiner „Verantwortung nachzukommen“ und „seinen Einfluss“ auf die von ihm unterstützten Kräfte im Donbass „geltend zu machen“, oder so ähnlich. Dieses Spielchen lässt sich auf Ewigkeit fortsetzen, solange der Westen nicht explizit Russland für die unvermindert fortgesetzte Aggression gegen die Ukraine verantwortlich macht und verschärfte Sanktionen verhängt. Der Kreml wird nur dann zu Zugeständnissen bereit sein, wenn ihm klar wird, dass er für seinen das Völkerrecht missachtenden Bruch des europäischen Friedens einen stetig zunehmenden hohen Preis bezahlen muss.

Selbst wenn Moskau aus taktischen Gründen den Waffenstillstand nunmehr für eine Weile einhalten lassen sollte – jederzeit kann er in dieser Konstellation seine Soldateska im Donbass wieder von der Leine lassen, ohne befürchten zu müssen, dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Denn der Kreml verfolgt ganz andere Ziele als einen genuinen Frieden. Er nutzt das Normandie-Format, um der ukrainischen Regierung einen „Sonderstatus“ für die von ihm okkupierten ostukrainischen Gebiete abzupressen. Damit könnte er seine Herrschaft über einen Teil des ukrainischen Territoriums mit internationalem Plazet festschreiben und quasi legalisieren, um von dort aus die Destabilisierung der gesamten Ukraine umso effektiver weiter zu forcieren – mit dem Ziel, sie wieder der russischen Vorherrschaft zu unterwerfen. Der bereits jetzt zu beobachtende wachsende Einfluss prorussischer Kräfte, nicht zuletzt mittels der Ausbreitung kremlfreundlicher Medien, auf das innere politische Leben des Landes lässt in dieser Hinsicht nichts Gutes erahnen.

Über den Autor

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

1 Kommentar

  • […] Die Furcht, man könne Moskau provozieren, führte die Bundesregierung etwa dazu, 2008 die von den USA gewünschte Aufnahme Georgiens und der Ukraine in den MItgliedschafts-Aktionsplan (MAP) der Nato zu torpedieren. Der Kreml beantwortete dieses vorauseilende Entgegenkommen mit der Invasion Georgiens 2008, mit der Krim-Annexion 2014 und dem verdeckten Einmarsch in die Ostukraine im selben Jahr. Keine dieser Aktionen hätte Putin vermutlich gewagt, hätte man Georgien und die Ukraine damals unter das Dach des westlichen Verteidigungsbündnisses geholt. Die Rücksichtnahme, die dem Kreml Kooperationsbereitschaft signalisieren sollte, wurde von diesem als Schwäche und Einladung interpretiert, die Aggressionsschraube weiterzudrehen. […]

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

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