Woche 30: EU, Trump, Assad unter Druck, Ronaldo obenauf

Von Brüssel bis Washington, von Syrien bis zur Ukraine – die Neuigkeiten zur Weltlage sind auch weiterhin nicht gerade ermutigend. Erfreuliches hört man immerhin aus der italienischen Fußball-Liga. Wichtige und nicht ganz so wichtige Ereignisse der zurückliegenden Woche, kurz beleuchtet:

DROHENDE PARALYSE: Als „historischen Erfolg“ wollten die Staats- und Regierungschefs der EU ihren mühsam ausgehandelten Kompromiss zur Corona-Wiederaufbauhilfe verkaufen. Doch das Europäische Parlament hat ihnen fürs erste einen Strich durch die Rechnung gemacht und das Konstrukt zu Recht als unzureichend zurückgewiesen. Zu große Abstriche an gesamteuropäischen Zukunfsprojekten, vor allem aber die bis zur Unkenntlichkeit getriebene Verwässerung der Bedingung, dass die Empfänger der Finanzspritzen rechtsstaatliche Normen einhalten müssen, lauten die Haupteinwände gegen das Einigungspaket. Als Hauptgewinner des Brüsseler Sondergipfels, auf dem die nationalegoistischen Gegensätze innerhalb der EU auf kaum noch überbrückbare Weise zu Tage traten, dürfen sich Ministerpräsident Orban und sein polnischer Amtskollege betrachten, könnten sie seinem Ergebnis gemäß die Zerstörung des demokratischen Rechtsstaats in ihren Ländern doch mit üppiger europäischer Finanzausstattung weiter vorantreiben. „Ungarn und Polen ist es nicht nur gelungen, sich ernsthafte Geldsummen zu sichern, sondern auch ihren nationalen Stolz zu verteidigen“, fasste Orban das für die demokratische Integrität und den Zusammenhalt der EU verheerenden Ausgang des Gipfels triumphierend zusammen. Gleich danach ging er frisch ans Werk, auch die letzten Bastionen der Pressefreiheit in Ungarn zu schleifen (s. hier). Die weit verbreitete Wunschvorstellung, die EU werde als Reaktion auf die Abkehr der USA von der transatlantischen Gemeinsamkeit und den Austritt Großbritanniens enger zusammenrücken und zu größerer gemeinsamer Handlungsfähigkeit finden, dürfte sich nun wohl endgültig als Illusion entpuppt haben. Das Gegenteil ist der Fall. Das europäische Einigungsprojekt droht beschleunigt in die Dysfunktionalität abzurutschen. Meine ausführliche Analyse zum Zustand der EU lesen Sie hier:

TRUMP MASKIERT: Der Größte Dealmaker aller Zeiten im Weißen Haus zeigte sich von einer überraschenden neuen Seite. Indem er in der Corona-Politik eine Kehrtwende vollführte und seinem Volk plötzlich das Maskentragen empfahl, das er bis vor kurzem noch als Marotte von demokratischen Weicheiern verhöhnt hatte, rüttelte er eigenhändig an dem von ihm selbst fabrizierten Nimbus seiner Unfehlbarkeit. Und auch den Nominierungsparteitag der Republikaner sagte er wegen zu großer Corona-Gefahr ab. – nachdem er mit Auftritten auf Massenveranstaltungen kräftig zur beschleunigten Ausbreitung des Virus beigetragen hatte. Doch wer jetzt glaubt, Donald Trump sei zur Vernunft gekommen, möge sich das schleunigst wieder abschminken. Vermutlich werden wir bald Tweets von ihm zu lesen bekommen, aus denen hervorgeht, dass er persönlich der Erfinder der Corona-Schutzmaske und schon immer ein entschlossener Gegner jeglicher Zusammenrottung von über fünf Personen gewesen sei. Immerhin deutet Trumps abrupter Sinneswandel auf seine wachsende Panik hin, den hohen Rückstand gegenüber Joe Biden in den Umfragen womöglich nicht mehr aufholen zu können. Um bei den gemäßigten Wählerschichten der Mitte zu punkten, setzt er sich daher die Maske des weisen Staatsmanns auf. Was ihn jedoch nicht daran hindert, zugleich die Unterminierung der Verfassungsordnung voranzutreiben, indem er gegen den Willen der lokalen Behörden ominöse Bundespolizisten in Städte wie Portland schickt, die unkontrolliert und am Rande der Legalität auf Demonstranten losgehen. Sie sind wohl so etwas wie Trumps „kleine grüne Männchen“, mittels derer er austestet, wie weit er seine persönliche Macht an institutionellen Regelwerken vorbei ausbauen kann. Es dürfte ein Vorgeschmack darauf sein, was Trump in Bewegung zu setzen bereit ist, um seine mögliche Abwahl im November zu torpedieren. Alle Kommentatoren, die Trumps Wahlniederlage jetzt schon als eine mehr oder weniger gesicherte Tatsache betrachten, seien daher davor gewarnt, den epochalen Irrtum von 2016 zu wiederholen., als sich fast die gesamte politische und mediale Öffentlichkeit bis zur Wahlnacht sicher war, dass Trump keine Chance auf den Sieg habe. In Wahrheit sind die Karten für den großen Showdown im Spätherbst noch längst nicht gemischt. Und eines sollte man aus 2016 doch immerhin gelernt haben: Was nicht sein darf, kann eben doch sein.

WAHLFARCE: In den vom Assad-Regime beherrschen Teilen Syriens ließ der Despot ein neues Parlament wählen. Tatsächlich handelt es sich hier jedoch weder um eine Wahl noch um ein Parlament, denn gewählt werden durften nur dem Massenmörder ergebene Kandidaten seiner Baath-Partei sowie von deren Unterorganisationen, und die Rolle von Parlamentsabgeordneten beschränkt sich im System Assad auf die von Claqueren der Diktatur. Das einzige Element von Ehrlichkeit in dieser zynischen Inszenierung findet sich in der Tatsache, dass die Wahlbeteiligung von offizieller Seite mit gerade mal gut 30 Prozent angegeben wurde. Während das Regime seine Wahlfarce zelebrierte, ging im übrigen die Aushungerung der belagerten Provinz Idlib durch die Kriegsachse Moskau-Teheran-Damaskus unvermindert weiter. Doch neuerdings ist viel davon die Rede, dass Assads Regime unter dem Druck seines wirtschaftlichen Niedergangs zu bröckeln beginne. Aus Orten, die eigentlich als regimetreu gelten, wurden zuletzt sogar Unruhen gemeldet. Ob das erste Anzeichen der Desintegration des Regimes sein könnten, das die ihm loyal gegenüberstehenden Eliten womöglich nicht mehr ausreichend bestechen kann, bleibt dahingestellt. Der Westen jedenfalls darf sich auch weiterhin nicht dafür hergeben, Assad die Wiedererrichtung seiner Diktatur zu finanzieren, wie es Putin gerne hätte. Für die Verwüstungen, die sie in Syrien angerichtet haben und weiter anrichten, sollen mal schön die Schutzherren des Despoten, Russland und Iran, selbst aufkommen.

DEJA VÚ: Man habe sich mit Russland auf einen umfassenden Waffenstillstand in der Ostukraine geeinigt, ließ das ukrainische Präsidialamt verlauten. Damit sei die Voraussetzung für ein neues Gipfeltreffen im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland) erfüllt, das eigentlich schon im Frühjahr hätte stattfinden sollen. Aber, Moment mal: Putin sagt die Einhaltung einer Waffenruhe zu? Das klingt ungefähr so glaubhaft wie die Beteuerung eines Trinkers, ab jetzt werde er ganz bestimmt keinen Tropfen Alkohol mehr anrühren. Waffenruhen zu proklamieren, um sie sogleich zu brechen, gehört – von der Ukraine über Syrien bis Libyen – zu den routinemäßigen Manövern des Kreml-Herrschers. Die ukrainische Führung und ihre westlichen Partner sind jedenfalls gut beraten, diesbezüglichen Ankündigungen des Kreml auch weiterhin nicht zu trauen. Einstweilen hält die Aggression Russlands und seiner lokalen Marionetten in der Ostukraine unverändert an., und es sterben dort weiterhin ukrainische Soldaten und Zivilisten. Zudem zieht Moskau Truppen und Kriegsgerät auf der Krim derart massiv zusammen, dass das ukrainische militärische Oberkommando jederzeit mit einem russischen Angriff an einer weiteren Front rechnet.

BELLO INCREDIBILE: Ich bin ein großer Fan von Cristiano Ronaldo. Benannt worden sein soll das Fußball-Genie – Ronaldo ist sein zweiter Vorname, nicht sein Nachname -, übrigens nach Ronald Reagan, weil dieser der Lieblingsschauspieler seines Vaters gewesen sei. Das hat etwas Bizarres, denn Reagan als einen der bedeutendsten Präsidenten der US-Geschichte zu bewundern. leuchtet mir sehr ein – aber wegen seiner schauspielerischen Darbietungen als B-Movie-Star…!? Wie dem auch sei, die weit verbreitete höhnische Verachtung und oftmals geradezu hasserfüllte Häme, die CR7 hierzulande wegen seiner „Eitelkeit“ entgegenschlägt, empfand ich stets als Ausdruck eines äußerst unangenehmen deutsch-provinzialistischen Neidkomplexes. Ronaldo steht indes himmelweit über solchen Anwürfen. Nach seiner Ausmusterung bei Real Madrid hatte mancher „Experte“ seinen Stern bereits im Sinken gesehen. Doch statt dessen sammelt er mit sage und schreibe 35 Jahren auch bei Juventus Turin weiterhin Rekorde. Nicht nur hat errang er als bisher einziger Spieler in allen drei größten Fußball-Ligen Europas (England, Spanien, Italien) den Meistertitel, seit dieser Woche ist er auch der erste, der überall dort mehr als 50 Tore erzielt hat, und mit Juventus steht er erneut vor der Meisterschaft. Bravo, unglaublicher Ronaldo! Und Hohn und Häme über euch, ihr notorischen CR7-Verächter!

Über den Autor

Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

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Richard Herzinger

Dr. Richard Herzinger, geboren 1955 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet als Publizist in Berlin. Als Autor, Redakteur und politischer Korrespondent war er für "Die Zeit", den Berliner "Tagesspiegel", die Züricher "Weltwoche" und zuletzt fast 15 Jahre lang für "Die Welt" und "Welt am Sonntag" tätig. Bereits vor 25 Jahren warnte er in seinem gemeinsam mit Hannes Stein verfassten Buch "Endzeitpropheten oder die Offensive der Antiwestler" vor dem Wiederaufstieg autoritärer und totalitärer Mächte und Ideologien. Er schreibt für zahlreiche deutsche und internationale Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem eine zweiwöchentliche Kolumne für das ukrainische Magazin Український Тиждень (Ukrainische Woche; tyzhden.ua).

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