Obwohl der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi eine Friedenslösung für den Donbass zur obersten Priorität seiner Politik erklärt hat und sein Chefberater Andrij Jermak intensiv (manche Kritiker sagen: etwas zu intensiv) mit der russischen Seite im Gespräch ist, kommen die Verhandlungen keinen Schritt voran. Außer einem Gefangenenaustausch ist von den russischen Besatzern und ihren lokalen Hilfstruppen in den illegalen „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk nichts von dem umgesetzt worden, was auf dem „Normandie“-Gipfel im Dezember in Paris vereinbart wurde, angefangen mit einer Waffenruhe.
Im Gegenteil, unter dem Vorwand der Corona-Epidemie sind die Grenzen zu den besetzten Gebieten von den Okkupanten weitgehend dicht gemacht worden – auch für die Beobachter der OSZE. Jermak, der von oppositionellen und zivilgesellschaftlichen Kräften in der Ukraine verdächtigt wird, einem faulen Kompromiss mit Moskau nicht abgeneigt zu sein, bekräftigte kürzlich im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung immerhin, dass die Bedingungen der Ukraine für eine Einigung unverändert stehen: Keine von Kyjw anerkannten Wahlen in den besetzten Gebieten ohne den vorherigen Abzug ausländischer Truppen und illegaler bewaffneter Formationen, den freien Zugang für ukrainische Parteien und Medien sowie die Rückgewinnung der Kontrolle der Ukraine über ihre Grenze zu Russland, kein gemeinsames Beratungsgremium mit Repräsentanten der „Separatisten“, sondern nur mit „anerkannten Vertretern der Zivilgesellschaft“.
Hält sich die ukrainische Führung daran und sind in Jermaks Formulierungen keine Schlupflöcher verborgen, ist zumindest fürs erste nicht mit einem Ausverkauf ukrainischer Interessen um eines schnellen (faulen) Friedens willen zu rechnen. Dass indes der Kreml freiwillig – also, ohne dass der Westen den Druck auf ihn erheblich erhöht, wofür es leider keinerlei Anzeichen gibt (s. dazu meine Analysen vom April und Februar) – die berechtigten ukrainischen Bedingungen akzeptieren und entsprechende Zugeständnisse machen könnte, liegt jenseits des Denkbaren.
So scheint es nach Stand der Dinge am wahrscheinlichsten, dass ungeachtet aller Versprechen Selenskyis, er werde für einen raschen Friedensschluss sorgen, im Donbass auf absehbare Zeit alles auf dem alten (schlechten) Stand bleibt wie vor dem Amtsantritt des neuen Präsidenten. Und dass der Kreml die Verhandlungen nur führt, um Zeit zu gewinnen – die er dazu nutzt, um seine Besatzungsherrschaft im Donbass weiter zu zementieren. Und von dort aus die Unterminierung der gesamten Ukraine verstärkt voranzutreiben.