Donald Trumps vermeintliche Ukraine-Friedensinitiative ist ein zynischer Schwindel. Sie hat nichts bewirkt, außer den terroristischen Aggressorstaat Russland zu noch gesteigerten gezielten Angriffen auf die ukrainische Zivilbevölkerung zu animieren, wie zuletzt zu dem Massenmord an 34 Menschen – darunter zwei Kinder – und 117 Verletzten in Sumy. Allein in den ersten beiden Aprilwochen hat Russland fast 2800 Fliegerbomben über der Ukraine abgeworfen, über 1400 Drohnen gegen sie eingesetzt und 60 Raketen auf ukrainische Städte abgefeuert – auf Wohnhäuser, Schulen und Krankenhäuser.
Den Freibrief für diese Untaten stellt ihm Putins Kollaborateursregime in Washington aus, das der Ukraine in den Rücken fällt, indem es ihr zumindest eine Mitschuld an dem Ausbruch des Krieges in die Schuhe schiebt, während es den vermeintlichen Friedenswillen des Jahrhundertverbrechers im Kreml beweihräuchert und ebenso abwegige wie niederträchtige “Friedenspläne” entwirft, die darauf hinauslaufen, dem Aggressor große Teile des ukrainischen Staatsgebiets in den Rachen zu werfen. Wer sich noch an die Hoffnung geklammert hat, Trump werde irgendwann Putins wahreAbsichten durchschauen und ihm gegenüber dann “Härte” zeigen, muss spätestens nach dessen schäbigen Kommentaren zu Sumy, die implizieren, die Opfer des russischen Terrors seien an ihrem Unglück selber schuld, die Realität erkennen: Der größenwahnsinnige Psychopath im Weißen Haus und seine ebenso ignoranten wie unfähigen “Friedensunterhändler”, ob sie nun Witkoff oder Kellogg heißen, sind nichts anderes als Lautsprecher der Kreml-Propaganda und damit Komplizen des russischen Völkermords.
Was Donald Trump mit seiner “Friedens”-Scharade jedoch auch hierzulande bereits erreicht hat, ist eine Diskursverschiebung. Alles dreht sich in der politischen und medialen Öffentlichkeit meist nur noch um die Frage, wie man “den Krieg” (als sei es nicht ausschließlich ein russischer Krieg!) möglichst bald und zu für die Ukraine möglichst günstigen Bedingungen beenden könnte. Wobei auch bei den Europäern stillschweigend bereits eingepreist ist, dass die Ukraine ohnehin nicht siegen könne und daher um gewisse “Zugeständnisse” an den Aggressor nicht herumkommen werde.
Vergessene Lehren
Kaum aber noch wird die Frage gestellt, wie denn überhaupt “Frieden” mit einer Macht möglich sein soll, die ihre ganze Identität aus dem Prinzip des Angriffskriegs und der Vernichtung bezieht. In den Hintergrund der Debatte gerät das unermessliche Leid, das den Menschen in der Ukraine täglich zugefügt und das zunehmend fast schon wie eine Art Normalität wahrgenommen wird. Diese Abstumpfung schützt das Gewissen der hiesigen Öffentlichkeit vor der Erkenntnis, welchen schändlichen moralischen wie politischen Versagens sich das demokratische Europa schuldig macht, indem es diesen Zivilisationsbruch mitten in Europa seit über drei Jahren (genau genommen sogar seit elf Jahren) zulässt, ohne entschlossen dagegen einzuschreiten – aus Angst davor, in den Krieg “hineingezogen” zu werden, beziehungsweise den Kreml zu noch weiterer “Eskalation” zu “provozieren”.
Dabei wird verdrängt, dass sich Putins Vernichtungskrieg gegen die Ukraine ebenso gegen uns, den demokratischen Westen, richtet, und dass seine Ausweitung auf das ganze demokratische Europa im Kreml längst beschlossene Sache ist. Vergessen scheint die bittere Lehre aus der Appeasementpolitik der 1930er Jahre: Je länger man zögert, eine expansive genozidale Macht militärisch in die Schranken zu weisen, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit einer noch viel größeren kriegerischen Konfrontation mit ihr, und umso höher wird der Preis dafür sein, sie am Ende doch noch zu besiegen.
Putin ist nicht Hitler? Noch nicht.
Tatsächlich ist das Ausmaß der Bedrohung, die von Russland für ganz Europa, ja für die gesamte zivilisierte Menschheit ausgeht, durchaus mit der zu vergleichen, die einst das nationalsozialistische Deutschland darstellte. Häufig aber hört man in Deutschland – auch von jenen, die Russlands Aggression verurteilen – die einschränkende Stereotype: “Putin ist nicht Hitler.” Wer diese Phrase benutzt, will sich damit gegen den Vorwurf absichern, den Holocaust und andere beispiellose NS-Verbrechen zu relativieren, Deshalb spricht man in der hiesigen Politik und medialen Öffentlichkeit – zwar von “Kriegsverbrechen”, die Russland in der Ukraine verübt, scheut sich jedoch zumeist, die Begriffe “Vernichtungskrieg” und “Völkermord” in den Mund zu nehmen. Und unterschlägt damit, dass Kriegsverbrechen wie das von Sumy Teil eines sytematischen Plans zur Auslöschung der ukrainischen Nation ist – und somit nichts anderes als ein Genozid.
Dieser russische Krieg folgt einem Ausrottungsplan, der noch weit mehr umfasst als die gezielte Bombardierung der ukrainischen Zivilbevölkerung und zivilen Infrastruktur. Er beinhaltet auch die Verschleppung ukrainischer Bürger und insbesondere von Kindern zum Zweck der Zwangsrussifizierung, die systematische Folterung und Ermordung von zivilen Gefangenen und Kriegsgefangen sowie andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Er erfüllt damit eindeutig den Tatbestand des Völkermords.
Dabei stimmt es ja und ist es geradezu eine Binsenweisheit, dass Putins aktuelle Verbrechen in ihrer Dimension nicht an die Hitlers heranreichen. Man muss jedoch hinzufügen: Noch nicht. Denn richtig müsste es heißen: “Der Putin von heute ist nicht der Hitler von 1941.” (Mal abgesehen davon, dass der Kreml-Herrscher eher eine Symbiose aus Hitler und Stalin darstellt.) Im Frühjahr 1939 hatte sich das “Dritte Reich” zwar Österreich einverleibt und die gesamte Tschechoslowakei okkupiert, doch war der Ausrottungsfeldzug gegen Polen und die Sowjetunion noch nicht im Gange und der Holocaust noch nicht begonnen worden – und niemand konnte oder wollte sich vorstellen, dass Hitler zu etwas deratig Monstösem, nie Dagewesenem fähig sein würde. Dass ihm die zivilisierte Welt nicht rechtzeitig in den Arm fiel, öffnete dem NS-Regime das Tor zu diesem bis heute unerreichten Menschheitsverbrechen. Sollen wir uns dieses Mal also darauf verlassen, dass es mit Putin und seinen Spießgesellen schon nicht ganz so schlimm kommen wird?
Aufarbeitung verkehrt
Wie ich bereits in meinem Essay vom Januar 2024 schrieb: “Das Geschäft der Relativierung betreiben in Wirklichkeit jene, die im Namen der Einzigartigkeit deutscher Schuld aktuelle Verbrechen gegen die Menschlichkeit herunterspielen. Damit verkehren sie den Sinn der Aufarbeitung der singulären deutschen Verbrechen ins Gegenteil. Denn der daraus folgende Imperativ lautet, neuen Vernichtungspraktiken rechtzeitig entgegenzutreten, bevor sie ähnliche Ausmaße annehmen können wie die des Nationalsozialismus – und nicht, sie aus fehlgeleiteter Angst vor Begriffsverwirrung reflexhaft kleinzureden.”
Ist es demnach übertrieben und stellt man gar die Singularität der nationalsozialistischen Verbrechen in Frage, wenn man Putin mit Hitler, wenn man die Untaten der russischen Vernichtungskrieger von heute mit denen der deutschen Vernichtungskrieger von damals in Zusammenhang bringt? Oleksii Makeiev, der ukrainische Botschafter in Deutschland, hat darauf kürzlich in seiner “Berliner Rede zur Freiheit” bei der Friedrich-Naumann Stiftung eine ebenso knappe wir überzegende Antwort gegeben: “Wenn wir von russischen Konzentrationslagern in der Ukraine sprechen, versuchen wir nicht, Auschwitz, Buchenwald oder Dachau zu relativieren. Und wenn man übertreibt, ist es dann nicht besser, heute zu übertreiben, als später mit hundertprozentiger Sicherheit dasselbe sagen zu müssen, ohne zu übertreiben?”
Hier dazu ein längerer Auszug aus der Rede des Botschafters:
“Als ich an diesem Wochenende über diese Rede nachdachte, standen mir neun Namen vor Augen.
Tymofij. Radyslaw. Arina. Herman. Danylo. Mykyta. Alina. Kostiantyn. Nikita.
Das sind die Namen der neun Kinder. Sie alle wurden am Freitagabend von einer russischen Rakete getötet. Tymofij war der Jüngste. Er war 3 Jahre und 9 Monate alt. Das heißt, er hat in seinem kurzen Leben nichts anderes als Krieg erlebt. Am meisten wünschte sich Tymofij, dass sein Vater lebend aus dem Krieg zurückkehren würde.
Am Samstagabend bin ich zufällig über das Zitat eines deutschen Influencers gestolpert. ´Ich lebe lieber in Unfreiheit, als für Freiheit zu sterben.´ Zitatende.
Tymofij hatte keine Wahl. Aber sein Vater? Hätte sein Vater die Waffe niedergelegt, hätten alle ukrainischen Väter und Mütter die Waffe niedergelegt, würden ihre Kinder leben? In Unfreiheit, unter russischer Besatzung, aber sie würden wahrscheinlich leben. Aus Tymofij müsste Timofej werden. Aber er könnte zur Schule gehen. Russische Schule, aber macht das einen Unterschied?
Ist die Freiheit vielleicht eine Täuschung? Niemand wird es wagen zu sagen, dass Freiheit wichtiger ist als das Leben eines Kindes.
Neben dem Krematorium
Am nächsten Tag war ich beim 80. Jahrestag der Befreiung von Buchenwald. Nach der Gedenkveranstaltung in Weimar fuhr ich zum ehemaligen Konzentrationslager. Vor dem Gelände der Gedenkstätte sprach mich ein Mann an. ´Ich bin Ihr Follower auf X. Mein Name ist Holger Obbarius, ich arbeite hier in der Bildungsabteilung.´
Er bot mir eine Führung an. Als wir uns dem Krematorium näherten, zeigte er auf eine Stelle jenseits des Zaunes. Dort war auf Befehl des Kommandanten ein kleiner Zoo eingerichtet worden. Als Naherholungsgebiet für die SS, wo sie mit ihren Familien die Mittagspause verbringen konnten. Später mussten sie es – der Kommandant hatte es so befohlen.
Familienzeit. Etwa 20 Meter von einem Krematorium entfernt, wo man die Menschen, die gerade getötet wurden, hinbrachte und stapelte. Aus der Sicht der Nazis waren das keine Menschen. Ressourcen. Diese Mittagspause in einem Zoo gleich nebenan sollte denen im KZ noch einmal deutlich ihren Platz in der Welt zeigen. Ganz im Sinne der Inschrift auf dem Tor: ´Jedem das Seine´.
Ich erinnerte mich an einen Keller in der Schule des Dorfes Jahidne in der Ukraine. Etwa einen Monat lang war Jahidne im Frühjahr 2022 von den Russen besetzt. Die ganze Bevölkerung wurde für diese Zeit von den Russen in den Keller gesperrt.
Die Männer mussten sich dort bis auf die Haut ausziehen. Die Russen suchten Tätowierungen mit ukrainischer Symbolik. Es gab weniger als einen Quadratmeter für einen Menschen in diesem Keller.
Die Russen haben verboten, die toten Geiseln zu begraben.
“Donezker Dachau”
Ich war mit Außenministerin Annalena Baerbock dort. Wir wurden von einem Überlebenden des Kellers mit den Worten ´Willkommen im KZ Jahidne´ begrüßt.
Stanislaw Asejew berichtet in seinem Buch „Heller Weg“ über das Geheimgefängnis ´Isoljatsija´ (russ. Isolation) in Donezk. Im besetzten Donezk arbeitete Asejew nach 2014 unter einem Pseudonym für Radio Liberty. 2017 wurde er von den Besatzungstruppen verhaftet. Sie brachten ihn in ´Isoljatsija´ unter.
In seinem Buch nennt er den Ort „Donezker Dachau“. Sein Buch ist auch in deutscher Übersetzung erschienen. Und natürlich wurde Stanislaw Asejew gefragt, ob er übertreibe. ´Es ist keine Todesfabrik´, sagte er. ´Aber man kann es durchaus mit den deutschen Konzentrationslagern Anfang der 1930er Jahre vergleichen. In Bezug auf die Konzentration von Menschen und das Fehlen jeglicher Legalität.´
In „Isoljatsija“ wurde auch mit Strom gefoltert. Die Gefangenen wurden außerdem zum Singen gezwungen. Zum Singen der sowjetischen Hymne.
“Sie sagen, dass es uns nicht gibt”
Ein Vertreter der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf sagte einmal, niemand versuche, die Singularität der Shoah in Frage zu stellen. Man müsse aber auch die Singularität des heutigen völkermörderischen Angriffskrieges Russlands anerkennen.
Die Russen sprechen uns Ukrainern das Existenzrecht ab. Sie sagen nicht, dass sie uns alle vernichten wollen. Sie sagen nur, dass es uns überhaupt nicht gibt.
Wenn wir von russischen Konzentrationslagern in der Ukraine sprechen, versuchen wir nicht, Auschwitz, Buchenwald oder Dachau zu relativieren. Und wenn man übertreibt, ist es dann nicht besser, heute zu übertreiben, als später mit hundertprozentiger Sicherheit dasselbe sagen zu müssen, ohne zu übertreiben?
„So hat es damals auch angefangen“, zitierte Altbundespräsident Christian Wulff bei der Gedenkveranstaltung in Weimar die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer. Wenn Friedländer heute so etwas sage, dann müsse uns das antreiben, sagte Wulff. Weiter griff er die ´Alternative für Deutschland“´direkt an.
“Mahnung ist keine Relativierung”
Der russische Faschist Alexander Dugin, den der Altbundespräsident in seiner Rede erwähnte, sagte 2014, man müsse die Ukrainer ´töten, töten und nochmals töten´. Es gibt mindestens zwei bekannte Politiker, die die Ideen des sogenannten ´Eurasismus´ von Alexander Dugin gerne vertreten. Der eine ist Wladimir Putin. Der andere ist Björn Höcke.
So hat es damals auch angefangen. Mahnung ist keine Relativierung. Freiheit muss sich wehren können. Und vor allem wollen.
In Buchenwald kennt jeder den Namen des Ukrainers Borys Romantschenko. Er war hier Häftling und hat überlebt. Im März 2022 wurde er in seiner Wohnung in Charkiw von einer russischen Rakete getötet. Er hat den russischen Krieg nicht überlebt.
´Für uns, die wir hier arbeiten, ist es eine Selbstverständlichkeit, die Ukraine zu unterstützen. Denn das hängt zusammen´, sagte mir Holger Obbarius.
Die ganze Rede von Oleksii Makeiev ist hier zu lesen: Die 19. Berliner Rede zur Freiheit | Botschaft der Ukraine in der Bundesrepublik Deutschland